Mit der Diät leben wir wieder!

Mein Sohn Deniz erkrankte mit etwa fünf Jahren an einer harmlosen Epilepsie, Rolando sagten die Ärzte. Es waren bloß kurze Nicker und Augenblinzler, die eigentlich nur mir auffielen und mich beunruhigten. Als ich meinen Sohn fragte, warum er das tue, antwortete er: „Das mache ich nicht mit Absicht, sondern es passiert von ganz alleine“.

Zwei Wochen später fuhren wir in die Uni-Klinik Düsseldorf.

Nach ausführlichen EEG- und MRT-Untersuchungen wurde unser Verdacht bestätigt. Unser Sohn litt an einer (kindlichen) idiopathischen fokalen Epilepsie. Man teilte uns mit, dass sich diese bis zur Pubertät auswachse. Damals konnte ich mir noch nicht vorstellen, was auf uns zukommen würde.

Ein monatelanger Gang durch verschiedene Kliniken folgte - mit vielen Ärzten, vielen Meinungen und vielen Medikamenten.

Es trat keine Besserung ein – ganz im Gegenteil: Die Anfälle wurden häufiger und schlimmer, viele Nebenwirkungen wie z. B. Wesensveränderungen oder auch andere Formen von Anfällen waren die Begleiterscheinung. Unsere Verzweiflung war unaussprechlich. Nach einigen Monaten hatte unser Sohn die linke Körperseite motorisch belastet, das Denken, Handeln und Sprechen fiel ihm schwer. Den Alltag, soweit es den noch gab, konnte er nur noch mit Diazepam bewältigen, zur Schule ging er nur noch sporadisch. Nebenwirkungen der Medikamente waren Hautausschläge am gesamten Körper und generalisierte Anfälle. Die behandelnde Oberärztin erwog sogar, unseren Sohn ins Koma zu versetzen. Deniz bekam teilweise drei bis vier verschiedene Medikamente gleichzeitig.

Er saß im Rollstuhl.

Wir waren hilflos, aber auch die Ärzte schienen rat- und machtlos zu sein. Mein Limit war erreicht, ich wollte jedes Medikament absetzen. Je mehr Medikamente wir nahmen oder ausprobierten, umso schlechter ging es Deniz!

Mein Wunsch, alle Medikamente abzusetzen, stieß bei den Ärzten auf taube Ohren. Geistheiler und Heilpraktiker, keinen Weg ließ ich ungenutzt. Aber es half nichts und niemand. In einer der Kliniken hörte ich zum ersten Mal von betroffenen Müttern, die im Rahmen der ketogenen Diät ihrer Kinder verzweifelt mit der angegebenen Nahrung herumexperimentierten - leider ohne Erfolg (???) - und schier verzweifelten. Ich fragte die behandelnde Ärztin, ob die ketogene Diät eine Möglichkeit für Deniz grauenhafte Krankheit wäre. Alles andere hatten wir ausprobiert.

Da sich die Erfahrung der Ärzte über die ketogene Diät auf ein Minimum beschränkte, mussten auch sie sich erst informieren. Durch einen Vortrag der Diätassistentin Frau Güler aus der Kinderklinik Köln wurde unsere Ärztin überzeugt, dass dies eine Möglichkeit für unseren Sohn wäre. Ihre Zuversicht übertrug sie auf mich. Die Voruntersuchungen ergaben, dass Deniz für die Diät geeignet sei. Uns erwartete ein super Team, welches uns liebevoll und geduldig erklärte, was uns erwartete. Deniz Ernährung wurde komplett umgestellt. Die Ärzte entschieden sich in seinem Fall für die modifizierte Ätkins-Diät.

Am Tag vor dem Diätbeginn in der Klinik saß ich mit Deniz auf dem Krankenhausbett, zwischen uns eine Menge Naschereien. Es sollte erst einmal der letzte Tag gewesen sein, an dem er sich nach seiner freien Wahl mit Süßigkeiten den Bauch vollschlagen durfte. Wir verabschiedeten uns dann offiziell von seiner alten gewohnten Nahrung. Sein Leidensdruck war so groß, dass er zu allem bereit war. Noch bekam er 10 bis 20 mg Valium täglich.

Am zweiten Tag der modifizierten Ätkins Diät sah ich einen ganz neuen Ausdruck in Deniz Augen. Es war, als wenn ein Schleier weggezaubert wäre, seine Augen waren wieder klar! Nach zwei Tagen Diät äußerte er wörtlich: „Ich bin wieder da, lass uns draußen Fußball spielen.“

Die Diätassistentin gab mir Anweisungen, wie ich Deniz Nahrung abwiegen, berechnen und zubereiten sollte. Ich hatte das Gefühl, die Verantwortung über den Verlauf und die Heilung der Epilepsie meines Sohnes läge wieder in meinen Händen! Vor dieser Verantwortung hatte ich große Angst, konnte dieser Diät auch noch nicht so sehr mein Vertrauen schenken. Warum sollte eine Diät, die unter den Medizinern so gar nicht bekannt war, helfen? 16 Medikamente und 14 Klinikaufenthalte in einem Jahr hatten dieses nicht geschafft. Jetzt sollte eine Nahrungsumstellung die Lösung sein?

Schon die erste Woche der Diät – noch in der Klinik – verbrachten wir bereits ohne Anfälle. Sogar eines der Medikamente wurde langsam ausgeschlichen. Die übrigen Medikamente schlichen wir später zu Hause selbstständig und auf ‚eigene Verantwortung’ aus– und zwar erfolgreich.

Nach einer Woche wurden wir dann entlassen. Zu Hause angekommen, versuchte ich die Diät genauestens umzusetzen. Jede Mahlzeit musste ich genau nach Rezept zubereiten, jedes Nahrungsmittel musste ich akribisch abwiegen, mich strikt an die Vorgaben halten. So benötigte ich für die Zubereitung der Mahlzeiten meines Sohnes täglich rund drei Stunden. Am Anfang war ich unsicher, hatte ganz oft Fragen und rief ständig Frau Güler in der Klinik an. Sie unterstützte, bestätigte und motivierte mich immer.

Ich setzte alle Vorgaben nach bestem Gewissen um, aber mein Sohn hatte ständig Hunger. Er forderte mich heraus. So recherchierte ich selber und konnte viele Produkte ausfindig machen, die beliebte Lebensmittel ersetzten und das Leben für alle Beteiligten vereinfachten: zum Beispiel Brot, Nudelersatz, Ketchup, Marmelade und so weiter. Deniz wurde wieder satt und musste nicht auf so vieles verzichten. Dabei habe ich seine Ketose, den bei dieser Diät relevanten Wert, ständig kontrolliert: 2,7 war der Durchschnitt!

Für Deniz wurde und wird nicht komplett extra gekocht – wir passen unsere Ernährung an, verändern seinen Anteil nach den Anforderungen der Diät. Mit der Diät konnten wir wieder alles Alltägliche machen.

Was für andere normal war, wurde auch für uns wieder normal. Zum Beispiel Roller fahren, Fahrrad fahren, zu Kindergeburtstagen gehen und sogar in den Urlaub fahren. Wie im Alltag müssen wir auch dort viel Zeit in die Planung der Ernährung investieren: Man muss viel organisieren, strukturieren und kreativ sein – es ist zwar eine Einschränkung, aber kein Verzicht. Für (fast) alles gibt es eine Alternative! Je selbstverständlicher wir damit umgingen, umso leichter wurde es für das Kind aber auch für die Umgebung.

Freunde, Bekannte und andere Kinder haben die Diät auch ganz akzeptiert und freuen sich auf die Keto-Muffins!

Ich möchte hier nichts schönreden: Der Aufwand ist für alle groß. Anfangs haben uns Unsicherheit und Angst begleitet - man wollte seinem Glück nicht trauen. Von Juli bis Dezember war Deniz völlig medikamentenfrei! Seit Dezember bekommt er das Medikament Ospolot®, weil erneut leichte Anfälle sichtbar wurden.

Nach den Sommerferien konnte er wieder zur Schule gehen – nachdem er die erste Klasse fast vollständig fehlen musste. Er kommt jetzt wieder gut zurecht und ist mittlerweile in der 4. Klasse (ohne Wiederholung!). Die Langsamkeit war verschwunden – ich hatte ein ‚neues Kind’ und mein altes Kind wieder. Seine Motorik war nicht mehr eingeschränkt, er fing noch im Juli 2010 mit JetkunDo an und trainiert aktuell dreimal wöchentlich zwei Stunden mit viel Einsatz und Begeisterung – und hat Spaß am Leben!

Mein Fazit: „ Mit der Krankheit war es kein Leben - mit der Diät leben wir wieder! Oder wie Deniz es manchmal sagt: „Mama, die Diät ist echt Kacke, aber sie hilft!“


Fikriye Kart