Neue Ära in der Epilepsie-Behandlung

© pixabay.com

Forscher entdecken Therapierelevanz von Gendefekten bei schwer behandelbaren Epilepsien

 

Wissenschaftlern vom Universitätsklinikum und Hertie Institut für klinische Hirnforschung Tübingen ist es nun gelungen, Mutationen in einem bestimmten Gen, die eine Epilepsie auslösen, systematisch einem Therapieeffekt zuzuordnen. Profitieren können davon vor allem Neugeborene und Säuglinge, die an schweren epileptischen Anfällen leiden, und nun gezielter behandelt werden können. Aber auch für ältere Patienten mit solchen Gendefekten kann dies relevant sein. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forscher in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins BRAIN.

 

Mutationen im Natriumkanal-Gen SCN2A sind eine seltene, aber wichtige Ursache kindlicher Epilepsien sowie weiterer neurologischer Erkrankungen und Entwicklungsstörungen, die auch im späteren Lebensalter noch relevant sind.

 

Ein internationales Forschungsteam um Dr. Markus Wolff und Prof. Dr. Holger Lerche, hat nun herausgefunden, dass die Art der SCN2A-Mutationen ganz wesentlich ist für die Behandlung der betroffenen Patienten. Bei der Charakterisierung der Epilepsien von mehr als 70 Kindern mit SCN2A-Mutationen und deren Behandlungsversuchen mit verschiedenen Antiepileptika stellten sie fest, dass die Epilepsie bei etwa der Hälfte der betroffenen Kinder in den ersten drei Lebensmonaten beginnt, bei allen anderen später, bis zum Alter von 8 Jahren. Kinder mit einem frühen Krankheitsbeginn profitierten dabei deutlich von einer medikamentösen Therapie mit so genannten Natriumkanal-Blockern. Bei Kindern mit spätem Beginn hatten dieselben Substanzen jedoch keine oder sogar negative Effekte. Wenn rasch Anfallsfreiheit erzielt werden konnte, verlief die Entwicklung der Kinder zudem insgesamt günstiger.

 

Durch ihre Untersuchungen konnte das Team den zugrundeliegenden Mechanismus aufklären. Es zeigte sich, dass SCN2A-Mutationen entweder eine Überfunktion oder eine Unterfunktion des Natriumkanals bewirken können. Überfunktionen, die nur bei frühem Krankheitsbeginn zu finden sind, werden durch Natriumkanal-Blocker deutlich abgemildert. Unterfunktionen, die mit einem späten Krankheitsbeginn einhergehen, werden hingegen verstärkt. Der Therapieeffekt bei einer SCN2A-Mutation ist also durch den Krankheitsbeginn und die Art der Epilepsie sehr gut vorhersehbar. „Dies ist vor allem für Neugeborene und Säuglinge mit schweren und häufigen Anfällen sehr wichtig, die rasch der richtigen Therapie bedürfen“, erklärt Wolff. Da SCN2A-assoziierte Epilepsien sich häufig bis ins Erwachsenenalter fortsetzen, kann dies auch für Erwachsene relevant werden, die z. B. allein durch das Absetzen der falschen Medikamente profitieren können. „Die Genetik eröffnet uns damit eine neue Ära in der Behandlung von Epilepsie-Patienten, ganz im Sinne einer nach dem Gendefekt individualisierten Behandlung“, schlussfolgert Lerche.

 

Quelle: Pressemitteilung Uniklinik Tübingen

vom 24.04.2017

 

Kontakt:

 

Universitätsklinikum Tübingen

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin

Abteilung Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie

Dr. med. Markus Wolff,

Leitender Oberarzt

Hoppe-Seyler-Str. 1

72076 Tübingen

Tel.: 07071 2983806

 

Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Universitätsklinikum Tübingen

Zentrum für Neurologie

Prof. Dr. Holger Lerche,

Ärztlicher Direktor

Hoppe-Seyler-Straße 3

72076 Tübingen

Tel.: 07071 2980442