Mein Weg mit Epilepsie

In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und uns zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.

Hier die Geschichte von Sabine Seipel, Anfang 50, die jahrelang als kaufmännische Angestellte in einem Autohaus arbeitete und nach einer vor kurzem erfolgten Umschulung jetzt als Betreuungs-Assistentin in einem Seniorenheim tätig ist.

Diagnose
Art und Häufigkeit:

Ich habe mich eigentlich „nur“ mit großen Anfällen abgegeben. Diese kamen in ganz verschiedenen Abständen. Manchmal zweimal die Woche, dann zwei Wochen wieder nichts danach wieder mehrere Anfälle hintereinander. Während der Pubertät spielte sich das Ganze dann ein. Heute bin ich seit vielen Jahren anfallsfrei.

Erster Anfall:
Meinen ersten Anfall hatte ich sicher schon im Babyalter. Ich habe Bilder, die mir das verraten. Außerdem weiß ich von meiner Mutter, dass meine Oma schon immer eine Ahnung hatte, dass mit mir etwas „nicht stimmt“. Richtig festgestellt hat man es erst im Alter von ca. zwei Jahren, weil ich beim Laufen öfter, aus damals unverständlichen Gründen, umgekippt bin.

Behandlung:
Ich kam in die Kinderklinik nach Aschaffenburg. Dort wurde die Epilepsie festgestellt und ich wurde medikamentös eingestellt. Danach wurde ich lange Zeit in München-Schwabing behandelt. Ich war eine der ersten, die im Max-Planck-Institut das MRT „einweihen“ durfte. Oft verbrachte ich meine Ferien dort. Das war nicht so prickelnd, aber ich habe mich immer gut aufgehoben gefühlt und konnte auch den Ärzten dort mehr Auskunft geben über die Zustände während eines Anfalls als die ganz Kleinen. Ich hatte sogar eine „private Dolmetscherin“ aus Hanau, Krankenschwester Marianne, die mir die medizinischen Fachbegriffe übersetzte. In dieser Zeit lernte ich eine Freundin kennen, mit der ich noch heute Kontakt habe.

Wie war das in der Schulzeit? Wussten die Mitschüler und/oder Lehrer von der Epilepsie oder wurde die Krankheit verheimlicht? Haben sich andere Kinder über Sie lustig gemacht?
Was meine Schulzeit angeht, so hatte ich großes Glück. Sicher haben sich am Anfang andere Mitschüler über mich lustig gemacht. Aber bald erschienen immer mehr Fälle von Kindern mit Epilepsie. Insgesamt waren es neun oder zehn Schüler/innen, die davon betroffen waren. So war eigentlich in jedem Freundeskreis ein Kind mit Epilepsie und die Spötteleien hörten auf. Auch mein Lehrer klärte die anderen Schüler über die Krankheit auf und erklärte ihnen, dass es keinen Grund gäbe, Witze zu machen. Sowohl Lehrer als auch Mitschüler waren somit über meine Krankheit informiert. Überhaupt haben meine Eltern kein Geheimnis daraus gemacht und dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar. So habe ich gelernt, offen mit meiner Krankheit umzugehen.

Wie war das mit „lange Aufbleiben“ am Wochenende oder Übernachten bei Freunden? Waren Klassenfahrten und Ausflüge ein Problem oder konnten Sie immer überall mitfahren?
Schulausflüge habe ich ganz normal mitgemacht. Natürlich immer in Begleitung meiner Tabletten. Mit dem auswärts schlafen, das war eher selten. Es gab doch recht viele Eltern, die Angst hatten, dass es zu einem Anfall käme. Meis-tens hatte ich Übernachtungsgäste.

Wurden Sie von Ihren Eltern mehr beaufsichtigt als andere Kinder?
Was das Beaufsichtigen betrifft, so hatten meine Eltern bestimmt ein waches Auge auf mich. Sie haben aber immer auch meine Geschwister mit einbezogen. Sie durften Wache halten, wenn ich nach dem Anfall geschlafen habe. Sobald ich wach wurde, mussten sie meine Mutter darüber informieren. Klar, dass sie beim Aufwachen manchmal etwas nachgeholfen haben. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass eine Eifersucht mir gegenüber aufkam.

Haben Sie bzw. hat Ihre Familie schon vor Ihrer Erkrankung von Epilepsie gehört?
Vor meiner Erkrankung wusste keiner aus meiner Familie etwas von der Krankheit Epilepsie. Meine Großmutter vermutete aber im Nachhinein, dass Leute, die aus der Kirche zu ihr gebracht wurden, weil es ihnen schlecht ging, auch darunter litten. Damals dachte man aber eher an Herzprobleme.

Welche Berufsausbildung haben Sie absolviert? Konnten Sie Ihren Berufswunsch verwirklichen oder haben Sie Abstriche gemacht?
Nun, was die Berufsausbildung angeht, so hat mir die Epilepsie einen echten Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich wollte ich als Kinderkranken-schwester oder als Floristin eine Ausbildung machen. Beides war mit der Krankheit nicht drin. So blieb mir nur die Wahl, das zu lernen, was ich nie machen wollte – eine kaufmännische Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Aber ich habe es durchgezogen und war lange Jahre in dem Beruf tätig.

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Was ist für Sie persönlich die größte Einschränkung durch die Erkrankung?
Die größte Einschränkung war, wie bereits erwähnt, die eingeschränkte Berufswahl. Große Probleme hatte ich auch in meiner Schulzeit wegen der vielen Fehlzeiten durch die Anfälle. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal für eine Geschichtsarbeit gelernt hatte und in der folgenden Nacht hatte ich einen Anfall.

Als ich am Morgen vor meiner Arbeit saß, hatte ich alles vergessen. Einfach alles. Aber auch die Begleiterscheinungen bei einem Anfall bedeuteten für mich Einschränkungen – vor allem, weil ich mir immer auf die Mundschleimhaut biss, und zwar so sehr, dass ich tagelang nur Suppe essen bzw. manchmal mit dem Röhrchen trinken musste. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Leider konnte ich auch erst später den Führerschein machen. Damals musste man fünf Jahre anfallsfrei sein.

Verbinden Sie mit der Erkrankung auch etwas Positives?
Die beste Krankheit taugt nichts, so auch die Epilepsie … Aber ja, natürlich. Zum einen habe ich das Kämpfen gelernt. So habe ich, trotz meiner Epilepsie, zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht und großgezogen. Darauf bin ich sehr stolz – vor allem, da es früher viele Leute gab, die das für unmöglich hielten. Auch die Selbsthilfegruppe ist ein positiver Aspekt. Ich habe überhaupt durch meine Krankheit viele nette Menschen kennengelernt. Ich konnte auch durch meinen offenen Umgang mit meiner Epilepsie viele Menschen von Vorurteilen befreien. Auch das ist etwas Positives.

Was war Ihr negativstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie?
Das negativste Erlebnis war eine Fehlgeburt im Jahr 1993. Das passierte, weil mein Frauenarzt keine Ahnung hatte und einfach von mir verlangte, dass ich eines meiner Mittel sofort absetzen sollte, weil ich sonst dem Kind schaden würde. Auf meine Frage welches, meinte er, das müsse ich besser wissen als er. Nach dem plötzlichen Absetzen meiner Medikation bekam ich eine Anfallsserie und verlor das Kind. Rückblickend hätte ich auf die Meinung des Neurologen, der damals schon im Wochenende war, warten und auf alle Fälle Rücksprache mit ihm halten müssen – dann wäre das nicht passiert. Ich kann nur jeder Frau raten, immer den Neurologen mit einzubeziehen. Meine beiden anderen Schwangerschaften habe ich entsprechend abgestimmt und es lief alles problemlos ab.


Auch ein großer Anfall im voll besetzten Bus war sehr unangenehm für mich. Damals war ich falsch eingestellt. Ich arbeitete gerade an meiner Selbstkontrolle und wenn ich merkte, dass es nicht klappte, gab ich einen lauten Schrei von mir. Noch heute sehe ich die Köpfe im Bus „herumfliegen“. Überhaupt bekam ich an diesem Tag viel von dem Anfall mit. Der Busfahrer fuhr geradewegs zu einem Hausarzt vor Ort. Meine frühere Schulkollegin Heike, die neben mir saß, wollte bei unserem nächsten Treffen im Bus erst, dass ich mich woanders hinsetze, da sie nach der letzten Fahrt drei Beruhigungstabletten nehmen musste. Ich konnte sie aber beruhigen und habe dann doch neben ihr Platz genommen.

Was war Ihr positivstes Erlebnis in Bezug auf die Erkrankung?
Die positivsten Erlebnisse in Bezug auf Epilepsie sind immer die Situationen, in denen man einem anderen Menschen helfen kann. Ich habe einmal mit einer Mutter eines betroffenen Kindes telefoniert. Nach unserem Gespräch sagte sie mir, sie habe in den letzten fünf Minuten mehr erfahren, als in den gesamten Gesprächen mit all den Ärzten, die sie schon geführt hat. Das sind positive Erfahrungen. Auch dass sie immer in schwierigen Momenten zu ihrer Tochter sagt: „Denk an die Frau Seipel, die hat das auch geschafft!“

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Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Nach 19 Jahren im Autohaus, habe ich dem Büro den Rücken gekehrt. Jetzt, wo ich schon so lange anfallsfrei bin, habe ich umgelernt und werde endlich einen Beruf ausführen, der mir Spaß macht. Schon immer wollte ich im sozialen Bereich arbeiten. Meine Epilepsie hat es aber damals nicht zugelassen. Aber jetzt habe ich eine Umschulung zur Betreuungs-Assistentin gemacht und begleite alte und kranke Menschen in ihrem Alltag. Nach einem Vorpraktikum in einem Seniorenheim in unserer Nähe belegte ich einen knapp dreimonatigen Kurs, der nötig ist, um diesen Beruf ausüben zu können. Diesen habe ich mit Bestnote beendet und dann im Januar meine Arbeit im Haus Elisa in Aschaffenburg aufgenommen.

Meinen Entschluss zur Umschulung habe ich nicht bereut. Im Gegenteil, ich hätte diesen Weg schon viel früher einschlagen sollen. Ich bin sehr glücklich mit meinem neuen Beruf, der für mich mehr eine Berufung ist. Ich finde es sehr erfüllend, den älteren Herrschaften einen schönen Lebensabend zu bereiten. Sie sind sehr dankbar und freuen sich darüber, wenn man mit ihnen z. B. ein Lied singt oder mit ihnen spazieren geht.

Falls sich einer der Leser beruflich neu orientieren möchte und Interesse hat, so kann ich ihm diese Umschulung nur empfehlen. Betreuungskräfte sind sehr gesucht.

Alles Gute für euch und lasst euch nicht unterkriegen!

Sabine Seipel
zusammengefasst von Doris Wittig-Moßner