20 Jahre SHG Passau
Offener Umgang und ein Wunsch zum Jubiläum: neue Mitglieder
»Ich hab’ doch keine Epilepsie«, dachte sich Ulla Dietrich. Da hatte sie gerade ihre ersten Krampfanfälle hinter sich. Sie ging zur Selbsthilfegruppe, genau einmal, wollte nicht glauben, dass sie dazugehört. Erst als sie Jahre später erneut einen Anfall erleidet, wird ihr bewusst: »Es wäre besser gewesen, dabei zu bleiben.« Heute leitet die 52-Jährige die Selbsthilfegruppe und weiß: Es gibt viel zu viele, die nur einmal kommen – wenn überhaupt.
Einmal im Monat trifft sich die Gesprächsgruppe für erwachsene Menschen mit Epilepsie ab 16 Jahren, mal persönlich, mal online, mal zu einem Fachvortrag, mal zu Ausflügen, im Biergarten oder zur Weihnachtsfeier. Willkommen ist jeder, im Gespräch reicht der Vorname.
»Bei uns geht es familiär zu«, erzählt Ernst. Der 72-Jährige ist einer von derzeit 10 bis 15 Betroffenen zwischen 20 und 80 Jahren, die sich regelmäßig treffen – nicht viel für eine Gruppe, die für ganz Niederbayern gegründet wurde und wo rund 1,2 Millionen Einwohner leben.
Heuer feiert sie ihr 20-jähriges Bestehen. Und Ullas größter Wunsch wäre, dass sich noch mehr Menschen trauen, sich anzuschließen. »Man braucht sich mit Epilepsie nicht zurückzuziehen«, sagt sie selbstbewusst.
Für Lebensqualität braucht es mehr als nur Tabletten
Ernst war 60, als ein Schlaganfall seine Epilepsie verursachte. Dank Medikamenten ist er seit 2013 anfallsfrei. Bei Ulla löste »eine Art Venenknäuel« im Hirn die Epilepsie aus, wie sie bildlich erklärt. Beim ersten Anfall war sie 38. Auch sie nimmt nun Medikamente. Um zu lernen, mit der Erkrankung umzugehen, braucht es jedoch mehr als nur Tabletten.
Als sich bei Ulla der zweite Anfall ankündigt, steht sie gerade in einem Sportgeschäft. Aus Scham zieht sie sich auf die Kundentoilette zurück. »Ich war hinterher grün und blau, eine Rippe war angeknackst«, erinnert sie sich an die Blessuren, die sie sich beim Anfall in der engen Kabine zugezogen hat. »Das hätte ich nie gemacht, wäre ich damals schon regelmäßig in die Gesprächsgruppe gegangen«, sagt sie heute.
In der Gruppe profitiert jeder vom Erfahrungsschatz der anderen. »Hinlegen und jemanden auf die Situation aufmerksam machen« – so reagiert Ulla jetzt, wenn sich ein Anfall anbahnt. »Man sollte offen damit umgehen«, sagt sie. »Damit geht es einem selbst besser und den anderen auch.« Ihre Kolleginnen hat sie aufgeklärt, auch darüber, wie sie bei einem Anfall reagieren müssen. »Das ist kein schöner Anblick.« Oft schätzen Umstehende die Situation nicht richtig ein, wie Ernst weiß: »Wenn da einer liegt und nicht ansprechbar ist, denken viele, der ist betrunken.« Andere wollen zwar helfen, übertreiben es aber, sagt er. Dabei sei meist gar keine medizinische Hilfe nötig.
In der Gesprächsgruppe erzählen die Mitglieder von ihren Erfahrungen, teilen Tricks und Tipps – zuletzt bei Lieferengpässen der Apotheken. »Wer mit einem Medikament gut eingestellt ist, sollte unbedingt dabeibleiben«, erklärt Ulla. Die Nebenwirkungen seien nicht zu unterschätzen; das individuell passende Präparat zu finden, sei nicht immer einfach. Als Medikamente hier zeitweise nicht verfügbar waren, sprach sich in der Gruppe schnell herum, dass eine Fahrt ins benachbarte Österreich die Lösung ist. »Man wird erfinderisch«, sagt Ernst. »Auch deswegen ist unsere Gruppe so wichtig.«
Der feste Kern weiß das zu schätzen. Auch in der Pandemie gab es keinen Mitgliederschwund und das Programm für das Jubiläumsjahr 2023 steht. Dass nicht alle Auto fahren dürfen – für viele das größte Problem –, lösen die Mitglieder solidarisch: »Wir holen auch Leute ab«, sagt Ernst, der dafür schon mal Umwege fährt. In der Gruppe muss sich niemand erklären oder rechtfertigen. Die Gruppe versteht.
Sabine Kain,
Passauer Neue Presse*
Kontakt:
Gesprächsgruppe für erwachsene
Menschen mit Epilepsie Passau
Ulla Dietrich
Tel.: 0171 6405514
epilepsie-shg@gmx.de
oder über
Epilepsie Beratung Niederbayern
Tel. 0851 7205207