Menschen mit Epilepsie Mut machen

Veranstaltung der Epilepsieberatung in Passau im April 2009

 

Sechs Jahre war Rainer Luckas alt, als er seinen ersten Anfall hatte - beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt im Wartezimmer. Zehn Sekunden dauerte der Spuk, bei dem der Junge plötzlich aufsprang und einzelne sinnlose Wörter schrie. Heute weiß Luckas, dass er damals einen epileptischen Anfall hatte. Bei einer Veranstaltung der Epilepsieberatungsstelle Niederbayern und der Gesprächsgruppe Epilepsie hat der Epilepsie-Botschafter über seinen Leidens- und Lebensweg berichtet.

Die ersten Symptome seiner Epilepsie - einen komplex fokalen Anfall mit Bewusstseinsstörung - hatten weder der Sechsjährige noch seine Eltern zu deuten gewusst, geschweige denn geahnt, welche Folgen dieser Vorfall für das weitere Leben des Buben haben würde. Später stellte ein Neurologe die Diagnose: Epilepsie.

Rainer Luckas erhielt ein Antiepileptikum, doch damit wollten sich die Eltern des Jungen nicht zufrieden geben. Sie konsultierten die verschiedensten Ärzte, bis schließlich einer die Diagnose Epilepsie widerlegte und andere Medikamente verordnete. „Meine Eltern wollten einfach nicht wahrhaben, dass ihr eigen Fleisch und Blut krank ist. Sie konnten sich nicht damit abfinden, dass ihr Sohn an Epilepsie erkrankt sein soll." Die Reaktion der Eltern ist nicht ungewöhnlich. "Heute kann ich das verstehen, das ist die typische Reaktion von Menschen, die nicht wissen, was Epilepsie wirklich ist."

Die Anfälle kamen wieder, so dass die Eltern schließlich aus Verzweiflung einen "Ärztemarathon" starteten. "Mir sollte endlich geholfen werden, dass ich wieder so sein könnte wie alle anderen Kinder auch. In ihrer Blindheit ignorierten meine Eltern die Einschätzung der Ärzte, die die Epilepsie attestierten und vertrauten denjenigen, die andere Diagnosen stellten", erinnert sich Luckas. Die Folgen für den Sechsjährigen waren fatal. "Mal hatte ich Anfälle, dann wieder nicht." Epilepsie wurde zum Tabuthema erklärt, die Freunde erklärten Luckas für verrückt. "So habe ich mich immer mehr zurückgezogen."

Nach langer Suche wurde schließlich ein Epilepsie-Medikament gefunden, durch das Luckas annähernd anfallsfrei wurde. Er beendete die Schule, machte eine Ausbildung zum Gärtner, bildete sich weiter und ging nach England und Schottland zum Arbeiten. Mit der Rückkehr nach Deutschland musste er den Arzt wechseln und erhielt ein anderes Medikament - und die Anfälle kamen wieder. Weder eine Rückkehr zum ursprünglichen Medikament noch weitere Antiepileptika konnten sie wieder eindämmen. In jener Zeit hatte sich Luckas
als Gärtner selbständig gemacht, "damit weder ein Chef noch Kollegen blöde Fragen stellen können", zieht der Epilepsie-Botschafter rückwirkend Bilanz.

Als er schließlich fünf Anfälle pro Tag hatte, entschloss sich Luckas eine Epilepsieberatungsstelle aufzusuchen. "Dort wurde mir unter anderem zum ersten Mal die Möglichkeit der Epilepsie-Chirurgie aufgezeigt", erklärte der Referent. Ein einschneidendes Erlebnis. Luckas stellte sich daraufhin in einem Epilepsiezentrum vor, ließ aufwendige Untersuchungen über sich ergehen, bis schließlich feststand, dass der epileptische Herd in seinem Gehirn operiert werden könne. Das Ja zur Operation fiel Luckas leicht, wenngleich der Eingriff sehr riskant war. Die Operation gelang. Die Anfälle blieben aus. "Jeder Tag ohne Anfall hat mir mehr Sicherheit und mehr Selbstvertrauen gegeben." Er traute sich wieder Dinge zu, von denen er glaubte, sie nie wieder mehr tun zu können. "Ich habe mich gefühlt wie eine Pflanze, die vom Absterben bedroht war und plötzlich wieder blühte", erinnert er sich.

Lebensfreude steht heut ganz oben auf Rainer Luckas' Tagesordnung – auch wenn er weiß, dass das Thema Epilepsie für ihn nie abgeschlossen sein wird. Noch hat er kleine Auren, muss weiterhin Medikamente nehmen. Als Epilepsie-Botschafter hat er sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Epilepsie Mut zu machen. Auch Ärzte und Fachleute will Luckas für das Thema sensibilisieren und sie auf Sorgen und Nöte von Epilepsiepatienten aufmerksam machen. "Es ist wichtig nicht gegen die Epilepsie zu arbeiten, sondern zu lernen, mit der Epilepsie zu leben", lautete daher das Credo des Epilepsie-Botschafters.

Neben Rainer Luckas referierte auch Dr. Frank Kerling, Oberarzt am Epilepsie-Zentrum der Neurologischen Universitätsklinik Erlangen. Er zeigte moderne Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten bei Epilepsie auf, stellte verschiedene Anfallsformen vor und erläuterte wichtige Verhaltensmaßregeln zur Lebensführung der Patienten, "Idealziele der medikamentösen Behandlung sind eine hohe Wirksamkeit der Medikamente und ein gute Verträglichkeit mit möglichst einem Medikament", sagte er. Und wenn ein Patient anfallsfrei sei solle er keinesfalls auf ein „Nachahmer“-Medikament umgestellt werden, um die Anfallsfreiheit nicht zu gefährden. "Immerhin ein Drittel aller Epilepsie heilt spontan oder nach Beendigung der medikamentösen Behandlung aus", schätzt Kerling. Ein weiteres Drittel bleibt mit Medikamenten dauerhaft anfallsfrei. Bedauerlicherweise würden sich Patienten mit einer schwerbehandelbaren Epilepsie aber meist erst nach Jahrzehnten in einem Epilepsie-Zentrum vorstellen. Dabei könne dort geklärt werden, ob ein Epilepsie-Herd vorliege und eine Operation möglich ist.

Ulrike Jungwirth, Epilepsie Beratung Niederbayern


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Bild: Passau_April_09 – Quelle Epilepsie Beratung Niederbayern