Neue Operationsmethode aus den USA

Warum wird Betroffenen und deren Angehörigen erst spät zu einer Operation geraten?

In der epiKurier-Ausgabe vom Januar 2018 war Epilepsiechirurgie ein Thema: „Frühe OP verhindert dauerhaft Anfälle“. Die Experten sind sich einig, dass man jene Patienten, die möglicherweise epilepsiechirurgisch behandelt werden können, möglichst früh identifizieren sollte.

Denn: Man weiß sehr gut, dass nach dem ersten Medikament etwas weniger als 60 % bei Kindern bzw. 50 % aller Betroffenen (Kinder und Erwachsene) anfallsfrei werden. Wird das erste Medikament nicht vertragen oder ist es nicht erfolgreich, kann man ein zweites Medikament versuchen. Allerdings verschlechtern sich die Chancen auf Anfallsfreiheit nach dem zweiten Medikament deutlich auf weniger als 30 % bei Kindern und weniger als ca. 33 % bei allen Betroffenen (Kinder und Erwachsene). Bei Kindern gibt es – ähnlich wie bei Erwachsenen – nach dem dritten Medikament dann nur noch 10 % Chance auf Anfallsfreiheit (s. Abb. 1). Diese Zahlen sind wahrscheinlich noch etwas schlechter, wenn man die Kinder betrachtet, die potentiell für einen epilepsiechirurgischen Eingriff in Frage kommen.

Abb. 1: schematische Darstellung der Chance auf Anfallsfreiheit bei Kindern in Abhängigkeit von der Anzahl der vertragenen bzw. erfolgreich verabreichten Antiepileptika nach Wirrel 2013,
* Angabe von „gut wirksam“

Angesichts dieser Zahlen ist es verwunderlich, dass viele Ärzte und Betroffene zögern, einen operativen Eingriff durchführen zu lassen, „weil sie einen hirnchirurgischen Eingriff nur als letzten Ausweg betrachten“ (siehe auch epiKurier Ausgabe 1-18). Das Problem dabei ist oft, dass nicht nur Betroffene, sondern auch viele mehr oder weniger epileptologisch versierte Ärzte bereits eine Untersuchung in einem spezialisierten Zentrum scheuen. Eine epilepsiechirurgische Untersuchung, ob überhaupt ein Eingriff möglich ist oder nicht, ist zwar aufwendig aber per se ungefährlich. Auch kann man in der Regel zu diesem Zeitpunkt nicht abschätzen, ob überhaupt eine Operation möglich ist. Erst wenn die Epilepsie genau beschrieben ist, kann der Betroffene und seine Angehörigen von einem epileptologisch ausgebildeten Mediziner aussagekräftig beraten werden. Sicherlich ist bei Ärzten und Betroffenen ein Grund für deren Zurückhaltung die Angst vor der Irreversibilität (das Nicht-rückgängig-machen-können) einer Operation. Ein anderer, möglicherweise schwerwiegender, Grund ist vermutlich die Angst vor einem Eingriff im Gehirn selbst.

Abb. 2: Darstellung des Bohrloches mit dem „Knochenanker“, der dazu dient, die Lasersonde zu fixieren: Man erkennt die minimale Schädeleröffnung (3,5 mm) und die geringe Dicke der Sonde.
(Mit freundlicher Genehmigung von Medtronic, modifiziert nach Büntjen et al. 2017)

Tatsächlich werden in den USA seit 2010 Epilepsie-Patienten (interessanterweise zuerst Kinder) mit einem Verfahren behandelt, dass mit nur einer minimalen Schädelöffnung einen sicher diagnostizierten epileptischen Herd verkleinern oder ganz zerstören kann. Hierbei ist in der Regel nur ein kleines Bohrloch von weniger als 3,5 mm (s. Abb. 2) notwendig.

Minimal-invasive Epilepsiechirurgie – Thermoablation bislang

Das Verfahren basiert auf dem seit den 50er Jahren etablierten und für andere Therapiemethoden weitverbreiteten Prinzip der „Stereotaktischen Neurochirurgie“: Aufgrund moderner Bildgebung können Sonden (und auch Elektroden) genau in einen zuvor definierten Ort im Gehirn geschoben werden. Der Neurochirurg kann aufgrund der Verbesserung in der Bildgebung dabei einen für den Patienten individuellen Weg wählen, sodass keine wesentlichen Strukturen, wie z. B. Blutgefäße, während der später durchzuführenden Einführung der Sonde verletzt werden können. Er „übt“ quasi am individuellen Kopfmodell (speziellen Kernspintomogramm-Daten) des Patienten die „richtige“ Einführung der Sonde. In seltenen Fällen kann es aber passieren, dass selbst der erfahrenste Neurochirurg keinen Weg findet und das Verfahren doch nicht benutzt werden kann. Die Technik der „Stereotaxie“ ist seit Jahrzehnten etabliert und inzwischen für den stereotaktischen Neurochirurgen „tägliches Brot“.

 

Zur Entfernung des epileptischen Hirngewebes war bislang Strom notwendig. Seit der Entwicklung der stereotaktischen Verfahren in den 50ern ist dieses Verfahren auch unter den Namen Radiofrequenz-Thermoablation (siehe auch epiKurier Ausgabe 1-2015) bekannt.

Hierbei wird durch den Strom das Gewebe am Ende der Sonde vorsichtig erhitzt und anschließend zerstört. Das technische Problem war allerdings, dass

  • die Anzahl der Patienten, denen dieses Verfahren angeboten werden konnte, sehr begrenzt ist, u. a. da das Gewebevolumen, welches durch die Radiofrequenz-Thermoablation zerstört werden kann, relativ klein ist (auch wenn mehrmals eine Sonde während der Operation verwendet wird),
  • der stereotaktische Neurochirurg sich bzgl. der Größe des Volumens auf seine Erfahrung und indirekte Hinweise, wie die Temperaturentwicklung, während der Operation verlassen muss.


Minimal-invasive Epilepsiechirurgie – Thermoablation neuerdings

Eine wesentliche Weiterentwicklung für Epilepsie-Patienten erbrachte die stereotaktische Laser-Thermoablation (nur das System „Visualase“ von der Firma Medtronic ist in Europa zugelassen), da zum ersten Mal unter gleichzeitiger Bildkontrolle auch größere Gewebezerstörungen durchgeführt werden können. Dabei wird zu der ausgewählten Region (also die Region, von der die epileptischen Anfälle herrühren) eine kleine Sonde mit einer Glasfaser geschoben und mittels Laserenergie das ausgewählte Hirngewebe zerstört (s. Abb. 3 links). Der Vorteil eines Lasers zur Hitzeanwendung ist, dass

  • größere Gewebevolumen zerstört werden können,
  • eine wesentlich größere Anzahl von Patienten nun operiert werden können.

Wie funktioniert dieses System? Während der Operation werden spezielle Kernspintomogramm-Sequenzen genutzt, die – vereinfacht gesprochen – einem „dreidimensionalen Thermometer“ entsprechen. Temperaturveränderungen im Gehirn können räumlich „online“ gesehen werden. Der Neurochirurg kann daher online das genaue Volumen, das er gerade zerstört, sehen (s. Abb. 3 rechts) und muss es nicht – wie bei der Radiofrequenz-Thermoablation – aufgrund seiner Erfahrung oder der Temperaturentwicklung abschätzen.

 

Ein anderer Vorteil ist, dass während der Operation im Kernspintomogramm mehrere Marker gesetzt werden können, die dafür sorgen, dass der Laser sich automatisch ausschaltet, wenn die Temperatur über die ungefährlichen 38-39°C steigt. Auf diese Weise können spezielle Regionen besonders geschützt werden (s. Abb. 4). Der Vorteil der Kombination aus moderner Laser- und Bildgebungstechnologie ist, dass

  • eine genaue Kontrolle des zerstörten Gewebes „online“ während der Operation möglich ist,
  • kritische Gehirnareale in der Nähe (zum Beispiel die Sehbahn) nun automatisch vor einer Verletzung durch die Hitzeanwendung geschützt werden können, indem der Neurochirurg sie vorher markiert und sich der Laser automatisch vor Erreichen einer kritischen Temperatur abschaltet.
Abb. 3: Darstellung der Lasersonde am Ort des Anfallsurspunges (in diesem Fall der Hippocampus“im rechten Schläfenlappen) links und des nach der Laser-Thermoablation zerstörten Gewebes.
(Mit freundlicher Genehmigung von Medtronic, modifiziert nach Büntjen et al. 2017)

In den USA und Kanada sind wegen der früheren Zulassung bereits weitgehende Erfahrungen an über 1.000 Patienten gesammelt worden. In Europa ist das Verfahren seit dem Frühjahr 2018 zugelassen, im Sommer 2018 wurde der erste Patient in Lausanne operiert. In Deutschland bieten dieses Verfahren die Universitätsklinik Magdeburg und die private Beta-Klinik in Bonn an. Die erste Operation in Deutschland wurde in Magdeburg im März 2019 an einem erwachsenen Patienten mit Schläfenlappenepilepsie (s. u.) durchgeführt. Es war auch die erste Operation an einem bislang unoperierten Patienten in Europa. In Magdeburg besteht allerdings auch eine Expertise für Thermokoagulation bei Kindern.

 

Am Beispiel der Schläfenlappenepilepsie lassen sich die Vor- und Nachteile der stereotaktischen Lasertherapie gut verdeutlichen: Die sogenannte „mesiale Temporallappenepilepsie“ ist die bestuntersuchteste Indikation für ein klassisches resektives (operative Entfernung von Gewebe) neurochirurgisches Verfahren (d. h. mit einer größeren Schädelöffnung). Sie ist einer medikamentösen Behandlung hoch überlegen (ca. 70-90 % Anfallsfreiheit vs. 10-30 % durch medikamentöse Behandlung). Die verschiedenen resektiven Operationsmethoden haben alle ihre Vor- und Nachteile, sie vereint jedoch, dass ein relativ großer Anteil des Schläfenlappens (Amygdala und Hippocampus und umgebendes Gewebe) entfernt werden muss und der Neurochirurg auch gesundes Gewebe verletzt, um das anvisierte Hirngewebe zu entfernen („Kollateralschaden“). Die klassischen Verfahren entfernen ein größeres Volumen an Hirngewebe, auch weil aufgrund von vielen Studien bekannt ist, dass dann das Anfalls-Outcome besser ist.

Mittels der stereotaktischen Laser-Thermoablation kann diese spezielle Epilepsie nun „minimal-invasiv“ operiert werden: Der sogenannte „Kollateralschaden“ ist aufgrund der neurochirurgischen Technik extrem gering. Die Größe der Volumina ist zwar begrenzt, eine Wiederholung der Operation ist jedoch ohne Probleme und große Belastung des Patienten erneut möglich (im Gegensatz zu allen resektiven Verfahren, wo dies zwar eine Option ist, aber den Neurochirurgen nach jeder erneuten Operation vor größere Herausforderungen stellt). Dieses Konzept wird in den USA inzwischen regelhaft angewandt.

 

Zum anderen ist der Patient nach einer Schädeleröffnung (Trepanation) durch das resektive Verfahren und der Entfernung eines mittleren oder größeren Volumens des Hirngewebes – nachvollziehbarerweise – für mehrere Tage oder sogar Wochen beeinträchtigt. Bei dem Verfahren der stereotaktischen Laser-Thermoablation ist der Patient mehr von der Narkose beeinträchtigt als von der Operation selbst: Er ist am nächsten Morgen wieder „der Alte“. Hieraus ergibt sich der Vorteil der stereotaktischen Laser-Thermoablation: Man kann die Operation ohne Probleme ein zweites Mal durchführen, sodass auch bei größeren, schlechter umschriebenen Netzwerkstörungen zumindest ein Teilerfolg erzielt werden kann, ohne dass der Patient einer großen Belastung unterliegt.

Abb. 4: Schematische Darstellung des Regelkreislaufes zwischen Kernspintomogramm und Lasersonde: Der Neurochirurg kann im MRT (Kernspintomogramm) vor der Hitzeanwendung Gewebe markieren, sodass sich der Laser automatisch vor Erreichen einer kritischen Temperatur abschaltet.
(nach Büntjen et al. 2017)

Auch bei der stereotaktischen Laser-Thermoablation ist übrigens die mesialeTemporallappenepilepsie die best-untersuchteste Indikation: Hier zeigt sich, dass die Chance auf Anfallsfreiheit zwischen 53 und 58 % (zwei Arbeiten mit über insgesamt 275 Patienten) liegt und somit schlechter ist als bei dem klassischen resektiven Verfahren (mit den oben erwähnten 70-90 % Chance auf Anfallsfreiheit). Eine Erklärung ist, dass weniger Hirngewebe zerstört wurde. Statistisch (wenn man also die Gruppe aller operierten Patienten betrachtet) ist das von Nachteil, für den einzelnen Betroffenen kann dies aber ein Vorteil sein: Es ist weniger Hirngewebe zerstört worden. Bleibt er anfallsfrei, hat er „gewonnen“, profitiert er von dem Eingriff, ist aber nicht anfallsfrei geworden, kann er sich immer noch für den größeren „resektiven“ und statistisch vorteilhafteren Eingriff entscheiden. Wie oben ausgeführt: ein erneuter neurochirurgischer Eingriff (egal ob stereotaktische Laser-Thermoablation oder dann das klassische resektive Verfahren) kann abermals durchgeführt werden, ohne dass es zu größeren Schwierigkeiten für den Patienten oder den Neurochirurgen kommt.

Da die Zulassung der stereotaktischen Laser-Thermoablation erst im April 2018 erfolgte, ist in Europa die Erfahrung noch relativ gering (weniger als zwei Dutzend Operationen). Allerdings ist ein Großteil des operativen Vorgehens – vorausgesetzt das Verfahren ist in den Händen eines erfahrenen stereotaktischen Neurochirurgen – den standardisierten Operationen in diesem Bereich sehr ähnlich (s. o.).

Dieses Verfahren hat im deutschsprachigen Raum also noch wenige Anbieter, zum einen, weil es einer speziellen Technik und Expertise bedarf und zum anderen, weil die Finanzierung in Deutschland noch nicht abschließend geklärt ist. Nur die Universitätsklinik Magdeburg und die Beta-Klinik in Bonn können dieses Verfahren zurzeit in Deutschland anbieten. Beide Kliniken sind auf Epilepsie-Patienten spezialisiert, die Beta-Klinik kann aber nur private Selbstzahler annehmen. Andere spezialisierte Epilepsiezentren bemühen sich ebenfalls um die Anwendung dieses innovativen Verfahrens.

Die stereotaktische Laser-Thermoablation stellt – nach Meinung des Autors – in der Zusammenschau aller Vor- und Nachteile eine wichtige Erweiterung für eine ursächliche Behandlung von fokalen Epilepsien dar (ursächlich im Sinne von Entfernung des gesamten oder des wesentlichen Hirngewebes, das für die Epilepsie verantwortlich ist). Aus epileptologischer Sicht ist es nun auch möglich, bei schwierigen Epilepsien, bei denen man durch die prächirurgische Diagnostik weiß, dass sie beim ersten Mal geringe Chancen auf Anfallsfreiheit haben, trotzdem eine Operation anzubieten: Man zerstört beim ersten Mal den wesentlichen Teil des epileptischen Gewebes und plant – falls es nicht beim ersten Mal zum Erfolg kommt – eine zweite oder gar dritte Operation („step-by-step“-Verfahren). Diese Möglichkeit eröffnet sich deshalb, weil der Eingriff einer stereotaktischen Laser-Ablation eine geringe Belastung für den operierten Patienten darstellt. Die Indikationsstellung muss – egal ob es sich um eine „einfach“ oder „schwierig“ zu operierende Epilepsie handelt – aufgrund der bekannten Daten über die vorliegende Epilepsie genau geprüft werden, bevor man zu dieser Methode rät. Wenn der epileptologisch versierte Arzt die Indikation stellt (s. o.), bestimmt der stereotaktische Neurochirurg letztendlich aufgrund der Größe, der Form und der Lage der zu zerstörenden Hirnregion, ob und wenn ja, wie eine stereotaktische Lasertherapie durchführbar ist. In bestimmten Fällen kann eine Radiofrequenz-Thermoablation oder ein anderes operatives Verfahren aber auch geeigneter sein.

Nachteil des Verfahrens ist, dass eine – wenn auch nur selten notwendige – intraoperative gleichzeitige Ableitung von Hirnströmen nur schwer machbar ist (es gibt Plastikelektroden, durch die man EEG-Ableitungen durchführen kann) und – dies ist ein wesentlicher Nachteil für die Wissenschaft – dass die Entnahme von Biopsien (vor der Zerstörung des Hirngewebes entnommene Gewebebestandteile) nur sehr eingeschränkt möglich sind und somit für weiterführende wissenschaftliche Untersuchungen zur Entstehung von Epilepsie im Allgemeinen weniger Material zur Verfügung steht. Auch hier muss der erfahrene Epileptologe und Neurochirurg bei jedem Patienten individuell entscheiden, inwieweit eine Gewebeentnahme von Bedeutung für den betroffenen Patienten selbst ist. Nach den ersten Erfahrungen in Magdeburg ist dies aber bislang noch nicht der Fall gewesen.

Die typischen – und in der Literatur auch gut untersuchten Epilepsien (Syndrome) – die für die stereotaktische Laser-Thermoablation grundsätzlich in Frage kommen, sind in Tabelle 1 (s. o.) aufgeführt.

 

Insgesamt bietet die stereotaktische Laser-Thermoablation den großen Vorteil, dass das Spektrum an minimal-invasiv behandelbaren Epilepsien wesentlich vergrößert wird: So können nun nicht nur kleinere fokale kortikale Dysplasien, hypothalamische Hamartome oder kleinere periventrikuläre noduläre Heterotopien minimal-invasiv behandelt werden. Nun kommen auch größere Volumina dieser Epilepsien und auch andere wie z. B. die Hippocampussklerose, Tuberöse Sklerose oder kleinere Tumore in Frage.

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