Frühe Nutzenbewertung neuer Medikamente

Und wie geht‘s weiter?
Zur Versorgung von Epilepsie-Patienten mit neuen Medikamenten

Trobalt® (Wirkstoff: Retigabin) und Fycompa® (Wirkstoff: Perampanel), die beiden neuen Antiepileptika, sind trotz Zulassung durch die Arzneimittelbehörden nach kurzer Dauer von den Herstellern wieder vom Markt genommen worden. Um die Gründe für dieses Vorgehen zu verstehen, ist ein kurzer Einblick in das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) notwendig:

AMNOG – Frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V
Seit Verabschiedung des AMNOG am 11. November 2010 müssen in Deutschland neu zugelassene Medikamente mit neuen Wirkstoffen noch eine zusätzliche Hürde überwinden, bevor die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden: die frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nach § 35a SGB V. (s. Info).

Das Ergebnis dieser Bewertung ist seit 2011 die Entscheidungsgrundlage dafür, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für ein neues Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zahlt. Der G-BA bewertet innerhalb von drei Monaten nach Marktzulassung eines neuen Arzneimittels, ob ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie anerkannt wird. Zu diesem Zweck legen die Pharmahersteller dem G-BA ein Dossier auf Grundlage der Zulassungsunterlagen sowie aller Studien zu den Arzneimitteln vor, die einen Zusatznutzen des Medikaments im Vergleich zu einer vom G-BA bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie belegen müssen. Der G-BA kann mit der Nutzenbewertung das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder Dritte beauftragen.

Bei Arzneimitteln mit erwiesenem Zusatznutzen verhandeln der GKV-Spitzenverband und der jeweilige pharmazeutische Unternehmer innerhalb von sechs Monaten einen Erstattungsbetrag für die GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) als Rabatt auf den ursprünglichen, durch das Unternehmen selbst festgelegten Abgabepreis. Kommt es zu keiner Einigung in der Verhandlung, setzt eine Schiedskommission den Erstattungsbetrag fest. Maßstab soll dabei das europäische Preisniveau sein.

Wird der Zusatznutzen durch den G-BA als nicht ausreichend belegt angesehen (das heißt nicht, dass kein Zusatznutzen vorliegt), wird das Arzneimittel nach Markteinführung innerhalb von sechs Monaten in das Festbetragssystem überführt. Kann es keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden, wird ein Erstattungsbetrag vereinbart, bei dem die Jahrestherapiekosten nicht höher sind als bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

Konsequenzen
Für einen forschenden Arzneimittelhersteller, der die Kosten für die Entwicklung des Medikamentes trägt, ist natürlich der Beschluss, dass kein Zusatznutzen belegt werden konnte, in der Regel wirtschaftlich nicht attraktiv. Im Fall der beiden Antiepileptika haben die Hersteller die Produkte vorübergehend vom deutschen Markt genommen, die Versorgung bereits behandelter Patienten wird zurzeit bei Trobalt® durch Auslandsimporte sichergestellt, bei Fycompa® durch die Vorräte, die noch bei den Großhändlern liegen. Auch wenn man nicht die vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) genannten 800 Mio. Dollar Forschungskosten pro Wirkstoff zugrunde legt, sondern „nur“ die von der US-Verbraucherorganisation Public Citizen veranschlagten 110 Mio. Dollar, sollten diese Kosten für den Hersteller auch wieder hereinkommen. Andernfalls stellt dieses Unternehmen sich zurecht die Frage, ob sich Forschung auf diesem Gebiet überhaupt noch lohnt.

Praktisch heißt das, dass der Hersteller nicht nur Studien machen muss, die die Auflagen der Zulassungsbehörden (Europaweit: Europäische Arzneimittelagentur EMEA (European Agency for the Evaluation of Medical Products), (in Deutschland: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder Paul-Ehrlich-Institut (Impfstoffe)) erfüllen, sondern auch Studien zur vom G-BA festgelegten Vergleichstherapie. Weichen die erforderlichen Studiendesigns für Zulassung und Nutzenbewertung stark voneinander ab, kommen zusätzliche Kosten und zusätzlicher Zeitaufwand auf den Arzneimittelhersteller zu.

Problematisch ist bei diesem Prozedere zum einen die Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie durch den G-BA und die Definition des Zusatznutzens. Bei den beiden Antikonvulsiva, die, wie andere Arzneimittel dieser Indikationsgruppe auch, zuerst als Add-on-Präparat, also als Zusatzmedikation, zugelassen werden, wurde als zweckmäßige Vergleichstherapie vom G-BA Lamotrigin bzw., wenn Lamotrigin die Basismedikation ist, Topiramat festgelegt.

Diese Festlegung entspricht aber nicht der Behandlungsrealität in Deutschland. Nach den Leitlinien „Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter“ sind Lamotrigin und Levetiracetam die Mittel der ersten Wahl zur Behandlung in der Monotherapie. Sie werden also häufig als erstes Medikament eingesetzt und nicht als Zusatztherapie. Topiramat dagegen führt häufig zu kognitiven Beeinträchtigungen.

Das andere Problem bei der Bewertung ist die Definition des Zusatznutzens: Wird der Zusatznutzen ausschließlich an Anfallsfreiheit oder an der Verringerung der Anfallsschwere und -häufigkeit festgemacht? Werden auch andere Parameter, wie bessere Verträglichkeit, weniger Nebenwirkungen, einfachere Anwendbarkeit, weniger Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten in Betracht gezogen?

Gerade in der Epilepsietherapie, die ja immer individuell auf den Patienten zugeschnitten werden muss, ist es schwierig, eine „generelle“ Vergleichsmedikation und einen „generellen“ Zusatznutzen zu definieren. Wenn man sich auf einige wenige Präparate als Vergleichstherapie beschränkt, werden die Verbesserungen, die sich bei der Behandlung von Patienten mit anderen Medikamenten-Kombinationen ergeben, nicht berücksichtigt und so der wirkliche Zusatznutzen des Medikaments nicht erfasst.

Was wir uns wünschen
Gerade Patienten mit therapieresistenter Epilepsie stellen eine schwierig zu behandelnde, kleine Untergruppe aller Epilepsie-Patienten dar. Neue Medikamente, die z. B. über einen vollkommen anderen Wirkmechanismus verfügen, bringen vielleicht nur für einen Teil dieser Patientengruppe Verbesserungen, aber diese Menschen haben dann definitiv einen Zusatznutzen. Daher sollte der Zusatznutzen eines neuen Medikamentes auch nur in Bezug auf dieses spezielle Patientenkollektiv betrachtet werden (welches mit Sicherheit nicht mehr mit der vom G-BA angenommen Vergleichstherapie behandelt wird).
Zusätzlich hat der G-BA auch die Möglichkeit, einen befristeten Beschluss zu fassen, so dass nach einer Art „Probezeit“ für das Medikament eine erneute Nutzenbewertung durchgeführt wird.

Wie geht es weiter?
Der Hersteller selbst hat erst ein Jahr nach der Veröffentlichung der Beschlussfassung die Möglichkeit, eine erneute Nutzenbewertung zu beantragen. Für Trobalt® ist diese erneute Nutzenbewertung im Mai dieses Jahres beantragt worden, der Beschluss wird für Mitte Oktober erwartet.

Wir bleiben an diesem Thema dran
und machen uns als Betroffenenverbände Gedanken darüber, wo wir ansetzen können, um das bestehende System zu verändern. Die Deutsche Epilepsievereinigung hat mit ihrer Stellungnahme (www.epilepsie-vereinigung.de/2013/07/versorgung-mit-neuen-antiepileptika-gefahrdet/) zu diesem Problem schon einen ersten Schritt getan. Die medizinische Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), hat ebenfalls auf ihrer Internetseite eine Empfehlung zur Nutzenbewertung abgegeben: (www.dgfe.org/home/index,id,552,selid,3736,type,VAL_MEMO.html).

Wir werden aktuell über neue Entwicklungen auf unseren Internetseiten und Facebook informieren und natürlich in der nächsten Ausgabe des epiKurier.

Susanne Fey,
Wuppertal


Info

Der G-BA setzt sich zusammen aus:

  • einem unparteiischen Vorsitzendem sowie zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern (Unparteiische)
  • fünf vom GKV-Spitzenverband (Gesetzliche Krankenkassen) benannten Mitgliedern
  • zwei von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) benannten Mitgliedern
  • zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) benannten Mitgliedern
  • einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) benannten Mitglied.
  • Zusätzlich nehmen noch Patientenvertreter an den Beratungen und Abstimmungen teil. Sie haben Mitberatungs- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht.


Bilder – Quelle: G-BA