Der Epilepsiehund oder Anfallswarnhund

Foto: EpilepsieanfallDass Hunde epileptische Anfälle anzeigen können, ist eher zufällig "entdeckt" worden. Epilepsiepatienten, die einen Hund hatten, schilderten, dass sich das Verhalten des Hundes änderte, bevor sie einen Anfall bekamen. Je länger diese Patienten mit ihren Hunden zusammenlebten, desto früher konnten sie am Verhalten ihres Hundes feststellen, dass sich  ein Anfall ankündigte. Einen solchen Bericht konnten Sie in der 2. Ausgabe 2006 des epiKuriers lesen.
Dieses Phänomen wird seit etwa 15 Jahren untersucht. Vor allen in den USA werden seitdem Hunde ausgebildet, die bei Epilepsiepatienten leben und diesen einen nahenden Anfall signalisieren sollen. Die stationäre Ausbildung in einem Schulungszentrum beinhaltet zum einen zuverlässigen Grundgehorsam und zum anderen folgende drei spezifische Epilepsiehundefunktionen, die jedem Hund standardmäßig antrainiert werden

  1. Bei einem Anfall zu Hause die Alarmklingel betätigen
  2. Bei einem Anfall draußen Hilfe holen
  3. Nach einem Anfall seinen Besitzer nach Hause führen.

Foto: Erik mit MaquieeLeider kann bei dieser Form der Ausbildung nicht im voraus festgestellt werden, ob der fertig ausgebildete Hund später auch tatsächlich Anfälle anzeigen wird und wie er auf seinen Besitzer reagiert, wenn dieser einen Anfall hat, denn der Ausbilder des Hundes simuliert Anfälle und hat dadurch nicht die Voranzeichen wie ein epilepsieerkrankter Mensch. Über 50% der ausgebildeten Hunde müssen nach der Einarbeitung neu vermittelt werden. Sie können nicht in ihrer Funktion als Epilepsiehund bei den Patienten leben, weil sie die Anfälle nicht anzeigen. Diese sehr hohe Ausfallquote spricht gegen diese Form der Ausbildung. Auch ist das Erscheinungsbild der epileptischen Anfälle und vor allen die Ausprägung der anschließenden Ausfallerscheinungen von Patient zu Patient so unterschiedlich, dass die standardmäßig antrainierten Hilfeleistungen für den Besitzer dieser Hunde häufig nicht von Nutzen sind.
Aus diesen Gründen haben wir im Rahmen eines Pilotprojektes den ersten Epilepsiehund maßgeschneidert ausgebildet. In Zusammenarbeit mit  dem Betroffenen, seinem sozialen Umfeld (Partner / in oder Eltern) und dem behandelnden Arzt ist im Vorfeld ein Anforderungsprofil für die Hilfeleistungen des Hundes erstellt worden. Dieses Anforderungsprofil beinhaltet alle Aufgaben und Kommandos, die dem Hund

  1. im Zusammenleben mit seinem Besitzer
  2. vor einem Anfall
  3. während eines Anfalles und
  4. nach einem Anfall  antrainiert werden sollen.

So kann die Funktion des Hundes optimal an die Lebenssituation des Epilepsiepatienten angepasst werden. Dieses Anforderungsprofil ist die Grundlage  für die Auswahl eines Welpen und der Leitfaden für seine Ausbildung.

Maquiee im FahrstuhlDer Hund wird 24 Stunden nach der Geburt das erstemal getestet, um sein angeborenes Temperament zu bestimmen. Hier kann man schon sehen, ob der kleine Welpe die Anforderungen mitbringt, die er später für seine verantwortungsvolle Aufgabe benötigt. Mit sechs Wochen testen wir seinen Charakter, dass heißt, sein angeborenes Temperament und das Ergebnis der Prägung des Züchters. Hier wird nun endgültig entschieden, ob der Hund geeignet ist und in Ausbildung geht. Mit acht Wochen kommt er zum Klienten, wobei wir hier nun die letzten Tage der Prägung nutzen. Ab jetzt beginnt die Ausbildung als Epilepsiehund.

Bevor jedoch der Hund zum Menschen kommt, ist es dringend notwendig, dass der anfallserkrankte Mensch und sein soziales Umfeld auf die zukünftige Aufgabe vorbereitet werden. Dies passiert durch eine intensive theoretische Vorbereitung. In dieser Vorbereitung lernt er, wie ein Hund denkt und lernt, wie man mit dem Hund kommuniziert, wo es häufig Missverständnisse gibt in der Mensch – Hund – Beziehung, welche Bedürfnisse der Hund hat und vieles mehr.

Wenn der Hund anschließend beim Betroffenen ist, lernt er in der Praxis, wie er nun eine natürliche Beziehung zu seinem Hund aufbaut und wie er eine Führungspersönlichkeit für den Hund wird. Dies ist wichtig, um auf der einen Seite einen Hund zu haben, der ein hohes Maß an Grundgehorsam hat und auf der anderen Seite um eine starke soziale Bindung zwischen Hund und Bezugsperson aufzubauen, weil diese auch mit den Bedürfnissen des Hundes beschäftigt ist. Durch diese Abhängigkeit erreicht man schon sehr früh, dass der Hund Anfälle signalisiert. Wir sehen in den meisten Fällen, dass der Welpe zwischen der 10. und 12. Woche die ersten Anfälle anzeigt. Dieses Anzeigen wird nun so kanalisiert, dass er ein bestimmtes Anzeigeverhalten zeigt, welches für die Bezugsperson wichtig ist, z.B. bellen oder Alarmknopf betätigen.  So baut man langsam immer mehr Aufgaben für den Hund auf.

Seine Ausbildung muss individuell auf den Menschen und sein Umfeld abgestimmt werden. So muss zum Beispiel ein Hund für ein kleineres Kind die Mutter holen, bei einem Erwachsenen bellt er meistens, bevor der Anfall kommt. Seine Aufgaben sind z.B. :

  • Das Warnen vor einem nahenden Anfall, um somit Verletzungen vorzubeugen
  • Das Betätigen der Notklingel oder direktes Holen von Hilfe
  • Wärmen der Bezugsperson bei einem Anfall und evtl. nach Hause bringen nach dem Anfall
  • Vermitteln von Sicherheit, damit geringere Wahrscheinlichkeit eines Anfalls
  • Er stärkt das Selbstwertgefühl des Klienten, sobald dieser die Verantwortung über die Versorgung des Hundes bekommt
  • Er ist ein ständiger Grund, um öfter das Haus zu verlassen und so die Isolation aufzubrechen und zu mehr Selbstständigkeit zu führen


Viele Hunderassen und Hunde sind für diese Aufgabe nicht geeignet, besonders nicht Hunde, die einen erhöhten Territorialinstinkt besitzen. Bei diesen Rassen  sieht man vielfach ein ambivalentes Verhalten. Dieses zeigt sich z.B. durch zartes Lecken im Halsbereich mit nach vorne gerichteten Ohren, Nackenhaare aufrecht, Rute nach oben. Oft wird sogar Tötungsverhalten gezeigt, was in der Natur ein natürliches Verhalten ist. Denn ein epilepsieerkrankter Wolf  würde während eines Anfalls vom Rudel tot gebissen. Für die Aufgabe als Anfallswarnhund kann man nur Hunde mit einem infantilen Verhalten nehmen. Bevorzugt nehmen wir Rassen, die einen starken domestizierten sozialen Rudelinstinkt und einen hohen „Streichelfaktor“ haben, zum Beispiel Golden Retriever.

Wichtig finde ich noch zu erwähnen, dass die Aufgabe einen Anfallswarnhund auszubilden für alle Beteiligten erstmal einiges an Zeit abverlangt. Man kann sich nicht mal eben einen Hund anschaffen und dann „funktioniert“ er schon. Es ist ein intensives miteinander Arbeiten, um eine starke Bindung zwischen Mensch und Hund aufzubauen. Denn nur dann kann der Hund seine Aufgaben, die wir von ihm erwarten, erfüllen.


Erik Kersting
Gemeinnützige Gesellschaft "Stiftung Hunde helfen Leben" mbH


Anmerkung:
Die Kosten für die Ausbildung von Servicehunden sind sehr hoch und nicht alle Menschen, die solch einen Hund brauchen, bekommen diese Ausgaben von der Krankenkasse ersetzt oder können sie selber tragen. Daher haben wir, Frau Desirée Gräfin von und zu Hoensbroech, Jörg Sachse - Schüler und ich, die Gemeinnützige Gesellschaft "Stiftung Hunde helfen Leben" mbH gegründet.
Gleichzeitig soll eine hohe Qualität der Ausbildung der Servicehunde gesichert werden, damit von den Hunden keine Gefährdung für den Menschen zu befürchten ist.
Wir kennen diese Situation im Blindenführhundebereich und möchten dieser Gefahr bei Hunden durch die Arbeit unserer Stiftung vorbeugen. Die Finanzierung soll über Sponsoring und Spenden gesichert werden. Zur Zeit ist das leider noch nicht der Fall, daher suchen wir noch Spender und Sponsoren für unsere Stiftung, damit wir den Menschen helfen können, die einen Servicehund brauchen.

Kontakt:
Erik Kersting
Hundezentrum "canis familiaris"
Neu Fringshaus 1,
52159 Roetgen
Fon: 0 24 71 / 92 10 80
Fax: 0 24 71 / 92 10 81
Mail: Öffnet ein Fenster zum Versenden einer E-Mailerik-kersting(at)canis-familiaris.de
Homepage: Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.canis-familiaris.de


Am 12. Oktober wird Erik Kersting im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke einen Vortrag zum Thema „Hunde helfen Leben“ Schwerpunkt Anfallswarnhunde halten. (s. Rubrik Termine)