Jana, Epilepsie, die Ärzte, Schule und wir Eltern ...

Nein, ein Team sind wir wahrhaftig nicht, denn dazu haben wir viel zu verschiedene Interessen, je länger wir miteinander zusammen sind. Aber an einem Strang ziehen, sich auf ein Therapiekonzept einigen und einige wenige Grundsätze beim Tun beherzigen, dazu sind wir um unserer Tochter Jana willen nun mal verdammt.

Jana, * 3. 12. 1981, seit Geburt multifokale Epilepsie, besucht die Bodelschwinghschule für geistig Behinderte in Nürtingen, zwei Geschwister (14 und 12 Jahre).

Auf dem langen Weg durch viele Warteräume, Umkleidekabinen und Sprechzimmer, vor allem aber in der Begegnung mit einigen guten Ärztinnen und Ärzten haben sich die folgenden Gedanken gebildet.

Eltern erleben viel häufiger und intensiver die Anfälle ihres Kindes als der Arzt. Es ist seine Aufgabe, sowohl dieses emotionale Erleben der Eltern aufzunehmen als auch ihnen ein objektivierbares Beobachtungsraster an die Hand zu geben, dass in der Beziehung Eltern - Arzt für eine Diskussion der Situation und für die Beurteilung des Anfalls taugt (z. B. epikurier Betreuungsbogen, erhältlich beim Landesverband Bayern e. V.).

Ärzte sollten Eltern klar und deutlich ihre Grenzen der Diagnose und der Therapie darstellen. Die Aussage von Prof. Dr. R. Kruse (Epilepsiezentrum Kork) "Das weiß ich nicht! Das kann ich Ihnen nicht beantworten!" hat mir mehr geholfen, als ein medizinischer Vortrag, den ich nur mit Mühe und medizinischem Wörterbuch verstehen kann. Wenn ein Arzt die Grenzen seiner therapeutischen Möglichkeiten gegenüber den Eltern zugeben kann, können Eltern auch mit dem Mißerfolg einer Therapie besser umgehen und der Arzt ist für sie glaubhafter in seinem Bemühen.

Ärzte sollten ihre Diagnose und Therapie den Eltern in klaren und verständlichen Wörtern und Sätzen mitteilen.

Ärzte sind beim Therapieerfolg bekanntlich auf die Mitarbeit der Patienten bzw. bei Kindern auf die Mitarbeit der Eltern angewiesen. Deshalb liegt es in ihrem therapeutischen Auftrag und ihrem Interesse, die Eltern ernst zu nehmen und sie als mündige Partner in dem Therapieprozess zu begreifen und sie in ihrem Selbstbewußtsein in diesem Bereich zu fördern. Mit mündigen und selbstbewußten Partnern kann man mehr erreichen, in verbindlicher Weise Ziele angehen und die Vereinbarungen werden eingehalten. Das erfordert viel Zeit.

Eltern müssen die Therapie akzeptieren und mittragen. Dazu müssen sie auch die Verantwortung übernehmen, die ihnen niemand abnehmen kann. Eine gute Ärztin/ein guter Arzt hilft ihnen, diese Verantwortung zu tragen.

Eltern sind auf Beurteilungen und Einschätzungen der Ätzte angewiesen. Insbesondere auf Beurteilungen, die über den engen medizinischen Horizont hinausgehen und ganzheitlich sind. Denn es ist wichtig für mich und meine Tochter, meine subjektive Erfahrung und Haltung immer wieder der Beurteilung durch Aussenstehende zu stellen.

Was ist "normales" Verhalten eines 17 jährigen Mädchens? Wo sehe ich "spezifisches" Verhalten einer epilepsiekranken Jugendlichen? Wo ist das Verhalten meiner Tochter Ergebnis meines übertriebenen Sicherheitsbedürfnisses? Wo sollte ich meiner Tochter mehr zumuten, mich mehr zurücknehmen?

In diesen Korrekturspiel sind Gespräche und Kontakte mit anderen Eltern behinderter Kinder und nicht behinderter Kinder enorm wichtig. Denn in solchen Gesprächen prallen verschiedene Interessen aufeinander, und nur viel Vertrauen der Gesprächspartner kann eine Atmosphäre des Zuhörens, Verstehens und Annehmens schaffen.

Eltern sind "lnformationszentrale" für die Probleme ihrer Kinder. Bei ihnen laufen die Informationen der Ärzte (Hausarzt und Facharzt), der Krankengymnastin, des Logopäden, des Betreuers, der Lehrerin etc. zusammen. Sie müssen leisten, diese Informationen einzufordern (Kopie der Berichte der Ärzte verlangen, ggf. Kopie der Laborwerte für Blutspiegel etc.), diese zu sammeln und weiter zu geben.

Immer dann, wenn uns eine starke Partnerin/Partner (Ärztin, Lehrerin, Erzieherin, Freund/Freundin, Mitarbeiter beim Familienentlastenden Dienst der Lebenshilfe etc.) zur Seite standen oder stehen, dann verändert sich etwas, dann sind Fort- schritte zu verzeichnen, bei unserer Tochter Jana, in unserer Familie und bei uns selbst. Dann stimmt das miteinander überein: Selbstvertrauen in die nahe Zukunft zu entwickeln und Verantwortung für die nächsten Schritte zu übernehmen.

Christian Birzele-Unger, Weilheim