OP - die allerletzte Möglichkeit ?!

Als unsere Tochter mit 6 Monaten schwer zu krampfen begann, hätten wir nie - in unserem grenzenlosen Albtraum - auf ein glückliches Ende gehofft.

Wie schon anfangs beschrieben, begann bei unserer kleinen Tochter Lilly ab dem ca.6 Lebensmonat eine nicht endend wollende Medikamenten-Odyssee. Nicht zu beschreiben, was das ständig krampfende Kind, sondern auch alle anderen Familienmitglieder an psychischen Schmerz, Seelenleid und Trauer durchmachen mussten.

Leider stellte sich nach und nach heraus, dass unsere Tochter an einer nicht einzustellenden Epilepsie litt. Die Konsequenz daraus war, dass viele Krankenhausaufenthalte folgten und noch mehr Untersuchungen (Kernspin, Monitoring, PET usw.).
Sicher werden viele betroffene Eltern zustimmend mit dem Kopf nicken, wenn ich beschreibe, dass man an manchen Tagen (wohl an den meisten )dachte :" Wo soll das alles noch hinführen? Warum können wir unserem Kind so gar nicht helfen?" WAHNSINNIGE ANGST!!!!!!!

Im März 2002 folgte ein 10-tägiges Monitoring im Behandlungszentrum Vogtareuth unter Aufsicht von Herrn Dr.Holthausen und Herrn Dr.Pieper.
Diagnose: linksseitige Temporallappendysplasie.
Wie uns die Vergangenheit zeigte bei Lilly absolut nicht mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Aufgrund Ihrer Anfallsbereitschaft und geistigen Entwicklung (mit 3 Jahren auf dem Stand von 12 Monaten) wäre eine OP höchst ratsam. Die Ärzte teilten uns das so einfühlsam , wie überhaupt möglich , mit. Unser Schock saß tief. Wie ein Film lief alles vor uns ab. Die Bilder vor unserem geistigen Auge waren: Ein geöffneter Schädel, freigelegtes Gehirn, Intensivstation und viele, viele Ärzte mit grünen Kitteln in gleißendem Licht um den kleinen Körper unseres Kindes versammelt. UNSERES KINDES!!!!!!! Einfach unvorstellbar. Die Worte gewannen für uns an höchster Bedeutung. Horror pur !!!
Das sollte also der entsetzliche Höhepunkt einer anfänglichen fokalen Epilepsie sein.

Gelähmt im Kopf wurden wir aus dem Krankenhaus entlassen. Unser Inneres trug Trauer.

Aufgrund unserer gut 2 jährigen Epilepsierecherche wussten wir wohl, dass Dr.Holthausen in Vogtareuth das "non-plus-ultra" der pädiatrischen Neurologie war, aber trotzdem waren wir noch nicht bereit über eine OP nachzudenken. Ganz im Geheimen hofften wir doch noch auf das helfende Medikament.

Fakt war, dass es unserer Tochter von Tag zu Tag schlechter ging. Das einzige was Ihr noch über den Tag half waren Diazepam und Frisium. Sie wurde derart von den Anfällen gebeutelt, dass wir manchmal dachten, dass sie das unmöglich noch lange aushalten kann. Uns wurde klar, dass es keine andere Entscheidung gab. Wir waren Ihr das ganz einfach schuldig.

Sehr schnell wurde eine Fallkonferenz einberufen und ein OP-Termin festgelegt. Mittlerweile waren wir froh, dass wir überhaupt die Möglichkeit hatten unser Kind operieren zu lassen.. Nach intensivsten medizinischen und psychologischen Aufklärungsgesprächen war es dann soweit. Am 16 September 2002 wurde unsere kleine Lilly morgens um 7h30 in den OP gerollt. Ich muss wohl nicht näher beschreiben was in uns Eltern in diesem Moment vorging.

Wird Sie die OP gut überstehen?
Wird eine rechtsseitige Körperschwäche bleiben?
Wie wird Sie mit dem eingeschränkten Sehfeld umgehen können?

Alles schlug über unserem Kopf zusammen.

Jetzt ist es Dezember. Ich sitze hier auf meinem Sofa und schreibe dies für Eltern, welche vielleicht vor einer ähnlichen Situation stehen und genauso wahnsinnige Angst haben, wie wir sie hatten.

Lilly liegt in ihrem Bettchen beim Mittagsschläfchen und hat seit dem 16.September keinen einzigen Anfall mehr gehabt. (Vor der OP 1-3 Anfälle täglich!) Sie kann genauso rennen wie vorher (eigentlich noch besser) und mit Ihrer rechten Hand ganz genauso wie mit Ihrer Linken zielstrebig nach Ihren Süßigkeiten greifen. In ihrem kurzen geschundenen Leben war Sie nie so glücklich und endlich auch verdient unbeschwert. Wir alle haben ein neues Leben geschenkt bekommen.

Vor ca.30 Jahren hätte unsere Tochter nicht so eine Chance gehabt und wie lapidar das jetzt auch klingen mag. aber wir sind froh das die Medizin so weit fortgeschritten ist und sich somit jetzt auch viel mehr an das Mysterium "Gehirn - OP" wagt.

Bei all unseren Ängsten, die Eltern in solchen außerordentlichen Situationen haben, sollten wir auch an unser Kind denken, was nicht selbst für sich entscheiden kann. Für eine vielleicht anfallsfreie oder zumindest Anfalls eingeschränkte daraus resultierende bessere Zukunft.

Unserem, von ganzem Herzen kommenden Dank gilt

Dr.Holthausen, Dr.Pieper, Dr.Kolo und dem restlichen OP Team

Petra, Manfred, Michelle und Lilly Riedel
Wartenberg 14.12.2002