Brauchen Sie einen „Zeitschenker“?

Blitzlichter aus der Selbsthilfegruppe „Eltern epilepsiekranker Kinder Nürnberg“

Bild: Die wahren Abenteuer finden im Kopf stattIch bin zum Gruppentreffen der Eltern epilepsiekranker Kinder eingeladen. Sie treffen sich in den Räumen der AOK, sieben Mütter und ein Vater, einige sind entschuldigt. Eigentlich möchte ich ein Gruppeninterview machen. Aber schon nach wenigen Minuten sind wir alle in einer lebhaften Diskussion. Ich frage, ich rede mit und gehe nach zwei Stunden mit Gedanken nach Hause, die mich noch lange beschäftigen.
Die folgenden Blitzlichter geben einen Einblick in die Notwendigkeit und Arbeit dieser Selbsthilfegruppe:

„Eigentlich kann es sonst niemand verstehen, wie ich mich fühle, wenn meine Tochter einen Anfall hat. Wie es mir danach geht. Das können nur Eltern von epilepsiekranken Kindern verstehen. Und deshalb ist für mich die Selbsthilfegruppe so wichtig“

„Am wichtigsten ist für uns der Austausch mit Menschen in der gleichen Lebenssituation. In der Selbsthilfegruppe wird nichts gewertet, alles wird zunächst akzeptiert. Ich kann  einfach mal jammern ohne gleich Mitleid zu ernten.
In der Selbsthilfegruppe wird der Alltag leichter, wir können ihn eher mit Humor nehmen und auch mal darüber lachen.“

„Ich gehe inzwischen meinen Nachbarn aus dem Weg, weil ich das Mitleid der anderen nicht mehr ertragen kann. 'Es war doch schon wieder der Notarzt bei Ihnen!' Ich will in dieser Form nicht mehr darüber reden.“

„Wir bekommen von allen Seiten so viele Ratschläge, was wir noch alles für das Kind tun könnten. Jeder hat schon mal darüber gelesen und weiß eine Wundertherapie. Da steckt oft der Gedanke dahinter: das Kind muss doch wieder gesund werden – wenn ihr nur alles für es tun würdet! Wenn wir nicht darauf einsteigen, haben wir ein schlechtes Gewissen, weil wir ja dann nicht alles für unser Kind getan haben. Dabei weiß man bei 2/3 der Fälle gar nicht, was die Ursache sein könnte. Oder es ist die Hilflosigkeit der anderen: es ist so schwer zu ertragen, dass jemand chronisch krank ist und vermutlich auch ein Leben lang bleiben wird. Die Anfälle machen natürlich auch Angst, viele sind schockiert und sprachlos, wenn sie es erleben.“

„Wir erhalten viel Druck in dem, wo wir das Kind evtl. noch fördern könnten: Physiotherapie, Logotherapie, Ergotherapie etc. „

„Die Not muss für die Menschen sehr groß sein, dass sie deswegen in eine Selbsthilfegruppe gehen. Oder sie haben einen großen Informationsbedarf. Und auf dem Land ist es meistens noch schwieriger als in der Großstadt. Die Anonymität bietet vielleicht noch etwas mehr Schutz, denn Epilepsie bedeutet ein Makel. Es könnte ja doch eine Geisteskrankheit sein, bzw. die geistige Behinderung kommt von der Epilepsie. Vielleicht liegt sogar die Schuld der Erkrankung in der Familie! Manchmal mutet es an wie im Mittelalter, die Kinder werden teilweise versteckt aus Angst vor der Reaktion der Umgebung. In Ansbach z.B. kam keine Selbsthilfegruppe zustande, obwohl viel Bedarf da wäre. Vermutlich ist die Scheu noch zu groß.
Andererseits kann ein Dorf aber auch eher die Gemeinschaft bieten, in der alle das Kind kennen und entsprechend mit darauf achten.“

„Ich muss mein Kind vielleicht ein Leben lang betreuen.“

„Ich kann die Situation eh' nicht ändern, ich muss damit leben. Ich kann die Epilepsie nicht bekämpfen, die ist immer da. Aber mein Ziel ist es, dass mein Kind anfallsfrei wird und mit den Medikamenten gut leben kann.“

„Ich habe seit kurzer Zeit eine „Zeitschenkerin“. Der Verein „Nestwärme“ vermittelt „Zeitschenker“ an Eltern von behinderten Kinder. Sie kommen regelmäßig zur Betreuung des behinderten Kindes, um den Eltern 2-3 freie Stunden in der Woche zu schenken. Da kann ich gar nicht anders, ich muss mir frei nehmen, weil sie jede Woche am gleichen Tag zur gleichen Zeit vor der Tür steht. Dann gehen wir z.B. mal Badmintonspielen, oder ins Kino.“

„Deine Probleme möchte ich haben! Denke ich oft, obwohl das eigentlich nicht richtig ist, aber der Gedanke taucht immer wieder auf. Die anderen haben ganz normale Erziehungsprobleme, die können gar nicht abschätzen, welche Probleme ich mit einem epilepsiekranken Kind habe. Solche Gedanken kommen oft, wenn mir alles über den Kopf wächst.“

„Mein Kind hat seinen Platz bei der Lebenshilfe gefunden. Wir haben keinen Schulstress, keinen Leistungsdruck, es ist klar, dass sie immer versetzt wird. Und ich habe das Gefühl, dass sie dort gut aufgehoben ist. Da habe ich vielleicht weniger Probleme als andere Menschen mit gesunden Kindern“

„Ja, wir sagen, wir haben besondere Kinder, aber eigentlich sollten sie doch nicht so besonders sein, dass wir damit negativ auffallen.“

„Für die Kinder selbst wird ihre Situation erst bedrohlich, wenn sie die Gefahr der Anfälle erkennen und sich deswegen einschränken müssen.“

„Die Begleitung durch die Ärzte ist eher mangelhaft, vor allem die mangelnde Kommunikation macht es für uns Eltern so schwer. Fragen werden nur unzureichend beantwortet oder es geht zu schnell, so dass wir am Ende die Hälfte vergessen haben. Häufig werden die Eltern mit der Diagnose alleine gelassen, sie erhalten keine Infos zu Selbsthilfe oder anderen Beratungsstellen. Die Selbsthilfegruppe kann da viel Unterstützung und zusätzliche Informationen bieten. Sie gibt das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Da kann ich auch Fragen stellen, die ich sonst nirgendwo stellen würde, weil sie zu banal sein könnten.“

„Informationen zu unserer Selbsthilfegruppe hängen im EEG-Raum einzelner Ärzte aus, die meisten Menschen kommen aber über die Homepage und wollen nur ein paar Informationen. Wir hören dann später nichts mehr von ihnen.
Die Einladungen gehen an ca. 30 Personen. Die Treffen sind immer ohne die Kinder. Aber es gibt überregionale Wochenendfahrten, wo die Kinder dabei sind. Oder bei unserem Sommerfest und der Weihnachtsfeier, die natürlich nicht fehlen dürfen.“

Quelle:    KISS.magazin, Ausgabe Juli 2007
Autorin:    Elisabeth Benzing


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