Epilepsie und Ringelsocken

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Der Herr der Zahlen, auch Big C. genannt, gab den Auftrag, was über mich und mein buntes Leben zu schreiben, über mich, die Ringelsocke, über mein Dasein und das meines Besitzers, der ebenfalls eine „arme Socke“ ist, denn er hat eine ganz blöde chronische Krankheit. Diese Krankheit geht einfach nicht weg, obwohl er schon fast alles ausprobiert hat – na ja, eigentlich die Ärzte, bei denen er schon seit Jahrzehnten in Behandlung ist.

Die Erkrankung bleibt ein Leben lang in ihm. Ihre Begleiterscheinungen, die Anfälle, die kommen, wann immer sie wollen und wie sie wollen. Völlig überraschend, entweder als Sturzanfall oder „nur“ als Absence. Vielleicht auf dem Weg zu Arbeit oder morgens im Bett oder wenn er sich über irgendwas ganz arg freut oder ärgert. Das haben er und die Weißkittel noch nicht herausgefunden. Könnte sein, dass es auch mit dem Wetter und dem Luftdruck zusammenhängt. Das hat mal ein ganz schlauer Professor ganz am Anfang in der Kinderklinik vermutet. Ist ja ganz gut und schön, aber auf das Wetter haben wir halt noch keinen Einfluss. Aber ich schweife ab, sorry!

Normalerweise bin ich in der Kommodenschublade, zusammen mit vielen anderen farbigen und gemusterten Exemplaren. Ich werde häufig getragen und erlebe naturgemäß viel von seinem täglichen Leben. Hier berichte ich stellvertretend für alle seine anderen Kleidungsstücke, die T-Shirts, Pullis und Hosen. Wir bekommen ja mit, wenn es passiert und werden von Zeit zu Zeit selbst in Mitleidenschaft gezogen. So wie die Jeans im letzten Jahr. Da hat er an der Bushaltestelle während eines Anfalls den Kaffeebecher über sie geschüttet. Die Flecken sind nie ganz rausgegangen und sie wird nur mehr bei der Gartenarbeit angezogen. Oder das offene karierte Hemd, mit dem er am Türgriff hängen blieb, einfach automatisch weiterlief und dass dann am Ärmel abriss. Ich selbst wurde ebenfalls schon malträtiert. Er saß auf dem Sofa beim Fernsehen und schon war er da, ein Anfall. Er versuchte noch, diesen zu unterdrücken (Moses-Schulung) und schlug und schabte mit den Füßen auf den Boden, so als ob er den Anfall wegschlagen möchte. Davon hab ich ein kleines Loch an der Ferse zurückbehalten. Blöd, so was! Aber wir sind ja alle nicht makellos. Wer ist das schon, nicht wahr? So schaut’s aus.

Natürlich hat „mein Mensch“ auch gute Zeiten. Dann ist er fit wie ein Turnschuh und monatelang passiert nix, buchstäblich nix. Da freu‘ ich mich dann für ihn. Ich weiß auch, dass ich selbst irgendwann ausgedient haben werde. Wenn ich zu dünnhäutig geworden bin und dann nur noch als Schuhputzlappen tauge. Das macht mich ein wenig traurig. Aber vielleicht findet er ja dann Ringelsocken, die so ähnlich aussehen wie ich und sich um ihn Gedanken machen. Das wünsch‘ ich ihm aus tiefstem Ringelsocken-Herzen.

Ch. L.A. Bellanova, Nürnberg