Leben mit Epileppsie
Der Mensch mit Epilepsie wird immer wieder zu Fall gebracht, wird immer wieder Opfer seines eigenen Körpers. Wenn man in regelmäßigen Abständen die Erfahrung macht, dass man dem eigenen Körper und Körpergefühl nicht vertrauen kann, verliert man irgendwann eine Leichtigkeit, die für andere Menschen, nicht kranke Menschen, selbstverständlich ist. Epilepsie ist nicht die einzige Krankheit, die einen diese Leichtigkeit verlieren lässt, doch sie tut es mit besonderer Sicherheit, da die epileptischen Anfälle aus heiterem Himmel über einen kommen.
Die Epilepsie ist eine Form der Selbsterfahrung (oder der Selbst-Nicht-Erfahrung), die einen in Abständen immer wieder ergreift. Nicht umsonst hieß die Epilepsie in früheren Jahrhunderten die „Heilige Krankheit“ und wurde mit Dämonen oder Ähnlichem assoziiert, was natürlich Unsinn ist aus heutiger medizinischer Sicht. Ein epileptischer Anfall ist nichts anderes als ein Ausfall des zentralen Nervensystems, welches im Moment des Anfalls unkontrolliert Signale in alle Richtungen ausschaltet, wodurch der Körper, der das Anfallsgeschehen erlebt, gewissermaßen zum Opfer
seiner eigenen Fehlleistung wird.
Es ist diese Fehlleistung, die die zentrale Erfahrung meiner Epilepsieerkrankung war. Warum fällt mein ansonsten gesunder Körper immer wieder aus? Warum tut mir mein Körper dies an? Gibt es dafür eine religiöse, eine übersinnliche, eine philosophische etc. Erklärung? Auch nach langem Suchen habe ich nichts dergleichen gefunden, bin in einer Art, ja, Pragmatismus gelandet, mit der Erkrankung umzugehen, der sich als funktionalstes Mittel des Umgangs damit herausgestellt hat.
Alle Arten, die eigene Erkrankung zu überhöhen, sind nur der Versuch, sich besserzustellen, alle Arten, sich zum Opfer zu stilisieren, schlagen irgendwann fehl. Menschen mit Epilepsie mögen zwar immer wieder Opfer ihres eigenen Körpers werden und daher mag sich zwar irgendwann das Gefühl verfestigen, dass man keine Kontrolle über sich selbst oder wenigstens den eigenen Körper hat, doch man ist auch als Betroffener kein Opfer der Umstände. Egal ob man schwerbehindert ist oder nicht, egal ob man einen Kopfschoner braucht oder nicht oder andere Hilfsmittel, man bleibt am Ende ein Mensch, der sich an der Gesellschaft beteiligen möchte, nach den eigenen Möglichkeiten.
Für mich war die Initialzündung für diese Erkenntnis, als ich gut eingestellt war und die ambulanten Krankenhausbesuche nur noch Routine waren. Vorher war ich regelmäßig stationär im Krankenhaus, und auch jetzt ist dies noch ein Teil meines Lebens, weil ich immer noch nicht ganz gesund bin und das auch nie sein werde. Bis ans Ende meines Lebens werde ich wahrscheinlich Tabletten nehmen müssen. Und doch habe ich ein Stück Lebensqualität gewonnen, kann wieder am Leben teilnehmen, kann einer Arbeit nachgehen.
Für mich war dies ein Weg, der auch bedeutete, sich aus der Rolle einer Person, mit der ein Anfall geschieht, mit der etwas geschieht, herauszuarbeiten hin zu einer Person, die die Dinge in die Hand nimmt, die die eigene Krankheit anerkennt und damit lebt, etwas aus der eigenen Situation macht und sich irgendwann mit der Lage abfindet. Man muss mit der Epilepsie leben und eine gewisse Leichtigkeit wiederfinden, ob mit oder ohne Anfällen. Das Leben findet statt und geht weiter. Und wir sind ein Teil davon.
Florian B.