Es hört nie auf ... !

Schuldgefühle von Müttern besonderer Kinder
Als eine esotherisch orientierte Bekannte mir erklärte, dass ihrer Meinung nach meine Tochter nur behindert ist, weil ich vor der Schwangerschaft durch meine Gedanken diese Behinderung herbeigedacht hätte, waren sie wieder da: die Schuldgefühle! So irrational die Aussage meiner Bekannten auch sein mochte, die Gefühle ließen sich davon nicht beeindrucken.

Seit der Frühgeburt von Manuela sind die Schuldgefühle - mehr oder weniger intensiv - lebensbegleitend.

Als Heilpädagogin komme ich oft mit Müttern besonderer Kinder ins Gespräch. Und sehr oft taucht das Thema Schuld, von Aussen kommende Schuldzuweisungen und Schuldgefühle auf.

Jemandem die Schuld und Verantwortung zuzusprechen ist so einfach. Und gerade bei Müttern besonderer Kinder scheinen diese Äusserungen auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Die Liste der Überlegungen von Müttern besonderer Kinder zu eigenem Schuldverhalten ist lang: Sie beginnt mit Überlegungen zu "falschem" Verhalten in der Schwangerschaft und scheint fast endlos zu sein. Egal, ob die Geschwisterkinder in der Schule Probleme haben, das besondere Kind einfach keine Lust mehr auf Therapie hat, ob Freunde sich beschweren, weil kaum noch Zeit für gemeinsame Unternehmungen da ist: immer nagt dabei auch ein Schuldgefühl an der Mutter. Dies scheint ein frauenspezifischer Problembereich zu sein, der mit einer fehlenden Abgrenzung und erhöhter Verantwortung für Nahestehende einher geht.

Um diese intrapsychische Konfliktsituation der Mütter besonderer Kinder noch zu verschärfen kommen dann die verschiedensten Schuldzuweisungen von Aussenstehenden. Und da ist die Bandbreite der Äusserungen regelrecht phantastisch, atemberaubend und verletzend!

Hierzu die Aussage einer betroffenen Mutter: Hierzu die Aussage einer betroffenen Mutter: "So ein Müll! Ich find es super daneben, einer Mutter so etwas zu sagen. Zumindest von mir kann ich sagen, dass ich mir solche Gedanken selbst schon gemacht habe. Ich weiß, es ist daneben, aber ich finde, die Umwelt sollte lieber dazu beitragen, dass man solche Gedanken überwindet und sie nicht noch zusätzlich anheizen."

Ein Blick auf die Entwicklungspsychologie - mit der Betonung auf die Auswirkungen der frühen Mutter-Kind-Beziehung auf die Entwicklung des Kindes - lassen die hohen Anforderungen an eine gelungene Mutter-Kind-Beziehung deutlich werden. Und gleichzeitig sehe ich hier eine große Gefahr der pauschalisierenden Schuld- zuweisung an die Mütter, wenn in der Entwicklung des Kindes etwas nicht "normal" verläuft.

Egal, wie sehr die Mutter sich auch bemühen mag, sie ist immer wieder der "Gefahr" von Schuldzuweisungen eines Mitmenschen ausgesetzt.

Eine Aufgabe der Mutter eines besonderen Kindes kann darin liegen, sich diese Schuldgefühle bewußt zu machen, sie explizit zu benennen, zu hinterfragen und soweit möglich objektiv und realistisch zu betrachten. Hilfreich kann hier die Begleitung von Fachleuten und/oder Gespräche mit den im Zusammenhang mit dem Schuldgefühl stehenden Personen sein.

Eine veränderte Sichtweise zu eigenen und sozialen Erwartungen an die Mutterrolle kann helfen, mit diesen Gefühlen umzugehen bzw. diese abzubauen. Gesteigerte Selbstsicherheit und erhöhtes Selbstwertgefühl stehen in direkter Wechselwirkung mit einer Abnahme der Schuld- gefühle.

Abschließend möchte ich zwei Zitate wiedergeben, die den Müttern besonderer Kinder Mut machen können, um aus diesem Sumpf an Schuldgefühlen heraus zu finden:

"Die Schwierigkeit für die Mütter dürfte darin liegen, dass es nicht darum geht, Schuldgefühle zu vermeiden, sondern einen anderen Umgang damit zu praktizieren. Das bedeutet, die Schuldgefühle nutzbar zu machen, um an diesen zu erkennen, was sie dem eigenen Leben gegenüber schuldig geblieben sind bzw. bleiben." (Monika Jonas in "Behinderte Kinder - behinderte Mütter?" (Fischer-Taschenbuch Verlag 1994).

"Es liegt in dem immer lauernden Schuldgefühl für eine Frau die Aufforderung zur Autonomie, zur Selbständigkeit in jeglicher Hinsicht." (Mathias, Wais in "Biographie-Arbeit" Verlag Urachhaus).

Dorothea Wolf-Stiegemeyer