Immer diese Pauschalkisten...

Anja Zeipelt

Manchmal reizen mich Aussagen Anderer tatsächlich bis zur Weißglut. Da wird gesprochen von DEN Frauen, DEN Männern, DEN Jugendlichen, DEN Amis, DEN Japanern und DEN Deutschen.

Ist es nicht furchtbar, wenn alles in dieselbe Schublade gesteckt und pauschalisiert wird? Als hätte nicht jeder Mensch, jede Sache, ihr eigenes individuelles Wesen.

Was im Allgemeinen noch gang und gäbe zu sein scheint (leider), ist aber bei anderen Dingen richtiggehend lebensbehindernd. Wie zum Beispiel bei Epilepsie. „DER Epileptiker ist ja dumm“ lautet ein Vorurteil. Jemand, der schlauer ist als Thomas Alva Edison und da Vinci, darf das ruhig sagen. Denn von seiner Perspektive aus gesehen mag das sogar stimmen.

„DIE Epileptiker können ja nichts“ hört man auch heute noch hier und da. Vielleicht könnte ich das sogar glauben, hätte ich nicht schon leibhaftig vor den Werken Michelangelos gestanden. Aber selbst wenn ich das nicht mit eigenen Augen und offenem Mund bestaunt hätte, ist der absurde Glaube an eine solche Vorstellung doch eher abwegig, eroberten Napoleon und Cäsar schließlich die halbe Welt - trotz ihrer Epilepsie. Irgendwas scheinen Epis also doch zu können.

Am besten aber finde ich die Superschlauen, die mit „Epileppis“ nichts zu tun haben wollen. Denn oft sind es gerade diejenigen, die ihr Geld unwissentlich entweder für Konzerte von „so einem“ ausgeben oder Eintrittskarten fürs Kino kaufen, um einen „Epileppi“ als Elrond in „Herr der Ringe“ oder Agent Smith in „Matrix“ zu sehen. Und die nicht die geringste Ahnung haben, dass in ihrem Zimmer ein Poster von einem dieser „Epileppis“ hängt. Was gibt es Schöneres, als diese unwissenden Fans aufzuklären???

Dummerweise neigen aber auch andere Menschen zu Pauschalisierungen. Besonders ärgerlich ist das, wenn man (wie ich) solche Pauschalisierungen ablehnt und plötzlich feststellt, dass man sich auch dazu hat hinreißen lassen. Teilweise völlig unbemerkt.

Zwei Jahre lang glaubte ich an DIE Epilepsie, an DIE Verbote für Epilepsie-Patienten und DIE Ärzte, die uns behandeln können. Zwei Jahre lang verschenkte ich wertvolle Freiheiten, weil ich mich selbst in ein „Epikorsett“ gezwängt hatte.

Das erste Mal hellhörig wurde ich, als ich eine Jurastudentin kennenlernte, die nachts durch die Straßen schlich, um Bäume zu pflanzen. Schlafentzug? Ja und? Das interessierte sie nicht, es machte ihr schlicht nichts aus.

Als Nächstes lernte ich einen Schwimmer kennen, der nicht nur an Wettkämpfen auf Bundesebene teilnahm, sondern auch noch im Buch der Rekorde stand. Mit 24 Stunden Dauerschwimmen! Und ich mied sogar die Badewanne … Da fängt man an, Fragen zu stellen und nicht mehr einfach alles Verbotene hinzunehmen. Und tatsächlich erhielt ich auch ganz schnell die Antworten. DIE Epilepsie gibt’s nicht. DIE Anfallsauslöser gibt’s auch nicht. Und DEN Epilepsie-Patienten schon gar nicht. Ich hatte mich also ganz selbstverständlich in eine Pauschalisierungsmaschine stecken lassen und war aus dem Individuum Anja zu der Epileptikerin XYZ geworden. Natürlich im Auftrag wohlmeinender Ärzte, die sich außer mit mir auch noch mit einer Unmenge anderer neurologischer Erkrankungen herumschlagen mussten. Wen wundert da der obligatorische DIN-A4-Verbotszettel, auf dem man sicherheitshalber alles aufführte, was einem Epi, egal wie zutreffend oder nicht, gefährlich werden konnte.

Aber, ich war definitiv selbst schuld. Mir war ja völlig klar, dass Ärzte immer weniger Zeit für den einzelnen Patienten haben und dass es keine Spezialisten gäbe, wenn jeder Arzt das gleich gut behandeln könnte. Ich wurde also das Opfer meiner einseitigen Gedankengänge und reihte mich so in die Oberflächlichkeit oben aufgeführter Pauschaldenker ein.

Dabei hätte ich nicht nur jeden Anreiz gehabt, mich selbst etwas näher zu informieren, nein, ich hatte auch noch alle Möglichkeiten. Dem www (World Wide Web) sei Dank. Und wenn ich als Betroffene nicht meine Motive nutzte, warum sollten es Menschen tun, die mit Epilepsie nichts zu tun haben?

Nun, ich habe eine Antwort dafür. Sie müssen es gar nicht tun, denn es besteht kein Grund für sie, aber sie könnten einfach aus Menschlichkeit und aus Achtung vor anderen Menschen versuchen, uns nicht als dumm zu verkaufen. Manchmal sind wir etwas hinterher, wie mein Beispiel unwiderlegbar beweist, aber solange Menschen wie Alfred Nobel und Sokrates unsere Reihen füllen, sind wir bestimmt vieles, aber garantiert nicht dumm, schwach und talentfrei. In diesem Sinne

Ihre schubladenfreie Anja D.-Zeipelt

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Anja Zeipelt
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