Kinderarzt ade! Wie geht es weiter?
Das Berliner TransitionsProgramm: Pilotprojekt weist Weg in die Zukunft
In Berlin werden chronisch kranke Jugendliche in der Übergangsphase von der Kinder- zur Erwachsenenmedizin begleitet und fachkompetent unterstützt. Der geplante Übergang heißt in der Fachsprache Transition. Obwohl 1,3 Millionen Kinder in Deutschland chronisch krank sind, ist dieser Übergang noch nicht gesetzlich geregelt. Zum Nachteil der betroffenen Jugendlichen gibt es in unserem Land keine Transitionstradition. Das bedeutet, dass bisher einheitliche Strukturen und eine Koordination des gesamten Prozesses fehlen, und transitionsspezifische Leistungen unzureichend oder gar nicht abgerechnet werden können.
Berlin setzt nun einen Meilenstein. Seit Januar 2015 gibt es in der Hauptstadt die erste offizielle Transitionsstelle für chronisch kranke Jugendliche und ihre Familien. Sie ist an den DRK Kliniken Berlin Westend angesiedelt. Ende 2014 lief die von der Robert Bosch Stiftung unterstützte fünfjährige Projektphase aus. Zwei Fallmanagerinnen teilen sich die Arbeit. Sie betreuen chronisch kranke Jugendliche in der Phase des Übergangs vom kinderzentrierten zum erwachsenenorientierten Versorgungssystem. Der Übergang ist erforderlich, weil die jungen Erwachsenen i. d. R. mit Eintritt ihrer Volljährigkeit nicht länger von den ihnen teilweise seit Jahren vertrauten Kinder- und Jugendspezialisten betreut und versorgt werden dürfen. Das Berliner TransitionsProgramm BTP arbeitet mittlerweile im sechsten Jahr. Durch Besuche zahlreicher Kongresse, Symposien, Workshops und weiterer Fachveranstaltungen hat das Projekt seit seinem Start die Zahl der kooperierenden Spezialisten und den beteiligten Krankenkassen erfolgreich steigern können. Das BTP umfasst die Regionen Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Neben den von Anfang an beteiligten Indikationen Diabetes mellitus Typ 1 und Epilepsie sind mittlerweile auch die Indikationen Niereninsuffizienz, Juvenile Arthritis, Neuromuskuläre Erkrankungen und chronisch entzündliche Darmerkrankungen in das Programm aufgenommen worden.
Noch sind Transitionsbarrieren vielfältig
Vielfältig sind die in der Fachwelt als Transitionsbarrieren bezeichneten Gründe, die bislang verhindern, dass zumindest ein überwiegender Teil der Patientengruppe in der Übergangsphase unterstützt wird. Laut Deutscher Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. sind 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland chronisch erkrankt. Neben der erwähnten fehlenden Transitionstradition haben sich betroffene Jugendliche und ihre Familien mit einem wichtigen Faktor auseinanderzusetzen. Mit dem Heranwachsen greift ein nicht zu unterschätzender Rollenwechsel bei der Verantwortlichkeit innerhalb des Familiensystems. Eltern, die im Laufe der Zeit zwangsläufig zu Experten rund um die chronische Erkrankung ihres Kindes geworden sind, müssen nun die Verantwortung abgeben. Da Jugendliche und junge Erwachsene ein Recht auf ärztliche Schweigepflicht haben, erfahren Eltern künftig nicht mehr unbedingt alles, was der behandelnde Arzt mit ihrem Kind bespricht. Gelingt es Jugendlichen nicht, einen eigenverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu entwickeln, können während der Übergangszeit beispielsweise durch unregelmäßige oder sogar ausbleibende Arztbesuche schlimmstenfalls schwerwiegende gesundheitliche Probleme auftreten. Neben dem Verlust vertrauter Betreuungspersonen und -strukturen fühlen sich Jugendliche oft nicht ausreichend vorbereitet auf das veränderte Betreuungsklima in der Erwachsenenmedizin. Sie fühlen sich häufig unsicher mit den Abläufen und Anforderungen im Gesundheitssystem.
Das Berliner TransitionsProgramm in der Praxis
Oft sind es Kinder- und Jugendspezialisten, die Familien mit chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen über das Berliner TransitionsProgramm informieren. Für eine Teilnahme sollten die Heranwachsenden zwischen 16 und 21 Jahre alt und der Transfer in die Erwachsenenmedizin für die nächsten zwölf Monate vorgesehen sein. Ein Erstkontakt erfolgt über eine Kontaktkarte. Voraussetzung ist eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Im ersten Transitionsgespräch schätzt der Kinder- und Jugendspezialist ähnlich den Vorsorge-Untersuchungen in der „Kinder- und Jugendmedizin“ Entwicklungsstand und Unterstützungsbedarf ein, die erforderlichen Maßnahmen werden vor dem eigentlichen Transfer festgelegt. Auf Wunsch und bei Bedarf finden auch gemeinsame Sprechstunden und Fallkonferenzen von Kinder- und Jugendspezialisten und Erwachsenenmedizinern statt. Die Fallmanagerinnen sind Ansprechpartnerinnen für alle Beteiligten. Sie koordinieren die interdisziplinäre Betreuung und überprüfen die Einhaltung von Terminen. Außerdem suchen sie nach geeigneten Weiterbetreuungsmöglichkeiten in der Erwachsenenmedizin. Alle Aufträge und Aufgaben werden mit Hilfe einer Software dokumentiert und evaluiert. Seit Herbst 2014 gibt es eine neu entwickelte Web-Applikation veto CUBE mit dazugehöriger Smartphone-Applikation (App). Über die App können Teilnehmer und Fachmanagerinnen unmittelbar über Termine und Krankheitsverlauf kommunizieren.
BTP auf dem 3. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin
Auf dem 3. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin im November 2014 präsentierte das BTP Konzept und web-gestützte App-Kommunikation. Das Kongressprogramm drehte sich um die Herausforderungen des Übergangs. Referenten der Fachgebiete Kinderkardiologie, Neuropädiatrie und Neurologie, Gastroenterologie, Kinderchirurgie und Kinder- und Jugendpsychiatrie schilderten an Beispielen aus ihrem Praxisalltag die Schwierigkeiten, für ihre Patienten geeignete qualifizierte Weiterbetreuungsmöglichkeiten in der Erwachsenenmedizin zu finden.
Dr. Christian Fricke, Neuropädiater im Werner Otto Institut aus Hamburg, wies daraufhin, dass es für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen zur Ergänzung des Regelversorgungssystems seit über 40 Jahren spezialisierte Angebote durch Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) gibt. Mit Eintritt ins Erwachsenenalter breche die bedarfsgerechte Versorgung ab. Derzeit sollen auf der Gesetzesebene Voraussetzungen für Medizinische Zentren für erwachsene behinderte Menschen (MZEB) mit entsprechend spezialisierten Angeboten geschaffen werden. Wie wichtig es ist, Transition in die Erwachsenenmedizin langfristig mit klarer Strukturierung und gezielter Unterstützung vorzubereiten, belegten auch Beispiele junger Patienten aus Gastroenterologie, Kinderchirurgie und -urologie, die wegen seltener Erkrankungen oder auch komplexer Fehlbildungen behandelt werden. Ein wichtiges Anliegen sei, die Kenntnisse der Jugendlichen und ihre Selbständigkeit im Umgang mit der Erkrankung zu fördern.
Eine fehlende fächerübergreifende Struktur zur Begleitung und Vergütung erschwere die Herausforderungen. Deshalb gründeten die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) im Jahr 2012 die Arbeitsgruppe Transition. Anfang 2013 kam die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hinzu. Die bundesweite Etablierung des BTP wird durch den Bundesverband Bunter Kreis e. V. unterstützt.
Ein Best Practice aus der Schweiz stellte Pflegeexpertin Corina Thomet vor: Seit 2012 baut das Nachbarland eine pflegebasierte Transitionssprechstunde für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 24 Jahren auf. Pflegeexpertin Thomet wirkt als Bindeglied zwischen Kinder- und Erwachsenenkardiologie.
Verein Berliner TransitionsProgramm für bundesweite Verbreitung
Eindrucksvoll und von den Fachgesellschaften anerkannt hat das Konzept des BTP bewiesen, dass es übertragbar ist auf unterschiedliche Krankheitsbilder und verschiedene ambulante Versorgungsstrukturen wie beispielsweise Spezialambulanzen oder Schwerpunktpraxen. Um eine bundesweite Implementierung des strukturierten und bewährten Transitionsprozesses nach dem Berliner Modell voranzutreiben, ist auf dem Kieler Kongress der Verein Berliner TransitionsProgramm e. V. gegründet worden. Auch auf bundespolitischer Ebene sucht die Arbeitsgruppe Transition aktiv den Dialog mit Entscheidungsträgern der Gesundheitspolitik. Die Zeichen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche und ihre Familien stehen auf Verbesserung.
Elisabeth Horn,
Fallmanagerin Berliner TransitionsProgramm
Kontakt:
Elisabeth Horn (Dipl. Pflegewirtin (FH))
Fallmanagerin Berliner TransitionsProgramm
DRK Kliniken Berlin Westend
Spandauer Damm 130
14050 Berlin
Tel.: 030 30354492
e.horn(at)drk-kliniken-berlin.de
www.berliner-transitionsprogramm.de