Der Weg zur Reha – mal ganz anders

Lisa und ihre Mama – ein gutes Team ☺
© privat
Lisa und ihre Mama – ein gutes Team ☺
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Im Alter von einem Jahr erkrankte unsere Tochter Lisa an Epilepsie. Es folgten unzählige Grand-mals – viele davon in Serien mit bis zu 15-20 Stück in drei Tagen, die auch durch den Einsatz von Notfallmedikamenten nicht zu unterbrechen waren. Erst einige Jahre und diverse Medikamenten-Kombinationen später kam ihm Alter von neun Jahren der Durchbruch an unserer persönlichen „Epilepsie-Front.“ Wir fanden keine Anfallsfreiheit, aber eine Einstellung, die uns durchatmen ließ und ein – für unsere Verhältnisse – fast normales Leben ermöglichte. Alle 10-14 Tage ein Grand-mal ohne weitere Serienbildung, das schenkte uns eine Stabilität, die wir bis dahin nicht gekannt hatten. Unser Leben wurde nicht mehr von Krankenhausaufenthalten, Untersuchungen, Medikamenten etc. bestimmt, wir konnten endlich an andere Dinge denken. Längerfristige Planungen z. B. von Urlauben oder Freizeiten waren angesagt – auch eine Reha für Lisa fassten wir ins Auge.

 

Aber hier stießen wir auf große Schwierigkeiten, denn Lisa war privat versichert und zwar in einem Basistarif, der zwar an die Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse angelehnt ist, aber nur eingeschränkte Leistungen vorsieht, darunter eben auch keine Reha-Maßnahmen. Die zuständige Sachbearbeiterin der Krankenkasse, bei der ich mich trotzdem telefonisch nach den Möglichkeiten einer Reha erkundigte, verwies mich natürlich auf das Kleingedruckte im Versicherungsvertrag – dort würde es ja schließlich schwarz auf weiß auch stehen. Gelesen hatten wir das, verstanden, was es bedeutete, jedoch nicht … was sich jetzt rächte.

© pixabay.com
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Einige Zeit später besuchte ich ein Wochenendseminar des e.b.e. epilepsie bundes-elternverbandes, wo eine Rechtsanwältin viele Tipps zu bestehenden Ansprüchen und deren mögliche Durchsetzung gab. Und auch für unseren Fall hatte sie eine Lösung parat, die sie mir vorschlug. Im zuständigen Sozialgesetzbuch stünde nämlich, dass beim Ausfall der üblichen Träger für Reha-Maßnahmen der örtliche Sozialhilfeträger zuständig wäre.

Also reichte ich einen Reha-Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung ein. Aber diese forderte von uns erst einmal einen Nachweis, dass die Krankenkasse diese Reha-Maßnahme abgelehnt hatte. Ich stellte somit ganz offiziell bei Lisas Krankenversicherung einen Antrag zu einem ganz unüblichen Zweck: Ich wollte eine Ablehnung bekommen und war ganz glücklich, als ich diese nach einigen Tagen auch schriftlich in den Händen hielt. Verkehrte Welt …

 

Nach mehreren Wochen erteilte uns aber auch die Deutsche Rentenversicherung eine Absage. Bei der Behinderung unserer Tochter müsse davon ausgegangen werden, dass durch eine Rehabilitationsleistung die Aussicht auf eine spätere Erwerbsfähigkeit nicht verbessert werden könne. Somit wäre die Deutsche Rentenversicherung in diesem Fall nicht zuständig. Es stimmte, dass schon jetzt abzusehen war, dass Lisa nicht in der Lage wäre, einer Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt nachzugehen, der Weg zu einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen schien vorgezeichnet.

 

Was ich damals jedoch nicht wusste, ich hätte sofort Widerspruch gegen diesen Bescheid einlegen können, denn auch eine Anstellung in einer Werkstatt zählt zu einer Erwerbsfähigkeit und eine Reha-Maßnahme zur Sicherung dieser Anstellungsmöglichkeit ist ebenfalls genehmigungsfähig. Eine Beratung in einer spezialisierten Epilepsieberatungsstelle oder beim VDK wäre sicherlich hilfreich gewesen. Aber ich war erst einmal am Ende meiner Nerven, zu viele Ablehnungen auf einmal … ich musste mich sammeln, um einen neuen Ansatzpunkt zu finden und einen weiteren „Angriff“ starten zu können.

Tatsächlich sind im Sozialgesetzbuch IX, in dem die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen geregelt ist, unter § 6 die möglichen Rehabilitationsträger erwähnt unter Punkt 7 stehen auch die Träger der Sozialhilfe für Leistungen dieser Art. Nachzulesen ist das z. B. hier: 

https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__6.html

 

Demzufolge stellte ich dieses Mal einen Antrag beim Sozialamt der Stadt Nürnberg, das für die Eingliederungshilfe und somit in unserem Fall auch für Lisas Reha-Maßnahmen zuständig war. An der Reaktion des Sozialamtes merkte ich aber, dass diesen Weg anscheinend vor uns noch niemand beschritten hatte. In einem Telefonat ca. einen Monat später wurde mir vorgeschlagen, doch ambulante Reha-Maßnahmen vor Ort durchführen zu lassen. Auf meinen Einwand, dass es meines Wissens keine geeigneten Einrichtungen für eine solche Kinderrehabilitation mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Neurologie bzw. Epilepsie in Nürnberg gäbe, war man nicht vorbereitet und ratlos. Nach einigen Diskussionen bat man mich, dem Sozialamt mögliche geeignete Kliniken in Bayern zu nennen – für mich schon einmal ein Fortschritt …

 

Danach erhielt ich ein Schreiben, dass die beantragte Reha-Maßnahme ein-kommens- und vermögensabhängig wäre und ich den beiliegenden Antrag mit Nachweis über das Einkommen und Vermögen aller Familienmitglieder abgeben müsste. Ich studierte wieder das Internet und fand auch diese Auskunft „verbesserungsfähig“. Denn laut dem Gesetz in SGB XII § 92 trifft diese Regelung nicht bei behinderten Menschen und Leistungen zur medizinischen Reha zu. Diesen Personen ist nur die Aufbringung der Mittel für die Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten. Und in SGB XII § 19 Abs. 2 steht zu lesen „Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil ..., werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.“ Sicherheitshalber druckte ich den Gesetzestext aus, markierte die entsprechenden Stellen und legte ihn meinem Antwortschreiben bei.

 

Dies brachte unser Sozialamt nun doch zum Nachdenken und die Reaktion erfolgte „prompt“. Kaum zwei Monate später erhielt ich die Information, dass der Fall mit allen Unterlagen an den Bezirk Mittelfranken zur Entscheidung weitergeleitet wurde…Von dort bekam ich knapp eine Woche später eine Bestätigung über den Eingang des Antrags mit einem neuen Antragsformular und der Bitte, die noch fehlenden Nachweise über Nettoverdienst und Vermögen etc. beizubringen … Ich entschied mich gegen einen Brief (dessen Wortwahl in meinem damaligen Gemütszustand bestimmt nicht positiv ausgefallen wäre) und stattdessen für ein klärendes Telefonat mit dem nochmaligen Hinweis auf die der Stadt Nürnberg schon mitgeteilte Gesetzeslage.

 

Schon eine Woche später wurde mir mitgeteilt, dass „der Bezirk Mittelfranken wohl tatsächlich für die zur Debatte stehende Reha-Maßnahme zuständig sein dürfte“ und ein Amtshilfeersuchen bei der AOK Nürnberg gestellt wurde, „um in Erfahrung zu bringen, unter welchen Voraussetzungen und in welcher konkreten Weise und Umfang die besagte Reha-Maßnahme üblicherweise von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden kann“.

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Nach weiteren vier Wochen – mittlerweile waren seit meinem Antrag bei der Stadt Nürnberg vier Monate vergangen – bekamen wir die Info, dass der Bezirk Mittelfranken den Fall an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zur Prüfung weitergeleitet hatte. Ich nahm das Schreiben nur noch mit Achselzucken zur Kenntnis, mit einem baldigen Bescheid rechnete ich überhaupt nicht mehr.

 

Aber dann die Überraschung: Nach nur einer Woche erhielt ich eine E-Mail vom zuständigen Sachbearbeiter, dass der MDK eine positive Rückmeldung zur Reha-Maßnahme gegeben hätte und zwar für die Dauer von 6 Wochen mit Begleitung eines Elternteils. Man bat darum, dass ich mich mit einer der von mir vorgeschlagenen Einrichtungen in Verbindung setzen und Aufnahmetag sowie Dauer der Maßnahme abklären und bekanntgeben möge.

 

Angesichts der Schnelligkeit, die jetzt an den Tag gelegt wurde, war ich wirklich platt. Bis zum endgültigen Beginn der Reha-Maßnahme vergingen noch weitere drei Monate, aber Lisas Fortschritte während unseres Aufenthalts dort entschädigten mich für alle vorangegangenen Aktionen und Nerven, die ich beim Antragsverfahren gelassen hatte.

 

Neun Monate lagen zwischen dem ersten Antrag und dem ersten Tag der Reha – nicht gerade wenig. Aber es hat sich gezeigt, dass Ausdauer und Kampfgeist sich lohnen.

 

Also:

  • Nehmt die Ablehnung eines Antrags nicht einfach hin.
  • Versucht, Euch selbst schlau zu machen – entweder im Internet, in diversen Online-Foren oder fragt bei örtlichen Selbsthilfegruppen oder anderen Betroffenen nach.
  • Kontaktiert Bundes- oder Landesverbände der Epilepsie-Selbsthilfe.
  • Wenn Ihr alleine keine Kraft mehr habt, bittet die oben genannten Verbände oder andere wie Lebenshilfe, den VdK, das Kindernetzwerk oder den bvkm (Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen) um Unterstützung.

Wichtig ist es, nicht aufzugeben und immer weiter nach Möglichkeiten zu suchen.

 

Ich hoffe, dass meine Schilderungen vielleicht anderen weiterhelfen, den Kampf gegen die Bürokratie wieder aufzunehmen. Lasst Euch nicht unterkriegen!

 

Doris Wittig-Moßner, Nürnberg