Epilepsie:

Mehr Wissen und anders Handeln durch PEPE
Teil I


Erfahrungen mit der psychoedukativen Epilepsieschulung "PEPE" für lern- und geistig behinderte Menschen. Mit einer Anregung.

Epilepsien sind häufig
Frank S. lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft und arbeitet in der ortsnahen Werkstatt für behinderte Menschen. Herr S. ist froh, dass er "nicht ganz alleine dasteht" mit seiner Epilepsie, "andere in der Werkstatt haben auch Anfälle." Wie Frank S. erkranken cirka 20% aller geistig behinderten Menschen chronisch an der "sekundären Behinderung" Epilepsie - im Bevölkerungsdurchschnitt sind es "nur" etwa 0,7% (vgl. Wolf 2003, S. 255). Bei Schwerstmehrfachbehinderten liegt der Anteil der epilepsiekranken Menschen gar bei geschätzten 35%.

In der Regel sind die geistige Behinderung und die Anfallserkrankung ursächlich in einer angeborenen oder im Rahmen der Geburt erworbenen Hirnschädigung. Nur bei seltenen "katastrophalen Epilepsien" sind es die therapeutisch kaum beeinflussbaren, intensiven und häufigen epileptischen Entladungen im Gehirn, die zu einer geistigen Behinderung führen. Generell gilt, dass Epilepsien das Ausmaß der Behinderung wesentlich mit bestimmen können.

Anfälle belasten
Tanja B.: "Ich habe ja selten einen Anfall, vielleicht einmal im Jahr. Den letzten hatte ich im Wohnheim. Das war für mich ganz schlimm. Nach dem Anfall sagte der Zivi, es sei alles schon vorbei, nichts passiert und ja alles nicht so schlimm. Da war ich richtig sauer auf den."

Besonders aus drei Gründen belasten epileptische Anfälle:

  • ein Anfall tritt überraschend auf;
  • es kommt häufig zum Verlust der Bewusstseins- und Haltungskontrolle;
  • die sonst unsichtbare Erkrankung wird mit dem Anfall sichtbar (vgl. Schmid-Schönbein 1998, S. 261).


Da Anfälle "aus heiterem Himmel" auftreten, entwickeln Betroffene oft eine "Hab-acht-Haltung." Konkrete negative Erfahrungen können die Unsicherheiten verstärken, zum Beispiel nach Sturzanfällen oder nach Verletzungen im Haushalt (Kochen). Erlebte lebensbedrohliche Situationen (Straßenverkehr, Schwimmen) können im Extrem zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Ein zentrales Problem bleibt für Viele das Sichtbarwerden der Erkrankung. Eine Jugendliche bekam zum Beispiel ihren ersten Anfall im Schulhof, "...da wusste es gleich die ganze Schule!" Die geschilderten Auswirkungen der Epilepsie auf die gesamte Lebenssituation geistig behinderter Menschen verdeutlichen, dass die alleinige medizinische Behandlung oft nicht ausreicht. Gefragt sind psychoedukative Formen der Krankheitsbewältigung.

Was ist Psychoedukation?

Psychoedukative Ansätze basieren auf zwei Säulen: Erstens vermitteln sie zentrale Informationen zur Erkrankung ("Wissen") und zweitens Fertigkeiten zur Bewältigung der krankheitsbezogenen Probleme ("Verhaltensänderung"). Die präventiven und rehabilitativen Anteile der Psychoedukation streben eine Stabilisierung der Krankheit und die Teilnahme der Betroffenen am gesellschaftlichen Leben trotz der Erkrankung an. Kurz: Psychoedukation zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität.

Im deutschen Sprachraum ist Psychoedukation ein relativ junger Begriff (vgl. Buttner 1996, S. 5). Er charakterisiert Behandlungsansätze, die vor allem bei chronischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Diabetes, Asthma und seit einiger Zeit auch bei Epilepsie zum Einsatz kommen.

Es gibt verschiedene psychoedukative Programme, die sich bezüglich ihrer Herkunft, den Methoden und Zielen teils erheblich unterscheiden. Sie reichen von der bloßen Vermittlung von Information bis zu komplexen Interventionen, werden entweder stationär oder ambulant, mit Angehörigen oder ohne durchgeführt (vgl. Buttner 1996, S. 30ff; Petermann/Lecheler 1992; Petro 1989). Da sich die Psychoedukation auf die pragmatische Problembewältigung konzentriert, grenzt sie sich "gegen beziehungsorientierte Ansätze psychotherapeutischer Verfahren ab. Im Unterschied zu Selbsthilfegruppen spielen Experten eine zentrale Rolle." (vgl. Buttner 1996, S. 5).

Gemeinsam ist den Programmen, dass die aktive Mitarbeit chronisch kranker Menschen als "Experten in eigener Sache" das zentrale Element einer wirksamen Salutogenese ist. Die Schulungsteilnehmer1 sind gleichberechtigte, kompetente und entwicklungsfähige Kommunikationspartner. Der pädagogische Rahmen setzt die Veränderlichkeit und Entwicklungsfähigkeit der Teilnehmenden voraus, ohne die es keine Aussicht auf Rehabilitation gäbe (vgl. Buttner 1996, S. 22).

Psychoedukation für epilepsiekranke Menschen mit lern- und geistiger Behinderung
Aktuell existieren in Deutschland mit "MOSES" und "PEPE" zwei psychoedukative Schulungsprogramme für Erwachsene mit Epilepsie. MOSES (Modulares Schulungsprogramm Epilepsie) ist für epilepsiekranke Menschen ohne weitere Behinderungen konzipiert, eignet sich aber auch für lernschwache Menschen (vgl. Wohlfahrth b) 1998, S.297). Das bereits wissenschaftlich evaluierte MOSES-Programm stieß bei den Teilnehmern auf hohe Akzeptanz und regte deutlich zu Verhaltensänderungen im Umgang mit der Erkrankung an (vgl. Pfäfflin/May 2001). Auch unter dem integrativen Aspekt sollte beachtet werden, dass man lernbehinderten Menschen die Teilnahme am "normalen" MOSES-Programm ermöglicht. Für Menschen mit geistiger Behinderung kann MOSES nach unserer Erfahrung allerdings erst dann eingesetzt werden, wenn es unter heilandragogischen Gesichtspunkten den speziellen Bedürfnissen der Zielgruppe angepasst wird (vgl. Brodisch 2000, S. 16ff.)

Mit PEPE ist im Jahr 2000 nun erstmals ein Schulungsprogramm auf den Markt gekommen, das sich speziell an den Bedürfnissen lern- und geistig behinderter Menschen orientiert. Entwickelt wurde es vom Heimbereich der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Zusammenarbeit mit den Studiengängen Sozialwesen und Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld (vgl. Huber/Seidel 2003, S. 59). In acht Kurseinheiten à zwei Stunden werden unterschiedliche medizinische und psychosoziale Themen behandelt.

Wer als Kursleiter PEPE durchführen möchte, muss vorab an einer Trainerschulung teilnehmen. Praktische und theoretische Kenntnisse in der Behandlung und Betreuung von Menschen mit Epilepsie sollten mitgebracht werden. Bei den geistig behinderten Kursteilnehmern wird vorausgesetzt, dass sie sich verbal mitteilen und etwas lesen und schreiben können.

Pepe und Pepa - Partner mit Epilepsie
Pepe und seine Freundin Pepa sind beide an Epilepsie erkrankt. Sie wollen selbständiger werden und in eine eigene, betreute Wohnung ziehen. Aber vorher möchten sie ihre Epilepsie "in den Griff bekommen" und an einem Epilepsiekurs teilnehmen. In allen Kursmodulen setzten sich Pepe und Pepa mit ihren eigenen Meinungen und Sorgen auseinander und finden schlussendlich zu der Entscheidung, trotz der Epilepsieerkrankung eine eigene Wohnung beziehen zu können.

Die Kursteilnehmer werden in alle Fragen und Probleme, die Pepe und Pepa ansprechen, aktiv in die Diskussion einbezogen. Sie informieren sich über ein Grundwissen zu Epilepsien und über ausgewählte psychosoziale Fragestellungen, zum Beispiel welche Vorurteile es über epilepsiekranke Menschen gibt und wie sich die Erkrankung auf Arbeit, Freizeit oder Partnerschaft auswirken kann.

Als Ziele verfolgt PEPE, dass die Teilnehmenden

  • ihr Basiswissen zu Epilepsien vertiefen und damit ein differenzierteres Krankheitsverständnis gewinnen;
  • ein krankheitsgerechtes und gesundheitsförderndes Verhalten erlernen, etwa die regelmäßige Medikamenteneinnahme oder der Umgang mit möglichen anfallsbedingten Einschränkungen im Alltag;
  • einen kompetenten Umgang mit den Erfordernissen der Behandlung erwerben und als eigenverantwortlicher Partner an der Behandlung mitwirken (Compliance);
  • die Erkrankung und deren Folgen psychisch bewältigen, zum Beispiel durch die Förderung von Autonomie und eines positiven Selbstkonzeptes ("Umgang mit Vorurteilen") (vgl. Huber/Seidel 2003, S. 60).


Pepe hat einen Anfall
...und seine Freundin Pepa kommt ins Zimmer gelaufen. Sie sieht Pepe krampfend am Boden liegen. Pepa fragt aufgeregt und hilflos "Pepe, was ist los? Was soll ich denn bloß tun? Was soll ich denn bloß tun?"

Die Akteure Pepe und Pepa leben in den Filmbeiträgen ihre Krankheitserfahrungen und deren Verarbeitung aktiv vor ("Lernen am Modell"). Die Anfalls-Szene mit Pepe und seiner hier hilflosen Ersthelferin Pepa werden im Anschluss an den Film gemeinsam diskutiert. Unterstützend wird eine Folie mit den notwendigen Regeln für Ersthelfer präsentiert. In einem weiteren Filmclip diskutieren Pepe und Pepa, ob die neu gewonnene Sicherheit im Umgang mit Anfällen schon ausreiche, um eine eigene gemeinsame Wohnung zu beziehen.

Am Beispiel wird deutlich, wie bei PEPE die persönlichen Erfahrungen der Kursteilnehmer interaktiv erarbeitet werden. Der Trainer hält die Ergebnisse auf einem Flipchart fest, sie fließen später in die Arbeitspapiere ein. Die Teilnehmer bleiben auf diese Weise stets aktiv am Lernprozess beteiligt.

Hilfreich ist zudem, dass sich die Programminhalte schwerpunktmäßig auf die Lebenswelt der Teilnehmer beziehen. Das Bildungsprogramm orientiert sich dabei an den häufigsten alltäglichen Fragen und Sorgen und eröffnet Gelegenheiten, über persönliches Empfinden und Verhalten zu sprechen.

Schließlich ist eine praktische Übung als Vermittlungsmethode hinzugenommen. Durch das aktive Tun erhöht sich die Chance, neue Verhaltensweisen zu erschließen (vgl. Buttner 1996, S. 36). Im sogenannten "Hilfespiel" üben die Teilnehmer, in welchen Problemlagen sie sich an welche Hilfeinstanz wenden können.

Fortsetzung folgt

Der besseren Lesbarkeit halber sind im gesamten Text in der "männlichen" Form beide Geschlechter subsummiert.

Kontakt für PEPE-Trainerschulungen:
Haus Terach - Zentrum für Entwicklung und Qualifizierung, Grete-Reich-Weg 9, 33617 Bielefeld, Telefon 0521/7144-5770.

Peter Brodisch, Verena Schlude