Zahnmedizin und Epilepsie

Epileptische Anfälle sind der dritthäufigste Zwischenfall in einer Zahnarztpraxis. Ein offenes Gespräch sollte daher sowohl im Interesse des Betroffenen als auch des Zahnarztes liegen.

Fast jeder Mensch hat Angst vor einer Behandlung beim Zahnarzt, bei Menschen mit Epilepsie kann dieser Stress einen Anfall auslösen. Dies ist sowohl für den behandelnden Arzt als auch für den Patienten selbst eine Gefahr. Behandlungsbesteck kann durch nicht vorhersehbare Bewegungen von der Instrumentenablage gestoßen werden und schlimmstenfalls den Patienten, den Arzt oder die Helferin verletzten. Auch eine Bissverletzung des Zahnarztes oder des zahnärztlichen Personals durch einen plötzlich auftretenden großen Anfall (Grand-mal) während der Behandlung ist denkbar, was zu einer ernsthaften Entzündung oder auch zu einer ungewollten Übertragung von Infektionen wie Aids, Hepatitis und Tetanus führen kann.

Um dies zu verhindern, ist ein vertrauensvolles Gespräch mit dem behandelnden Zahnarzt notwendig. Dabei sollte der Arzt über mögliche Auslöser von Anfällen informieren werden. Ist beispielsweise Licht ein Auslöser, kann der Zahnarzt dies besonders berücksichtigen.

Erscheint das Risiko eines epileptischen Anfalls zu groß, kann eine Behandlung unter Sedierung stattfinden. Das bedeutet, dass die Behandlung unter Gabe eines Beruhigungsmedikamentes (z.B. Benzodiazepin) durchgeführt wird. Dieses Medikament wird ebenso zur Behandlung ängstlicher und unruhiger Patienten eingesetzt. Auf diese Weise werden auch größere chirurgische Maßnahmen, wie zum Beispiel das Setzen von Implantaten, ermöglicht.

Jedoch ist nicht jede Zahnarztpraxis für die Behandlung unter Beruhigungsmedikamenten eingerichtet. Deshalb ist es sinnvoll, beim behandelnden Zahnarzt nachzufragen, ob er eine solche Behandlung überhaupt anbietet. Eine Alternative bieten Zahnkliniken, die auch ambulante Behandlungen offerieren.

Ein Problem für den Epilepsiepatienten ist die Lokalanästhesie. Die zur Schmerzausschaltung und damit zu einer schmerzfreien Behandlung notwendige Anästhesie (Betäubung) kann einen Anfall auslösen und Wechselwirkungen mit den epileptischen Medikamenten haben. . Die Gabe von Mepivacain oder Articain (Adrenalinzusatz von maximal 1:200000) wird empfohlen. Eine Empfehlung von Schmerzmedikamenten (Analgetika) und Antibiotika kann in diesem Zusammenhang nicht ausgesprochen werden, weil sowohl das individuell eingenommene epileptische Medikament als auch die Krankheitsgeschichte des Patienten berücksichtigt werden muss. Ein offenes Gespräch mit dem behandelnden Zahnarzt ist sehr wichtig, da anhand einer „Roten Liste“ nachvollzogen werden kann, welches Schmerzmittel oder Antibiotika zum betroffenen Patienten passen.

Kind mit GingivahyperplasieEinige Antiepileptika haben auch zahnmedizinische Nebenwirkungen. Zum Beispiel kann durch die Einnahme von Phenytoin bei 50 bis 60% der Patienten dosis- und altersunabhängig eine Gingivahyperplasie entstehen. Dabei schwillt das Zahnfleisch (Gingiva) auf und wird voluminöser (hyperplastisch). Unbehandelt kann die schmerzlose „Zahnfleischschwellung“ zu Zahnbewegungen führen.



Verantwortlich hierfür ist die Verschiebung des Immunsystems in der Mundflora. In den durch die Anschwellung entstandenen Taschen sammelt sich Plaque (Belag). Dieser Belag kann nicht durch Zähneputzen oder anderen Hilfsmittel entfernt werden. Eine Gingivitis (Zahnfleischentzündung) ist die Folge. Schlimmstenfalls kann es zu einem Knochenabbau und damit zu einer Parodontitis aufgrund der Verschiebung des Immunsystems kommen. Eine Parodontitis ist eine Entzündung (-itis) des Zahnhalteapparats (Parodont). Bakterien zerstören den Halt zwischen Zahn und Knochen. Bei Nichtbehandlung durch eine professionelle Zahnreinigung kann es zum Zahnverlust führen. Eventuell ist ein Wechsel des Medikamentes (wenn möglich) anzuraten, jedoch nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Neurologen. Wenn dies nicht möglich ist, ist eine professionelle Zahnreinigung in regelmäßigen Abständen (mind. 2x pro Jahr) zu empfehlen.

Menschen mit Epilepsie haben ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Durch einen Anfall kann es zu Zahnfrakturen bis zum Herausfallen des Zahnes kommen. Sollte durch einen Sturz ein Zahn herausfallen, wird empfohlen, den Zahn vom Schmutz zu befreien und noch an der Unfallstelle zurückzustecken, jedoch nur bei bleibenden Zähnen. Das gilt nicht für Milchzähne. Der Zahn kann auch zum Zahnarzt gebracht werden, jedoch gelingt das Zurückstecken des Zahnes nur innerhalb einer Stunde. Es ist also Eile geboten. Bricht nur ein Stück des Zahnes ab, kann das abgebrochene Stück beim Zahnarzt wieder befestigt werden.

Herausnehmbarer Zahnersatz bei Epilepsieerkrankten ist bei einem Anfall problematisch. Teile könnten verschluckt werden und der Zahnersatz wird häufig beschädigt. Alternativen bieten festsitzende Lösungen. In manchen Fällen gewährt die Krankenkasse auf Antrag einen finanziellen Zuschuss für eine besonders stabile Ausführung des Zahnersatzes. Hier entscheidet jeweils der Einzelfall.

Zahnärztin Melanie Blank

Quelle: L. Pick, J. Bauer: Zahnmedizin und Epilepsie in  Nervenarzt 2001, 72:946–949 © Springer-Verlag 2001