Die operative Epilepsiebehandlung

Ein Ratgeber für Menschen mit Epilepsie und deren Angehörige – Teil I

 

Bei der Behandlung von Epilepsien ist die medikamentöse Therapie die Therapie der ersten Wahl. Rund 2/3 der Menschen mit einer Epilepsie können heute durch Medikamente erfolgreich behandelt werden. Sie erfahren eine deutliche Reduzierung der Anfälle oder werden vollständig anfallsfrei.

Doch nicht bei allen Betroffenen führt diese Behandlung zum Erfolg. So können z.B. während der Therapie Nebenwirkungen eintreten, die nicht akzeptiert werden oder die Anfallskontrolle stellt sich nicht oder nicht im gewünschten Umfang ein. In diesen Fällen spricht man von einer pharmakoresistenten Epilepsie. Kann nun eine Operation weiterhelfen?

In diesem Ratgeber wollen wir Sie an das Thema Epilepsiechirurgie heranführen und erste Fragen beantworten im Hinblick auf die epilepsiechirurgischen Behandlungsmöglichkeiten und die diagnostischen Verfahren, die im Vorfeld einer Operationsentscheidung notwendig sind.

 

Wann kann eine epilepsiechirurgische Behandlung in Erwägung gezogen werden?

Sobald zwei Antiepileptika der 1. Wahl ohne ausreichenden Behandlungserfolg eingesetzt wurden, ist die Vorstellung in einem spezialisierten Epilepsiezentrum angezeigt.  Wird festgestellt, dass auch von weiteren medikamentösen Therapien kein Behandlungserfolg zu erwarten ist - liegt also eine Pharmakoresistenz vor – kann eine epilepsiechirurgische Maßnahme in Erwägung gezogen werden. Dies erfordert jedoch umfangreiche Voruntersuchungen, da nicht allen pharmakoresistenten Patienten die Epilepsiechirurgie offen steht.

Im Rahmen einer prächirurgischen Epilepsiediagnostik wird untersucht,

  • ob ein eindeutig identifizierbarer Anfallsherd festzustellen ist (Herdepilepsie, siehe Abb. 1) oder ob das Anfallsgeschehen von mehreren Herden  ausgeht und bereits zu Beginn eines Anfalles das gesamte Gehirn erfasst (generalisierte Anfälle).
  • wo sich funktionstragende Hirngebiete (z.B. Sprachzentrum, Sehzentrum) befinden.


Abb. 1  Verschiedene Hirnregionen bei Herdepilepsien
Abb. 1 Verschiedene Hirnregionen bei Herdepilepsien

Für eine spätere Operation kommen in erster Linie fokale Epilepsien, die von einem einzigen Anfallsherd ausgehen, in Frage. Bei generalisierten Anfällen sind keine epilepsiechirurgischen Maßnahmen möglich. Es muss ferner sichergestellt sein, dass durch die Entfernung geschädigter Hirnareale keine wichtigen Hirnfunktionen wie Gedächtnis oder Sprache beeinträchtigt werden und der zu operierende epileptische Herd für die Neurochirurgen auch zugänglich ist.

Mit Hilfe der prächirurgischen Epilepsiediagnostik wird also geklärt, ob eine operative Maßnahme durchführbar ist und Erfolg versprechend erscheint im Hinblick auf Anfallsfreiheit oder zumindest eine deutliche Verbesserung des Anfallsleidens und der Lebensqualität bei gleichzeitiger Schonung wichtiger funktionaler Hirnareale.


Wie ist der Ablauf der prächirurgischen Epilepsiediagnostik und welche Untersuchungsverfahren kommen zum Einsatz?

Die 1. Phase der Diagnostik

Zunächst werden Anfallstyp, allgemeiner Gesundheitszustand, Belastbarkeit und das soziale Umfeld des Patienten beurteilt. Gerade den psychosozialen Aspekten wird vor Beginn der oft langwierigen und belastenden Diagnostik besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Einbindung in stabile soziale Beziehungen bildet eine wichtige Voraussetzung für die Motivation des Patienten und das erforderliche Durchhaltevermögen. Psychische und soziale Instabilität erweisen sich häufig als Hemmnis für das Erreichen eines abschließenden Therapieerfolges. Die Unterstützung und Zuwendung von Angehörigen oder nahe stehenden Menschen ist auch dann sehr wichtig, wenn sich die epileptische Erkrankung am Ende der Diagnostik als nicht operabel erweist und der Patient Trost und Rückhalt benötigt.

Führen diese ersten Untersuchungen zu einem günstigen Ergebnis, schließen sich weitere nicht-invasive1 Untersuchungen an, die stationär durchgeführt werden und der Fokuslokalisation dienen.

Das Herzstück der prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist das nicht-invasive Video-EEG2-Monitoring. Hierbei misst man die Hirnströme des Patienten mittels EEG-Elektroden, die auf der Kopfhaut des Patienten aufgeklebt werden, simultan wird das Patientenverhalten mit einer Videokamera aufgezeichnet. Mit Hilfe des Video-EEG-Monitorings werden Hirnaktivitäten und Patientenverhalten während der Anfälle und in der Zeit zwischen den Anfällen genau analysiert um festzustellen, ob sich ein epileptischer Herd in einer Hirnregion nachweisen lässt von dem die Anfälle ausgehen.

Durch diese gleichzeitige Analyse der Hirnströme und des Patientenverhaltens lassen sich Anfälle in der Regel gut diagnostizieren und klassifizieren.

Manchmal ist für diese Video-EEG-Ableitung von Anfällen eine Reduktion der bisherigen Medikamente erforderlich, um Anfälle auszulösen. Dies geschieht unter besonderer Überwachung auf der Spezialstation.

Unter Umständen sind ergänzende Untersuchungen erforderlich:

Dazu gehört die Magnetresonanztomographie (MRT): Bei der Magnetresonanztomographie (MRT) handelt es sich um ein nicht-invasives bildgebendes Verfahren, bei dem die Auslenkung von Elementarteilchen im Gehirn durch ein Magnetfeld und deren Rückschwingungstendenz genutzt wird, um umschriebene Veränderungen im Gehirn darzustellen. Durch dieses Verfahren gewinnt man einen hervorragenden Einblick in Veränderungen des Gehirnaufbaus wie sie z.B. bei Verletzungen, Durchblutungsstörungen, Tumoren, angeborenen Veränderungen vorliegen können.

Für die nuklearmedizinischen Verfahren (z. B. PET, SPECT)3 werden minimal radioaktive Substanzen in ein Blutgefäß gespritzt. Diese Substanzen reichern sich dann in den Hirnregionen, die für die Auslösung der Anfälle verantwortlich sind, besonders an oder zeigen zwischen den Anfällen einen Speicherdefekt. Die Strahlenbelastung ist äußerst gering. Schwangere sollten dieser Untersuchung jedoch nicht unterzogen werden.

Ein völlig nebenwirkungsfreies Patienten schonendes Diagnoseverfahren, das jedoch noch nicht als Routineverfahren eingesetzt wird, ist die Magnet-Enzephalo-Graphie (MEG). Bei dieser Untersuchung werden winzigste magnetische Signale aufgezeichnet, die die Nervenzellen des Gehirns durch ihre Aktivität erzeugen. Vergleichbar mit den Hirnstromkurven eines EEGs erhält man ein Kurvenbild der magnetischen Signale, die bei Epilepsiepatienten ein typisches Bild zeigen.


Abb. 2  Schichtbildaufnahme des Gehirns mit epileptogenem Herd
Abb. 2 Schichtbildaufnahme des Gehirns mit epileptogenem Herd

Eine mehrdimensionale Darstellung der Quelle der Magnetfeldveränderungen des Gehirns kann man durch das Einspielen der MEG-Ergebnisse in die kernspintomographische Schichtbilddarstellung des Kopfes erreichen. Der epileptogene Herd im Gehirn wird dadurch deutlich sichtbar (Abb. 2) Ob eine MEG-Untersuchung erforderlich ist, wird von Fall zu Fall entschieden.

Die funktionstragenden Hirnareale werden mit Hilfe von neuropsychologischen Untersuchungen festgestellt. Verschiedene Testverfahren geben Antwort auf die Fragen: In welchem Hirnareal liegt der epileptische Herd? Wo sind wichtige Hirnfunktionen wie z.B. Bewegung, Fühlen, Sprache oder Gedächtnis angesiedelt? Wie groß sind die Reservekapazitäten des Gehirns, falls ein umschriebener Gehirnteil im Verlauf eines epilepsiechirurgischen Eingriffes entfernt werden muss? Die Beantwortung dieser Fragen dient dem Ziel, mögliche Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit des Gehirns durch eine Operation zu erkennen und ggf. erhöhte Risiken aufzuzeigen.

 

Die 2. Phase der Diagnostik

Bei manchen Patienten führt das nicht-invasive Monitoring zu unklaren Befunden. Dann muss mit dem Patienten über die Möglichkeit des invasiven3 Video-Monitorings gesprochen werden. Bei diesem Untersuchungsverfahren werden im Rahmen einer Operation die Elektroden zur Ableitung der Gehirnströme direkt auf dem Gehirn angebracht. Dies ermöglicht eine noch präzisere Fokuseingrenzung.

Dank wissenschaftlicher Forschung und der ständigen Weiterentwicklung der Patienten schonenden nicht-invasiven Untersuchungsverfahren (z.B. MRT, MEG) wird die Notwendigkeit invasiver Ableitungen zunehmend seltener.

 

1 nicht-invasiv = nicht im Schädelinneren
2 EEG = Electroenzephalogramm = Messung der Hirnströme
3 PET: Positronen-Emissions-Tomographie,
    SPECT: Single-Photon-Emmissions-Computertomographie
4 invasiv = im Schädelinneren

 

Arbeitsgemeinschaft Prächirurgische Epilepsiediagnostik und Epilepsiechirurgie

Prof. Dr. H. Stefan
Epilepsiezentrum Erlangen
Quelle: Epilepsiezentrum Erlangen
T. Porschen
Landesverband für Epilepsie Selbsthilfe
Quelle: privat