Mein Weg mit Epilepsie
In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.
Hier die Geschichte von Alexander Aziz, 60, Heilpädagoge, Lehrer für Musik an einer Fachschule für Heilerziehungspflege, Instrumentallehrer für Ukulele und Trommeln, Musiktherapeut und Musikkabarettist.
Epilepsiediagnose:
- Anfallsform/-art: fokal
- Häufigkeit: selten und wenn nur nachts
- Erster Anfall: im Alter von 10 oder 12 Jahren
- Behandlung: medikamentös in verschiedensten Kombis, jetzt schon lange stabil die gleiche 2er Medikation
Wie war das in der Schulzeit? Wussten deine Mitschüler und/oder Lehrer von der Epilepsie? Haben dich die Anfälle in irgendeiner Form eingeschränkt?
In der Schulzeit hatte ich oft mit Müdigkeit zu kämpfen, was in entsprechend schlechten Noten resultierte. Aber in der Grundschule waren meine Gehbehinderung und Nachwirkungen der Halbseitenlähmung hinderlicher, die im Alter von zwei Jahren als Folge einer OP an einem Blutschwamm in der rechten Hirnhälfte entstanden waren. Ich konnte nicht überall mitmachen, war kein Cliquenmensch, sondern suchte mir handverlesene Freunde. Mich interessierten Gespräche mit Inhalt.
Vom Fortgehen ließ ich mich schon in jungen Jahren nicht abhalten. Bereits in der frühen Pubertät war mir klar: Seine Grenzen wahrnehmen und dann ganz vorsichtig überschreiten. Immer wieder aufstehen, stehen bleiben, sich spüren und weitergehen. Meine Eltern bezeichneten die epileptischen Anfälle immer als „Jackson-Krämpfe“– was auch so stimmt, aber das Wort „Epilepsie“ vermeidet. Im Nachhinein muss ich sagen, dass dadurch die Erkrankung nicht so in meinem Bewusstsein war, was sicher zu meiner Gesundheit beitrug. Ich glaube einfach, dass Worte laute formulierte Gedanken sind und die Psyche – und damit die ganze innere Einstellung – beeinflussen.
Bis zu meiner Pubertät wollte ich immer irgendwie normal sein. Während dieser Phase wurde mir klarer, dass ich nicht normal bin und normal auch kein erstrebenswertes Ziel mehr für mich war. Ich versuchte also immer wieder, eine Grenze zu überschreiten und mich in einer besonderen Ecke zu positionieren. Ich versuchte, das zu kultivieren, was andere nicht können. Ich machte Musik und gute Texte auf Bairisch und die Zeit spielte mir in die Hände. Es gab in den 70ern und 80ern viele Vorbilder wie Georg Danzer, Willy Michl, Konstantin Wecker, Wolfgang Ambros etc., die damals dieses Genre bedienten. Da meine rechte Hand nicht wirklich fit war und ich auch nicht genug übte, war (und bin) ich nur ein mäßiger Gitarrenspieler. Ich suchte mir also Leute, die das besser konnten und komponierte die Songs, schrieb die Texte und kümmerte mich ums Management. Leider zu wenig – ich arbeitete ja noch in Vollzeit.
Welche Ausbildung hast du absolviert? Konntest du deinen Berufswunsch verwirklichen oder musstest du Abstriche machen?
Mein Beruf (zuerst Heilerziehungspfleger) war mir genauso BerufUNG wie die Musik. Ich habe den Eindruck, dass ich viele Menschen mit Behinderung besser verstehen kann, d. h. mit was sie gerade zu kämpfen haben, und vielleicht deshalb einen Lösungsweg mehr aufzeigen kann als meine Kollegen ohne diese Erfahrung.
Später ergab sich die Ausbildung zum Musiktherapeuten und ich wurde als Fachkraft für Musiktherapie in Donauwörth in einer Förderstätte eingestellt. Nachdem ich für einige Jahre in München in einer Förderstätte in einer leitenden Position gearbeitet hatte, studierte ich Heilpädagogik in einem Vollzeitstudium und baute eine Trommelgruppe mit Menschen mit Behinderung auf. Anschließend entschied ich mich, der Liebe wegen, nach Miesbach zu gehen und arbeite bis dato dort in einer heilpädagogischen Tagesstätte als heilpädagogische Fachkraft.
Hatte die Epilepsie Auswirkungen auf dein Berufsleben?
Ja, sie hat mich qualifiziert! :-)
Gibt es zusätzlich zu deinen Anfällen Einschränkungen, die dich mehr belasten als diese?
Ich muss immer Sprechen und Instrumente üben, damit man mich versteht und damit ich mein Level halte.
2018 hatte ich noch einmal einen persönlichen Breakdown: Eine Gehirn-OP am Stammhirn – ich konnte erst mal weder schlucken noch gehen. Aber nachdem ich ja wusste, dass ich das als kleines Kind auch schon überstanden hatte, war ich unerschütterlicher Hoffnung, dass ich es jetzt wieder schaffen würde. Diese »Glücksentschiedenheit« ist auch ein Teil meines Musikkabaretts geworden. Dazu passt auch ein weiteres Motto von mir: »Wenn du glücklich sein willst, dann sei glücklich. Es ist deine Entscheidung!«
Wie gehst du heute mit der Erkrankung um? Verbindest du evtl. damit auch etwas Positives?
Für mich ist diese eher leichte Form der Epilepsie, d. h. ohne Bewusstseinsverlust und auf den Abend bzw. die Einschlafzeit beschränkt, eine Art Sicherungskasten. Jede gute, etwas kompliziertere Maschine hat einen solchen Sicherungskasten bzw. sollte so etwas haben. Er erinnert mich immer an meine derzeitigen Grenzen. Man lernt seinen Körper und die Reize, auf die man selber am ehesten reagiert, gut kennen. Trotzdem halte ich nichts von Vermeidung. Ich – und dazu gehört eindeutig mein Körper – bin ein ständig Lernender und durch Vermeidung lernt man nichts. Ich weiß, dazu braucht man Mut. Mut ist, wenn du Angst hast und es trotzdem machst. So wie ich versuche, so oft wie möglich aufzutreten, obwohl ich mich »einscheiß‘« vor Lampenfieber.
Gibt es etwas, was du anderen Betroffenen noch sagen möchtest zum Thema Epilepsie oder was liegt dir generell am Herzen?
Erst mal kann ich nicht von mir auf andere schließen, deshalb muss jeder selbst entscheiden, was er bzw. sie tut.
An die Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher: Fördert euer Kind, wo es geht. Bleibt dran, dosiert Pausen und Aktion gut. Euer Kind wird es euch danken. Vor allem dann, wenn es etwas Besonderes für sich selbst herausgefunden hat, was mehr oder anders ist, als normal zu sein und was es dann macht. Da geht es um Identifikation und Selbstwertgefühl.
An die Betroffenen: Fühlt euch nicht so betroffen. Es gibt mehr als das Thema Epilepsie in eurem Leben. Fordere immer wieder dich und deinen Körper und wenn’s dich umhaut, steh‘ wieder auf. Immer wieder und immer wieder. Die Grenze, die du gerade spürst, ist nicht für immer an dieser Stelle. Gehe mit deiner Angst als wäre sie ein Begleiter, kein Beherrscher. Du hast in deinem Leben die Führung und sonst niemand.
Raus aus der Komfortzone, runter vom Sofa – außer du bist wirklich müde. Man kann auch aus „Überentspanntheit“ Anfälle kriegen, wenn der Körper an nichts mehr gewöhnt ist. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen Entspannung und Anspannung. Wenn die Neuronen nichts zu tun haben, machen sie Mist – wie Schüler ohne Lehrer in einem Klassenzimmer.
Das Leben ist meistens schön und wenn du schon mal so richtig schlechte Tage erlebt hast, weißt du, dass gute Tage schon viel früher anfangen. Anders gesagt: Jeder normale Tag kann ein genialer Tag werden, wenn du ihm die Chance dazu gibst. Du siehst einfach das kleine Glück schneller. Das ist Lebensqualität, für die ich Gott jeden Tag mindestens einmal dankbar bin.
Interview zusammengefasst von
Doris Wittig-Moßner
Kontakt & weitere Infos:
In der ARD-Mediathek ist ein Beitrag des BR-Fernsehens zu einem Auftritt von Alex Aziz und seiner Trommelgruppe aus dem Heilpädagogischen Zentrum zu finden.
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