Ich nehme...

Wie Medikamente zu ihren Namen kommen

Wer sich schon einmal mit anderen Patienten über seine Medikamente unterhalten hat, der wird festgestellt haben, dass jeder anscheinend ein anderes Medikament einnimmt. Der eine nimmt Tegretal, der andere Timonil, der dritte Finlepsin und wieder ein anderer Carbabeta. Ein Österreicher würde von Tegretol oder Neurotop sprechen, ein Brite von Epimaz usw. Alle diese Namen, die Handelsnamen, stehen auf den Packungen. Aber wo liegt der Unterschied? Sprechen alle tatsächlich von unterschiedlichen Medikamenten?

Um das festzustellen, ist der Blick in den Beipackzettel wichtig. In unserem Beispiel ist der Wirkstoff in allen oben genannten Präparaten der gleiche: Die Chemiker nennen ihn „5H-Dibenz[b,f]azepin-5-carboxamid“. Da sich das aber kaum jemand merken kann, auch nicht jeder Arzt, hat der Wirkstoff von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, einen INN bekommen. INN steht für International Nonproprietary Name, im Deutschen spricht man vom „Internationalen Freinamen“. Er wird vom Hersteller einer neuen Wirksubstanz bei der WHO beantragt. In unserem Fall lautet der INN für 5H-Dibenz[b,f]azepin-5-carboxamid „Carbamazepin“. Der INN eines Präparats ist weltweit gleich, alle Firmen dürfen diesen Namen frei verwenden (nur manchmal ist die Endung etwas verändert, in englischsprachigen Ländern heißt es z.B. Carbamazepine) – im Gegensatz zum für jeden Hersteller geschützten und registrierten Handelsnamen, der nur ihm alleine gehört und unter dem er diesen INN (= Wirkstoff) auf den Markt bringt (z. B. Tegretal).

Den INN findet man am Anfang des Beipackzettels und auch – meist kleiner geschrieben – auf der Packung eines Arzneimittels. Die anderen Substanzen, die in einer Tablette, einem Dragee, einer Kapsel, einem Saft oder einer anderen Darreichungsform enthalten sind, stehen unter „sonstige Bestandteile“ am Ende des Beipackzettels. Und in diesen Bestandteilen können sich Tegretal, Timonil, Finlepsin etc. auch unterscheiden. Aber der Wirkstoff ist in allen Fällen gleich.

In der „Roten Liste“, einem Verzeichnis der Arzneimittel in Deutschland, sind online „nur“ 2.290 verschiedene Wirkstoffe aufgeführt, aber 8.279 Präparate. Für den Wirkstoff Carbamazepin werden dort z. B. 14 Präparate von unterschiedlichen Firmen aufgeführt, für Valproinsäure (2-Propylvaleriansäure) sind 20 Präparate zu finden und für Lamotrigin (3,5-Diamino-6-(2,3-dichlorphenyl)-1,2,4-triazin) 15 Präparate

Bei einer Diskussion über einzunehmende Medikamente ist es deshalb vorteilhaft neben dem Namen des Präparats immer auch den Namen des Wirkstoffs (= INN) zu benutzen. Ein gutes Beispiel dafür findet sich auch im Obst-Bereich, denn wenn ich Alexander Lucas oder Jakob Fischer beim Einkauf verlange, ist das schon ein Unterschied: Alexander Lucas ist eine alte Birnen- und Jakob Fischer eine alte Apfelsorte. Und wer will schon Birnen kaufen, wenn er Apfelkuchen machen möchte.

Susanne Fey, Wuppertal