Leben mit SCN2A-Gendefekt
Svenja Kaden ist Mutter einer 7-jährigen Tochter mit einer Mutation im SCN2A-Gen. Sie erzählt von den Anfängen mit der Diagnose, wie sie Kontakt zu anderen Familien fand, wie es zur Gründung des SCN2A-Vereins kam und weshalb Therapien nur sinnvoll sind, wenn sie Spaß machen.
Mit drei Monaten bekam unsere Tochter die ersten sichtbaren epileptischen Anfälle. Das waren damals noch infantile Spasmen bzw. sogenannte BNS-Anfälle. Sie sahen zwar anfangs recht harmlos aus, aber dieser immer gleiche Ablauf – jedes Mal ein paar Minuten nach dem Aufwachen streckte sie die Arme mehrfach aus und schaute dabei nach oben – irritierte uns dann doch und brachte uns sehr schnell zum Kinderarzt. Im Nachhinein hätte einem die Muskelhypotonie (= verminderte Körperspannung), dass sie so gar nicht den Kopf selbst halten konnte und auch schlecht getrunken hat, schon stutzig machen können. Aber sowohl für die Kinderärztin und die Physiotherapeutin als auch die Hebamme war das alles im Rahmen.
Die Tests für die finale Diagnose wurden während eines stationären Aufenthalts in der Uni-Kinderklinik in Heidelberg gemacht, der sofort nach der Vorstellung bei der Kinderärztin eingeleitet worden war. Bereits zwei Monate später wussten wir schon, dass unsere Tochter eine Mutation im SCN2A-Gen hat.
Ein breites Anfallsspektrum bei Mutationen im Gen SCN2A
Verbunden mit diesem Gendefekt sind u. a. auch epileptische Anfälle. Anfangs traten die schon oben beschriebenen infantilen Spasmen bzw. BNS-Anfälle auf. Darauf folgte eine sehr schlechte Phase mit 40-60 tonischen und manchmal auch tonisch-klonischen Anfällen pro Tag, teilweise mit Zyanose (= verminderte Sauerstoffsättigung im Blut). Mittlerweile krampft sie rein tonisch, keine Grand mal-Anfälle mehr, und das ca. einmal pro Woche. Unter Fieber eskaliert es aber doch immer wieder. Das ist allerdings nicht typisch für SCN2A. Sie nimmt derzeit drei anfallssuppressive Medikamente ein, die auch immer wieder von der Dosis her auf das Wachstum angepasst werden müssen. Das Spektrum an Anfällen ausgelöst durch eine SCN2A-Mutation ist allgemein sehr groß. Es kommen z. B. auch atonische Anfälle vor.
Kontakt zu anderen Familien – der Zufall half mit
Sofort nach der Diagnose versuchte ich, Kontakt zu anderen Familien aufzunehmen. Allerdings fand ich nur eine Facebook-Gruppe in den USA, die aber Familien aus allen Ländern auffing. Nun ist es natürlich nicht so einfach, über medizinische Themen und vor allem über seine Gefühle in einer fremden Sprache zu schreiben.
Über die Klinik lernte ich noch eine andere deutsche Familie kennen und tatsächlich über Freunde eine weitere. Es dauerte aber letztendlich drei Jahre, bis ich endlich eine größere deutschsprachige Anzahl an betroffenen Familien finden konnte – bedingt auch durch den glücklichen Umstand, dass ich zufällig ins Organisationsteam der ersten Europäischen SCN2A/SCN8A-Konferenz im Jahr 2021 aufgenommen wurde.
Viel Unterstützung erhielten wir auch immer durch das Kinderhospiz in Dudenhofen und den ambulanten Kinderpflegedienst Sterntaler.
Familienkonferenzen – eines der großen Vereinsziele
Ich wollte schon lange etwas im deutschsprachigen Raum aufbauen, denn es gab im Internet nur Veröffentlichungen auf Englisch. Da ich Biologie studiert hatte und mein Herz vor allem für die Molekularbiologie schlägt, war es mir natürlich ein großes Anliegen, Informationen auf Deutsch bereitzustellen (bestimmt auch hin und wieder zu detailliert – ich hoffe, das sieht man mir nach).
Die Organisation der europäischen Konferenz 2021 war der erste Schritt und mit dem folgenden Kontakt zu den anderen SCN2A-Familien kristallisierte sich schnell heraus, dass noch mehr Eltern etwas tun wollten. Es schlossen sich dann sieben betroffene Elternteile zusammen und gründeten den Verein.
Die erste Familienkonferenz fand im Gründungsjahr des Vereins im Jahr 2022 in Bonn statt. Dieses Treffen jährlich zu ermöglichen, ist eines unserer großen Vereinsziele.
Der Austausch bringt uns weiter und schweißt uns zusammen
Die SCN2A-bedingten Erkrankungen sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausprägung und damit auch die alltäglichen Herausforderungen, denen wir begegnen müssen. Da kann das Problem der einen Familie im ersten Moment ganz lapidar für die andere klingen, die vielleicht schon zum fünften Mal stationär im Krankenhaus ist und nicht weiß, wie viele Lungenentzündungen das Kind noch überleben wird. Das war anfangs tatsächlich schwierig.
Aber wir haben das thematisiert und der persönliche Austausch bringt nochmal einen ganz anderen Zusammenhalt. Man versteht die Sorgen der anderen besser, wenn man selbst sieht, wie es ist, wenn man sein autistisches Kind keine Sekunde aus den Augen lassen kann. Auch wenn vielleicht kein lebensbedrohlicher Anfall lauert, ist das dennoch eine enorme Belastung für die Familien. Und vor allem kann man sich viel besser unterstützen.
Diejenigen, denen es im Moment gut geht, können sich die Webinare anhören und Tipps zusammentragen, wofür andere Familien gerade keinen Kopf haben. Wir fühlen uns durch den Gendefekt wie eine Familie verbunden und unterstützen uns – jeder mit seiner Kapazität und seinen Fähigkeiten. Auch der direkte Kontakt zu den Spezialisten und deren Fachvorträge auf der Familienkonferenz sind natürlich Gold wert. Wir sind sehr froh über die große Unterstützung von Seiten der Ärzte durch Dr. Walid Fazeli und Dr. Markus Wolff.
Es gibt auch Positives
Ich habe die Langsamkeit entdeckt. Zumindest, solange ich mich um meine Tochter kümmere. Stress und Zeitdruck sind da kontraproduktiv. Es wird mir in diesen Momenten ganz bewusst, dass das „Durchs Leben hetzen“ für uns alle sicher nicht gut sein kann. Leider muss ich in den kurzen freien Phasen dann natürlich vieles nachholen.
Und ich habe durch diese Erkrankung viele ganz wunderbare Menschen kennenlernen dürfen – andere betroffene Familien, aber auch Pfleger, Ärzte, Therapeuten und Lehrkräfte, die unglaublich engagiert über ihre Arbeit hinaus sind.
Wünsche für die Zukunft
Als Verein wünschen wir uns endlich bessere Therapien für unsere Kinder – vor allem für diejenigen, die so schwer unter den Begleiterscheinungen des Gendefekts zu leiden haben: Die unzähligen Anfälle, schwere Magen-Darm-Probleme, die die Lebensqualität stark einschränken, teilweise Schmerzen, die sich gar nicht zuordnen lassen.
Für meine Tochter und uns als Familie wünsche ich mir sehr, dass sie sich besser mitteilen kann. Wir verstehen ihre Mimik und das ein oder andere Grummeln in winzigen Schritten immer besser. Sie lächelt auch mittlerweile viel mehr. Das macht uns alle sehr, sehr glücklich.
Mein Tipp für andere Eltern
Meine Tochter ist schwer mehrfachbehindert und ich habe mich am Anfang ganz schön verrückt machen lassen mit den ganzen Therapien, die wir doch angeblich alle durchführen müssen, um die Situation zu verbessern. Ich habe einige Jahre gebraucht, um zu lernen, dass die Therapien meiner Tochter Spaß machen müssen, dann bringen sie auch mir Freude – sonst haben sie in unserem Leben nichts verloren. Man muss nur leider die richtigen Therapeuten finden, was natürlich erst mal wieder viel Arbeit für uns Eltern bedeutet. Deshalb finde ich, darf man sich auf die wichtigsten „Baustellen“ konzentrieren.
Auch beim Thema Epilepsie gehen wir bei der Medikamenteneinstellung nur noch nach der Lebensqualität und nicht nach der Anzahl an Anfällen. Wir akzeptieren lieber ein paar Anfälle mehr, wenn sie dadurch wacher ist und mehr vom Leben hat. Das Gleichgewicht muss einfach stimmen.
Interview zusammengefasst von
Doris Wittig-Moßner
Kontakt:
SCN2A Germany e. V.
Hochdahler Str. 100
40724 Hilden
Facebook: SCN2A Germany
Instagram: scn2a_germany