Ketogene Diäten

Geschichte

Lange bevor die ersten Medikamente für Epilepsie auf den Markt kamen, wurde beobachtet, dass Fasten einen positiven Einfluss auf das Auftreten von Anfällen hat. „Diese Art aber fährt nicht aus, als nur durch Gebet und Fasten“, sagt Jesus bei der Heilung des fallsüchtigen Knaben (Matthäus 17.21). Frühe Aufzeichnungen des Arztes Hippokrates belegen den erfolgreichen Versuch, Epilepsiekranke durch strenges Fasten von ihren Anfällen zu befreien. Auch im Mittelalter wurde während der Fastenzeiten bei Mönchen mit Epilepsie eine Verringerung der Anfallsfrequenz beobachtet.

Diese Beobachtung macht sich die ketogene Diät zunutze. Ähnlich wie ein Auto mit bivalentem Antrieb mit Gas oder Benzin fahren kann, ist auch unser Körper in der Lage verschiedene „Brennstoffe“ zu nutzen.

Bei normaler Mischkost wird die Energieversorgung unseres Körpers, insbesondere im Gehirn, hauptsächlich über die aus Kohlenhydraten gewonnene Glukose sichergestellt. In Fastenzeiten, in denen nicht genügend Glukose zur Verfügung steht, schaltet der Körper auf eine andere Energiequelle, das gespeicherte Körperfett, um. Die Gehirnzellen selber können Fette nicht nutzen, da Fette die Blut-Hirnschranke kaum überwinden können. Stattdessen nutzen Gehirnzellen in Hungerzeiten Ketonkörper zur Energieversorgung, die in der Leber aus den Fettsäuren gebildet werden. Der Körper gerät in die so genannte Ketose, d. h. im Blut und Urin sind Ketone nachweisbar.

Da längeres Fasten für Kinder nicht zumutbar ist, wurde in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA eine Diät entwickelt, die den Zustand des Fastens imitiert. Die ketogene Diät besteht in der Hauptsache aus Fett (bis zu 90 %), einem genau berechneten Anteil an Protein und einem extrem reduzierten Kohlenhydratanteil. Dadurch wird die Energiegewinnung aus Fett durch Nahrungsfette sichergestellt, der Abbau von Muskelmasse, der beim Fasten normalerweise auftritt, wird durch den Protein-Anteil vermieden und durch die geringe Kohlenhydratzufuhr kann die Ketose über lange Zeit aufrecht erhalten werden.

Anwendungsgebiete und Wirksamkeit
Die ketogene Diät ist vor allem die Therapie der Wahl für Kinder mit Glukosetransporterdefekt 1 (GLUT 1 Defekt) und Pyruvatdehydrogenase (PDH)-Mangel. Beide Krankheiten sind Störungen im Stoffwechsel, welche die Versorgung des Gehirns mit Energie negativ beeinflussen.

Auch bei therapieschwierigen Epilepsien, d.h. nach fachkundigem Einsatz von 2-3 Medikamenten, kann die ketogene Diät hilfreich sein: z. B. bei tuberöser Sklerose, Dravet-Syndrom, myoklonisch-astatischer Epilepsie (Doose-Syndrom), fieberinduziertem Status epilepticus bei Schulkindern (FIRES), Epilepsien im Säuglingsalter und BNS-Epilepsie (BNS: Blitz-Nick-Salaam).

In einer Studie mit 145 Kindern konnte der Effekt der ketogenen Diät auf therapieschwierige Epilepsien nachgewiesen werden: 38 % der Kinder erreichten eine Anfallsreduktion von > 50 % gegenüber 6 % in der Kontrollgruppe, 7 % der behandelten Kinder (0 % in der Kontrollgruppe) erreichten eine Anfallsreduktion > 90 %. Zusätzlich wird bei Kindern, die mit ketogener Diät behandelt werden, eine verbesserte Aufmerksamkeit und Wachheit beobachtet.

Verschiedene Diät-Formen

Die klassische ketogene Diät (KD) mit langkettigen Fettsäuren (LCT, engl.: „long chain triglycerides“) wird im Verhältnis 4:1 oder 3:1 berechnet, d. h., das Gewichtsverhältnis von Fett zu Nichtfett (Kohlenhydrate und Eiweiß) bei der 4:1-Variante bedeutet 4 g Fett + 1 g Kohlenhydrate/Eiweiß. Kinder < 2 Jahre werden zunächst auf das Verhältnis 3:1 eingestellt, ältere Kinder auf 4:1. Im Verlauf entscheidet die Höhe der Ketose darüber, welches Verhältnis gewählt wird.

Der Energiebedarf des Kindes pro Tag wird genau berechnet und auf drei bis fünf Mahlzeiten aufgeteilt. Bei jeder Mahlzeit muss das Verhältnis Fett zu Nichtfett streng eingehalten werden. Entsprechende Software erleichtert die Zusammenstellung und Berechnung der einzelnen Mahlzeiten, eine genaue Kenntnis der Lebensmittel und ihrer Zusammensetzung ist unabdingbar für die Eltern, ebenso die technischen Gegebenheiten: Computer, Briefwaage, Kalorientabelle, kleine Gefäße zur Zubereitung und Aufbewahrung etc. .

Bei der ketogenen Diät mit mittelkettigen Fettsäuren (MCT, engl.: „medium chain triglycerides“) wird ein Teil der langkettigen Fettsäuren durch MCT ersetzt. Diese führen bei gleicher Menge zu einer höheren Ketose als LCT, der Fettanteil der Nahrung kann also reduziert werden. Bei zu hohem MCT-Anteil können Magen-Darm-Probleme auftreten.

Die modifizierte Atkins-Diät ist eine Variante der bekannten Schlankheitsdiät von Dr. Atkins. Sie enthält weniger Fett als die KD, die Eiweiß-Menge bleibt bei der Zusammenstellung der Mahlzeiten unberücksichtigt und der Anteil der Kohlenhydrate wird im Verlauf der Diät von anfangs 10 g pro Tag auf 20 g (Erwachsene 30 g) gesteigert. Dadurch ist die Kost etwas abwechslungsreicher zu gestalten als bei der ketogenen Diät. Die Ketose ist hierbei deutlich niedriger, der Erfolg scheint aber vergleichbar mit dem der ketogenen Diät.

Die niedrigglykämische Indexdiät ist bisher wenig bekannt. Sie hat einen Fettanteil von ca. 60 %, etwa 10 % der Nahrung besteht aus Kohlenhydraten mit niedrigglykämischen Index (< 50), also Kohlenhydrate, die nur langsam freigesetzt werden wie z. B. aus Vollkorn-Produkten, Nüssen etc. . Die Ketose ist bei dieser Diät niedriger als bei anderen ketogenen Diäten.

Übersicht über die Diätformen und ihre Anwendung in verschiedenen Altersklassen:


Quelle: Klepper, Leiendecker Monatsschrift Kinderheilkunde 2011, 159:739–744
DOI 10.1007/s00112-011-2396-4 © Springer-Verlag 2011


Voraussetzungen

Einige Gegenanzeigen für die Behandlung mit ketogenen Diäten (KD) müssen vorher ausgeschlossen werden. Dazu gehören u. a. der mitochondriale Pyruvatcarboxylasedefekt, Störungen der ?-Oxidation, die akute Porphyrie sowie seltene Stoffwechselstörungen, bei denen Ketone nicht hergestellt oder nicht metabolisiert werden können. Auch ein starker Reflux kann sich negativ auswirken.

Die Eltern des Kindes müssen bereit sein, genau berechnete und abgewogene Mahlzeiten für das Kind zuzubereiten und laufend die Ketose zu kontrollieren. Sie müssen konsequent die Umgebung dazu anhalten, die Diät auch nicht durch das kleinste Gummibärchen zu torpedieren, denn bei diesen extrem kohlenhydratarmen Diäten sind Zucker und zuckerhaltige Lebensmittel verboten. Süßstoff ist zum Süßen erlaubt. Um eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen zu gewährleisten, müssen diese als Supplemente in Form von Tabletten/Pulver gegeben werden. Eine intensive Schulung, die folgende Themen umfasst, liefert die nötigen Informationen:

• Grundlagen der KD, Ernährungsgrundlagen allgemein, Flüssigkeitszufuhr
• Lebensmittel und Produkte: geeignet/ ungeeignet
• Spezialprodukte, Supplemente
• Berechnung der KD, Rezepte kreieren
• Zubereitung praktisch üben
• Vorbereitung für zu Hause, Kindergarten, Schule usw.
• Stolpersteine: Was tun bei Fehlern?
• Kontrolle der Ketose in Blut und Urin (Zielwerte: Ketonkörper im Blut: 4 bis 6 mmol/l, im Urin, 2-fach positiv: 40 bis100 mg/dl)
• Blutzuckermessung (bei Hypoglykämie sowie überschießender Ketose wird nach Rücksprache mit dem Arzt wird Orangensaft gegeben)
• spezielle Situationen, Krankheit

Durchführung

Jede dieser Diäten wird stationär eingeleitet, ein Team aus Arzt, Ernährungsfachkraft und Pflegefachkraft schult und begleitet Eltern und Kind in dieser Zeit. Auch nach dem stationären Aufenthalt steht das Team jederzeit für Fragen zur Verfügung.

Eine Fastenphase zu Beginn beschleunigt die Bildung der Ketone, ist jedoch nicht immer notwendig und sollte bei kleinen Kindern, die sehr rasch eine Ketose entwickeln können, vermieden werden. Blutdruck, Puls, Atmung, Blutzucker, Blutgase und das Ansteigen der Ketone im Urin und Kapillarblut (Blut aus der Fingerspitze) werden engmaschig überwacht. Beim Nachweis einer eindeutigen Ketose (Kapillarblut > 2,0 mmol/l; Urin: > 80 mg/dl) wird stufenweise mit dem Nahrungsaufbau begonnen. Einschränkungen der Flüssigkeitszufuhr werden heute nicht mehr empfohlen.

Treten keine Probleme auf, dauert der stationäre Aufenthalt nicht mehr als fünf bis sechs Tage. Bis sich die Anwendung der Diät im Alltag eingespielt hat, wird engmaschig überwacht, später ist alle sechs Monate eine ärztliche Kontrolle notwendig. Ist der Erfolg nach zwei bis drei Monaten nachweisbar, wird die Therapie bei Epilepsie ca. 2-3 Jahre, beim GLUT1-Defekt mindestens bis zur Pubertät und beim PDH-Mangel lebenslang weitergeführt. Bei Nichterfolg kann sie innerhalb von zwei Wochen beendet werden.

Rückschläge können durch Diätfehler, z. B. versteckte Kohlenhydrate in Nahrungsmitteln oder Medikamenten, ausgelöst werden, daher ist der detektivische „Zucker-Spürsinn“ der Eltern besonders wichtig, um diese Fehlerquellen herauszufinden und zu beseitigen. Bei Magen-Darm-Infekten oder Nahrungsverweigerung tritt die normale „Fastenketose“ ein, daher kann nach Rücksprache mit dem Arzt bei ausreichender Trinkmenge ruhig ein paar Tage abgewartet werden.

Natürlich ist die ketogene Diät, wie auch medikamentöse Therapien, nicht immer frei von Nebenwirkungen: Es kann zu Verstopfung kommen, Langzeitnebenwirkungen können z. B. Nierensteine, Wachstumsverzögerung, verminderte Knochendichte (Kalziumgabe!) und möglicherweise zu hohe Blutfettwerte sein. Wichtig ist eine ausreichende Trinkmenge um einerseits der Verstopfung vorzubeugen und andererseits die Bildung von Nierensteinen zu vermeiden.

Fazit

Die ketogene Diät ist mit Sicherheit aufwändiger für Familien mit Epilepsie-Kindern als eine medikamentöse Behandlung, in der Wirkung ist sie aber den Medikamenten bei therapieschwierigen Epilepsien durchaus ebenbürtig. Stellt sich Erfolg ein, kann nach einiger Zeit das eine oder andere Medikament reduziert bzw. abgesetzt werden. Der anfallshemmende Effekt hält erstaunlicherweise auch nach Beendigung der ketogenen Therapie häufig an. Die Kinder sind während der Diät wacher, aufnahme- und leistungsfähiger und machen nicht selten Entwicklungsfortschritte, die vorher kaum möglich schienen.

Mit der Zeit entwickeln Eltern auch Routine in der ketogenen Küche und der Aufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten wird geringer. Fertige ketogene Trink- und Sondennahrung erleichtert vor allem Eltern kleiner Kinder die Zubereitung. Mittlerweile gibt es auch, einige gute Kochbücher, Internetseiten und Onlineshops zum Thema ketogene Ernährung.

Susanne Fey, Wuppertal

Links:

www.glut1.de
www.epilepsie-kind.de
www.charliefoundation.org
www.matthewsfriends.org
www.ketoladen.de/
www.meinketocal.de
www.atkinsforseizures.com/
www.ketoforum.de


Bücher:

* Rezeptbuch „Ketogenen Diät für Kinder“ von Britta Alagna, zu beziehen über die Autorin per E-Mail bmarth00(at)yahoo.de
Lieferungen Deutschland/Österreich: 28.- € zzgl. 2.- € Versand (inkl. 3.- € Spende für den Verein "Dravet-Syndrom e.V.")
Lieferungen Schweiz: 34.- CHF zzgl. 9.- CHF Versand (inkl. 4.- CHF Spende für den Verein "Dravet-Syndrom e.V.")
* Rezeptbuch Ketogene Diät von Claudia und Udo Anger
zu beziehen über die Autoren per E-Mail: UC.Anger(at)t-online.de
* „Modifizierte Atkins-Diät - Ein Mut-mach-Kochbuch für eine alternative moderne Epilepsie-Therapie“ von Petra Sager, Sarah Weimer, Adelheid Wiemer-Kruel,
3. Auflage 2012; ISBN 978-3-00-034374-2; WfB WerkstattEdition
Bestellung unter info(at)epilepsiezentrum.de
Versandkostenanteil: 3.- € (Inland), 8,90 € (Ausland)
* Broschüre „Die Ketogene Diät - Grundlagen, Einsatzgebiete, Berechnung, Anwendung“; erarbeitet von Dr. med. J. Klepper, 12/2009
kostenlos zu beziehen über Milupa GmbH, Spezialnahrungen/Metabolics, Bahnstraße 14-30, 61381 Friedrichsdorf oder per E-Mail spezial(at)milupa.de
* leider nicht mehr im Handel erhältlich, nur gebrauchte Exemplare, z. B. bei Amazon:
„Epilepsie: Neue Chancen mit der ketogenen Diät“ von Petra Platte und Christoph Korenke (TRIAS Verlag 2005)