Behinderte Menschen im Krankenhaus

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Teilhabe braucht Gesundheit - zwischen Ansprüchen der UN-Behindertenrechtskonvention, Kostendämpfung und Wirklichkeit

Der Gedanke der Inklusion, d. h. der uneingeschränkten Teilhabe aller Menschen an allen Aktivitäten des Lebens, wird zwar als Leitgedanke der UN–Behindertenrechtskonvention derzeit häufig in den Medien diskutiert. Dass in der Konvention auch steht, dass allen Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen die gleiche Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen soll wie jedem anderen Menschen, wird selten erwähnt. Ebenso, dass mögliche Zugangshindernisse zu gesundheitlichen Einrichtungen aus dem Weg geräumt werden und behinderten Menschen Hilfen und Mittelspersonen zur Verfügung stehen sollen, um diesen Zugang zu erleichtern.

Doch derzeit sieht die Situation in Deutschland noch ganz anders aus. In den Krankenhäusern fehlt es an praktischer Erfahrung im Umgang mit behinderten Menschen. Dies gilt insbesondere für Ärzte und Ärztinnen, aber auch für das Pflegepersonal. Hieraus entstehen Unsicherheit und Vermeidungsverhalten beim medizinischen Personal bis hin zu Aggressivität.

Bemängelt werden neben dem ungenügenden Umgang mit behinderten Patienten im Krankenhaus auch die mangelhafte Grundpflege, die ausbleibende Unterstützung im Alltag, die fehlende Zeit für den behinderten Menschen aufgrund der Krankenhaus-Routine und die mangelnde Kommunikation mit Betreuern und Angehörigen. Die Begleitung durch Angehörige/Betreuer wird bei erwachsenen behinderten Menschen oft aus räumlichen und/oder aus Kostengründen unmöglich gemacht. Andere Einrichtungen nehmen erwachsene behinderte Menschen nur unter der Voraussetzung auf, dass eine Begleitperson mit aufgenommen wird.

Da Ärzte und Ärztinnen zu wenig Erfahrung mit behinderten Menschen haben, werden deren Symptome oft falsch interpretiert, sodass Fehldiagnosen gestellt werden. Menschen mit geistiger Behinderung erhalten oft nur unzureichend Schmerzmittel, weil sie ihre Schmerzen nicht mitteilen können oder anders auf Schmerz reagieren. Andere Medikamente werden zu hoch dosiert. Man experimentiert zu lange mit Medikamenten, Neben- und Wechselwirkungen werden übersehen. Untersuchungen wie z. B. Röntgen, MRT oder CT werden oft zu spät angesetzt, da sie aufgrund von Angst oder Unruhe nur in Sedierung möglich sind. Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Behinderung (z. B. als Folge von Schmerz, Angst oder Stress) werden als unkooperatives Verhalten (Non-Compliance) interpretiert und nicht als Ausdruck der Beschwerden. Nicht selten werden die betroffenen behinderten Menschen dann vorschnell sediert. Aufgrund der genannten Probleme werden Menschen mit Behinderung auch zu spät ins Krankenhaus gebracht, weil ihre Betreuer/Angehörigen befürchten, dass die Behandlung und Betreuung dort nicht adäquat ist. Andererseits werden behinderte Menschen vorschnell entlassen, da sie den Routine-Betrieb stören. Auch das Entlassungsmanagement ist nicht selten mangelhaft.

Seit Einführung des fallgruppenbezogenen Vergütungssystems (DRG) der stationären Krankenhausleistungen im Jahre 2004 haben sich diese Probleme zusätzlich verschärft. Noch immer sind die finanziellen Aspekte im Zusammenhang mit der Krankenhausaufnahme eines behinderten Menschen nicht geklärt, sodass es in jedem Fall eines Krankenhausaufenthaltes wieder zu Problemen kommen kann. Sozialhilfeträger zahlen häufig die zusätzlichen Kosten für den Mehraufwand einer Betreuung im Krankenhaus nicht, u. U. kommt es für das Wohnheim des behinderten Menschen zu einer Reduzierung der Pflegesätze für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes. Die Krankenkassen lehnen oft die Übernahme der Kosten für eine Begleitperson im Krankenhaus ab. Hier ist ein aufwendiges Antragsverfahren mit ärztlicher Stellungnahme nötig, damit die Begleitperson dann doch mit aufgenommen werden kann. Die Krankenhäuser selbst erhalten im Rahmen des DRG-Abrechnungsverfahrens keinen Mehraufwand bei einem behinderten Menschen erstattet.

 

 

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Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung in Deutschland sind daher der Meinung, dass die gesundheitliche Versorgung von erwachsenen Menschen mit Behinderung nicht den Anforderungen der UN-Konvention an die Qualität der Versorgung erfüllt. Auf der Fachtagung „Gesundheit für‘s Leben“ der Bundesvereinigung Lebenshilfe und der BAG Ärzte für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung wurden daher bereits im Jahr 2009 die sogenannten „Potsdamer Forderungen“ aufgestellt. Sie fordern auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur eine gute Regelversorgung für alle Menschen mit Behinderung in Deutschland, sondern zeigen auch Wege auf, wie dies gelingen könnte. Leider gibt es bis heute nur einige Leuchtturmprojekte (z. B. des Landescaritas-Verbandes Oldenburg oder der bhz Stuttgart/Diakonie-Klinikum Stuttgart), die die Situation vor Ort untersuchen, Kontakte zwischen Behindertenarbeit und Kliniken herstellen und auf dieser Basis aktive Handlungsanleitungen für die Mitarbeitenden in beiden Bereichen erarbeiten.

Als Grund, weshalb sich bisher hier so wenig tut, werden immer wieder die Kosten angeführt. Selbstverständlich kostet eine gute gesundheitliche Versorgung behinderter Menschen Geld. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass es nach der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht eines behinderten Menschen ist, in Krankenhäusern angemessen behandelt und betreut zu werden. Behinderte Menschen sind wie alle anderen Menschen auch Teil unserer Solidargemeinschaft. Und jeder Mensch kann irgendwann im Laufe seines Lebens zu einem behinderten Menschen werden, der auf die Unterstützung dieser Solidargemeinschaft angewiesen ist.

Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH
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Kontakt:

 

Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH
Leiterin des Villingen Institute of Public Health (VIPH) der Steinbeis-Hochschule Berlin
Klosterring 5
78050 Villingen-Schwenningen
habermann-horstmeier(at)studium-public-health.de

Die Folien zum Vortrag sind abrufbar unter:
www.studium-public-health.de/unser-team-1/habermann-horstmeier/