Sind Epilepsie- Beratungsstellen notwendig?

Von 500.000 Menschen haben 0,68 % eine aktive Epilepsie, ca. 200.000 davon sind unter 16 Jahre alt sind. Nur etwa 25 % aller Menschen mit einer Epilepsie - d.h. 125.000 - sind länger als 3 Jahre anfallsfrei. (Epilepsie-Kuratorium: Epilepsie- bericht ' 98, Berlin 1998, S.12).
Damit handelt es sich bei der Epilepsie um die häufigste chronische Krankheit des zentralen Nervensystems.
Das Epilepsie-Kuratorium weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass "... Epilepsiekranke aber nach wie vor im beruflichen und sozialen Leben benachteiligt und diskriminiert werden und häufig noch nicht in den Genuss der heute verfügbaren Behandlungs- und Fördermöglichkeiten kommen. Das bestehende Versorgungssystem weist noch erhebliche Lücken und Schwachstellen auf." (vgl. ebenda, S. 12).

Das größte Problem für Menschen mit einer Epilepsie sind tatsächlich oft nicht die Anfälle selbst, sondern die Belastungen psychischer und sozialer Art, die sich aus der Erkrankung ergebenden: z.B. durch Schwierigkeiten in der Schule, während der Ausbildung oder Umschulung, am Arbeitsplatz, durch Arbeitslosigkeit, finanzielle Notlagen, Überforderungssituationen, familiäre Krisen und dergleichen. Das kann Einfluss auf die gesamte Lebensqualität haben und zwar in negativer Richtung.
Eine rein medizinische Behandlung der Epilepsie ist deshalb oft nicht ausreichend, es müssen auch die psychosozialen Komponenten der Erkrankung berücksichtigt werden, dazu ist wiederum eine epilepsiespezifisch orientierte sozialprofessionelle Beratung und Unterstützung notwendig.

Eine adäquate Behandlung und Beratung von Menschen mit einer Epilepsie soll durch ein gestuftes Versorgungssystem sichergestellt werden, dieses wird inclusive der geforderten Personalausstattung im Epilepsiebericht ' 98 in ausführlicher Form dargestellt (ebenda, S.112 ff), im Folgenden eine kurze Übersicht:

 

Stufe 1:     primärärztliche Versorgung durch Haus-oder KinderärztInnen


Stufe 2:     Ambulante Standarddiagnostik, Beratung und Therapieeinleitung durch niedergelassene FachärztInnen


Stufe 3:     Behandlung und sozialmedizinische Betreuung von Menschen mit einer schwer behandelbaren Epilepsie bzw. mit zusätzlichen Beeinträchtigungen in Epilepsieambulanzen als regionale Spezialeinrichtungen mit interdisziplinärer Personalausstattung (epileptologisch ausgebildete FachärztInnen, PsychologIn, SozialarbeiterIn).


Epileptologische Schwerpunktpraxen, die sich in Arbeitsweise und Ausstattung an den Ambulanzen orientieren (s.o.).


Teilstationärer Behandlung in Tages- oder Nachtklinik mit interdisziplinärer Personalausstattung (epileptologisch ausgebildete FachärztInnen, PsychologIn, SozialarbeiterIn).


Neurologische/Pädiatrische Kliniken, Abteilung mit Epilepsieschwerpunkt und mit Epilepsieambulanz mit interdisziplinärer Personalausstattung (epileptologisch ausgebildete FachärztInnen, PsychologIn, SozialarbeiterIn).


Stufe 4:     Epilepsiezentren als überregionale Einrichtungen mit einem interdisziplinären Team (neben Fachärzten mit epileptologischer Zusatzausbildung und psychiatrischer Kompetenz müssen die Disziplinen Psychologie und Neuropsychologie, bildgebende Diagnostik, MTA-F, Sozialwissenschaft und Sozialarbeit, Ergotherapie, ggf. Pädagogik vertreten sein).


Die Angebote innerhalb dieses Versorgungssystems sind regional noch sehr unterschiedlich ausgeprägt, teilweise ist der Zugang zu einer adäquaten epileptologisch orientierten Behandlung und Beratung für die Betroffenen eher schwer zu erreichen.

Ganz besonders gilt dies aber für die psychosoziale Versorgung mit professionellen Beratungsangeboten durch epilepsiespezifisch arbeitende SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen:

  • Mit Ausnahme des Bundeslandes Bayern stehen derzeit spezialisierte sozialprofessionelle Beratungsangebote für Menschen mit einer Epilepsie nur gebunden an bestimmte Einrichtungen/Insititutionen (Kliniken, Heime/Wohn- gruppen, spezielle Ausbildungsstätten etc.) zur Verfügung, d.h. nur die dort angebundenen Personen können auch beraten und unterstützt werden.
  • Kliniken haben weiterhin Schwierigkeiten, die erforderliche Personalstellen im Bereich Sozialarbeit/Sozialpädagogik zu besetzen, denn die Bezahlung "nicht-ärztlicher Leistungen" ist nur ungenügend im Regelwerk der Krankenkassen berücksichtigt. Mit der Einführung der "DRG's" (= Fallpauschalen für die stationäre Behandlung) wird diese Situation noch verschärft werden.
  • Die Kosten für sozialarbeiterische Leistungen in Ambulanzen können überhaupt nicht abgerechnet werden, denn diese sind nicht in der Behandlungspauschale für die klinisch-ambulante Behandlung enthalten. Dadurch ist die Ausstattung der Ambulanzen mit in Rehabilitationsfragen erfahrenen und epilepsiespezifisch arbeitenden SozialarbeiterInnen weiterhin mangelhaft, wie auch das Epilepsie- Kuratorium feststellt.
  • PatientInnen von niedergelassenen ÄrztInnen (Fach-, HausärztInnen) haben keinerlei Zugang zu sozialprofessioneller Beratung durch epilepsiespezifisch orientierte Sozialarbeit/Sozialpädagogik, der überwiegende Teil der epilepsiekranken Menschen wird aber von niedergelassenen ÄrztInnen behandelt.


Besonders Menschen mit einer schweren Epilepsie, mit zusätzlichen Beeinträchtigungen oder mit massiven und schon lange andauernden psychosozialen Schwierigkeiten benötigen aber ein kontinuierlich vorhandenes spezielles Beratungsangebot, damit eingliedernde Maßnahmen adäquat begleitet und koordiniert, also "gemanaged" werden können.
Fehlt dieses spezielle Beratungs- und Unterstützungsangebot, können z.B. die in Spezialeinrichtungen eingeleiteten (re)integrative Maßnahmen nicht ausreichend begleitet und koordiniert werden. Wenn die Bedingungen im Alltag aber gleich ungünstig bleiben, kann dies wiederum die erreichten Behandlungserfolge gefährden.
Der Abbruch beruflicher Ausbildungen, die Einleitung von Erwerbsminderungsrenten, (Langzeit-) Arbeitslosigkeit, soziale Isolation und psychische Probleme sind nur einige Folgen fehlender, verspäteter oder zu kurzfristig angelegter Beratung. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist dies sicherlich mit höheren Kosten verbunden, als die Finanzierung von speziellen unterstützenden Beratungsangeboten.
Epilepsie-Beratungsstellen sollen zwar an (medizinische) Einrichtungen angebunden werden, aber nicht weisungsgebunden sein, d.h. sie sollen unabhängig agieren und beraten können.
Sie kooperieren mit Epilepsiezentren und Rehabilitationskliniken und führen die dort eingeleiteten rehabilitativen Maßnahmen fort, begleiten und koordinieren diese.
Vor allem beziehen sie aber alle ambulant behandelte Menschen mit einer Epilepsie und deren Angehörige innerhalb einer Region ein. Sie kooperieren mit Epilepsie-Ambulanzen, Schwerpunktpraxen und niedergelassenen ÄrztInnen und gewährleisten durch diese Kooperation eine interdisziplinäre Behandlung unter ganzheitlichen Gesichtspunkten.
Integrative und re-integrative Maßnahmen können zu einem stabilen Ergebnis gebracht werden, denn um die gesamte Lebensqualität dauerhaft zu verbessern, ist ein zeitlich individuell abgestimmter Kontaktverlauf erforderlich, der unter Alltagsbedingungen statt findet und damit weit über eine mögliche stationäre Beratung und Unterstützung hinausgeht.

Ingrid Coban, Berlin