Lucas „Tigerherz“ Fischer

Lucas Fischer bei einer Buchvernissage, im Hintergrund Karin Sutter, die Mitautorin von „Tigerherz“
© David Thayer

Aufgrund seines beeindruckenden Portraits „Tigerherz“, in dem der ehemalige Kunstturner Lucas Fischer ehrlich und bewegend den Beginn seiner Erkrankung und seinen Weg mit Epilepsie schildert, haben wir ihm einige Fragen gestellt. Hier sein „Steckbrief“:

 

Persönliche Daten:

Lucas Fischer, geb. 30.8.1990, ist Künstler und in Teilzeit beruflich tätig als Mitarbeiter im Marketing von SKODA.

 

Epilepsiediagnose:

  • Häufigkeit der Anfälle: 8 Anfälle insgesamt
    (innerhalb von ca. vier Jahren)
  • Erster Anfall: im Alter von 20 Jahren
  • Letzter Anfall: vor 2,5 Jahren
  • Behandlung der Epilepsie: medikamentös


Allgemein

Haben Sie schon vor Ihrer Erkrankung von Epilepsie gehört? Haben Sie bereits Erfahrungen damit verbunden?

 

Als Kunstturner war ich sehr eingespannt mit 30 Stunden Training pro Woche, Schule, Ausbildung. Um zu lesen oder mich auch sonst weiterzubilden, blieb kaum Zeit, so kam es wohl, dass ich zuvor noch nie von Epilepsie gehört hatte.

 

Ausbildung/Beruf

Hatte die Epilepsie Auswirkungen auf Ihre Ausbildung? Auf Ihr(e) Leben-(splanung)? Mussten Sie sich neu orientieren?

 

Es hatte direkte und große Auswirkungen, wie man in meinem Buch „Tigerherz“ nachlesen kann. Kurz zusammen-gefasst, mit einer Epilepsie Spitzensport zu betreiben und dann gerade noch Kunstturnen, wo man viele gefährliche Sachen macht, ist natürlich keine einfache Entscheidung. Kein Arzt konnte mir diese abnehmen. Ich habe entschieden, weiter zu turnen, Turnen war mein Leben und mein Traum war Olympia. Am Anfang war die Angst riesig, aber ich konnte sie überwinden und schaffte es zurück an die Geräte. Und trotzdem hat die Krankheit meine Karriere stark beeinflusst. Ich hatte einen Anfall kurz vor der WM, für die ich bereits qualifiziert war und musste darum die WM absagen und verpasste so die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London. Das war bitter. Ich hatte auch einmal bei einem Turnier einen Anfall, und mehrere Male in der Trainingshalle. Das alles war sehr schwer. Und danach konnte ich jeweils eine Weile nicht trainieren und erlitt einen Trainingsrück-stand.

Den Traum von Olympia träumte Lucas Fischer schon früh
© Aris Verlag

Wie haben andere Spitzensportler (außer den Schweizer Turnkollegen) auf Ihre Erkrankung reagiert? Haben sich weitere betroffene Spitzensportler bei Ihnen gemeldet und von ihren Erfahrungen berichtet?

 

Ich kenne leider keine anderen Spitzensportler, die offen zur Epilepsie stehen. Dr. Thomas Grundwald von der Epilepsie-Klinik in Zürich aber sagte mir, es gebe diese durchaus. Auch Olympiateilnehmer. Ich finde es schade, dass nicht mehr bekannte Leute zu ihrer Krankheit stehen. In der ersten Zeit sprach ich ja auch nicht darüber, aber irgendwann merkte ich, ich will darüber reden, nein ich MUSS darüber reden. Es hat mich erleichtert und nur so lernte ich auch, die Krankheit an die Hand zu nehmen. Und ja, ich erhielt sehr, sehr viele Reaktionen, vor allem von Betroffenen und deren Angehörigen. Sehr viele schöne Briefe. Ich hätte ihnen mit meiner Geschichte geholfen, ich sei ein Vorbild, wie ich trotz all der vielen Rückschläge immer wieder aufgestanden bin und mich zurückkämpfte. Sie sagten mir, ich mache ihnen Mut, selber auf ihrem Weg weiterzugehen.

 

Jetzt wo „Tigerherz“ veröffentlicht ist, habe ich natürlich auch Rückmeldungen von anderen Sportlern. Man gratuliert mir zum Buch und ist beeindruckt, dass ich meine sportliche Karriere weitertrieb – trotz Epilepsie und all den Rückschlägen. Die Buchvernissage moderierte die Eiskunstlauf-Europameisterin Sarah Meier und der Ex-Spitzenradrennfahrer Franco Marvulli hielt eine wunderschöne Laudatio.

 

Persönliches

 

Haben Sie seit dem Bekanntwerden der Diagnose den Eindruck, dass es schwerer ist, Beziehungen aufzubauen?

 

Nein, aber das hat sicher mit meinem offenen Umgang mit der Krankheit zu tun. Man weiß, dass man mich alles fragen kann. Und ich merke auch an Lesungen, dass die Leute sehr, sehr viele Fragen zum Thema Epilepsie haben. Wir haben immer auch einen Epilepsie-Arzt dabei, der dann spezifische Fragen aus dem Publikum beantworten kann.

 

Empfinden Sie Epilepsie für sich selbst als Stigma?

 

Nein, am Anfang natürlich schon. Ich dachte, was bin ich für ein komischer Typ. Aber dann habe ich mich informiert und gelesen über die Krankheit. Heute sehe ich sie längst auch als Chance. Ich hätte sicher nicht mit Singen angefangen und keine künstlerische Karriere eingeschlagen, wenn ich nicht an Epilepsie erkränkt wäre. Und ich fühle mich sehr glücklich heute, dass ich diesen Weg gegangen bin. Auch wenn ich die Turnerwelt noch immer etwas vermisse und traurig bin, dass ich nicht an den olympischen Spielen – mein großer Traum – teilnehmen konnte.

 

Gehen Sie immer offensiv damit um?

 

Ich gehe seit langem offensiv damit um – und mit Tigerherz haben noch viel mehr Leute von dieser Krankheit erfahren.

 

Wie kam es zum Buch „Tigerherz“? Was waren die Gründe dafür?

 

Die Journalistin Katrin Sutter, die mich schon verschiedene Male porträtiert hatte, hat mich angefragt. Sie wusste, dass viele Leute an meiner Geschichte interessiert waren und sie war auch beeindruckt, dass ich für viele eine Art „Mutmacher“ bin. Und so schlug sie vor, dass wir ein „Mutmacher“-Buch schreiben. Ein Buch, das der Krankheit ein Gesicht gibt und auch zeigt, wie man aus den Trümmern seiner Träume neue bilden kann.

 

Welches war die größte Einschränkung für Sie persönlich durch die Erkrankung?

 

Ich konnte meine Turnkarriere nie so ausleben, wie es möglich gewesen wäre. Ich hatte ein riesiges Potential und zu dieser Zeit eine der schwierigsten Übungen, ich hätte an der Weltspitze mitturnen können. Das habe ich dann trotzdem und eine wunderbare Silbermedaille an der EM gewonnen (sie ist für mich Gold wert), aber wenn ich nicht die Einschränkungen, Trainingsrückstände gehabt hätte, wäre viel mehr drin gewesen. Besonders einschränkend war auch, dass ich wegen der Anfälle kurz vor WM/Olympia die Teilnahme absagen musste.

Eine neue Karriere gefunden – Lucas Fischer auf der Bühne mit seiner eigenen Show
© Aris Verlag

Verbinden Sie mit der Erkrankung auch etwas Positives?

 

Sehr vieles. Etwas vom wichtigsten war, dass ich wieder zu meiner Person gefunden habe! Lange Zeit habe ich mich versteckt und mich verstellt, weil ich mich anders fühlte und auch war in der Turnerwelt. Durch die Epilepsie wurde mir klar, dass das so nicht weitergeht. Ich kann nicht die Epilepsie verarbeiten und meine Persönlichkeit verstecken, also habe ich angefangen, wieder zu dem Menschen zu werden, der heute hier steht. Und das bin ich…

 

Was war Ihr negativstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie?

 

Der Anfall, den ich kurz vor der WM 2011 hatte. Man strich mich wieder von der bereits kommunizierten Teilnehmerliste und ich verpasste dadurch auch die Olympiaqualifikation. Das war extrem schwer und ich zog mich für ein paar Wochen zurück. Ich war depressiv – ich wusste aber, ich will zurück und ich fand ein Mittel, damit es mir besser ging. Ich begann zu singen, nahm professionellen Unterricht. Und ich kämpfte mich zurück.

 

Was war Ihr positivstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie?

 

Ich habe sehr viele schöne Erfahrungen und Begegnungen machen dürfen dank der Epilepsie. Ich konnte auch vielen helfen dadurch, dass ich mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit durfte. Und vor allem fand ich irgendwie zu meiner alten Persönlichkeit zurück. Ich war schon immer quirlig, vielleicht auch etwas verschroben und schräg. Als Kunstturner habe ich diesen Aspekt meiner Persönlichkeit etwas zur Seite geschoben, das passte nicht. Aber als ich Epilepsie bekam, wusste ich, ich muss so sein, wie ich bin. Mit meiner ganzen Art und mit meiner Krankheit. Und durch das ich war, wie ich bin, und auch einfach tat, was ich gerne tat (Singen, Künstler sein), öffneten sich schon während meiner Karriere erste Türen und ich entwickelte meine eigene Show, die Lucas-Fischer-Show, mit der ich heute auftrete. Und dadurch wurde ich auch angefragt, an den berühmten Thunerseespielen als Cats-Darsteller aufzutreten. Ich spiele eine junge, wilde Katze und mache anspruchsvolle Akrobatik, tanze und singe. Es ist wunderschön mit dieser Gruppe von Musicaldarstellern zusammenzuarbeiten. Das alles wäre ohne Epilepsie wohl kaum passiert.

 

Es ist zwar so ein Spruch, den fast jeder sagt, um jemanden aufzuheitern, aber er stimmt: Aus allem Negativen, kann man etwas Positives ziehen.

 

Wir danken Lucas Fischer für das ehrliche Interview – die Buchrezension von „Tigerherz“ ist unter dem Punkt Literatur zu finden.

 

Doris Wittig-Moßner, Nürnberg