Der (etwas?) andere Alltag von Müttern besonderer Kinder

Teil 5: Finanzielle, rechtliche und soziale Situation

Finanzielle Situation
Oft ist die ökonomische Situation von Familien mit besonderen Kindern schlechter, als in vergleichbaren Familien mit gesunden Kindern. Die Frau ist durch die ständige Pflege und durch immer wieder auftretende Krankheitszeiten des Kindes oft nicht in der Lage einer - die Familie finanziell unterstützenden - regelmäßigen Berufstätigkeit nachzugehen.

Trotz staatlicher Unterstützung entstehen zusätzliche finanzielle Belastungen für die behindertengerechte Wohnung, für Hilfsmittel, höhere Kosten für die Betreuung des Kindes, etc.

Jonas (1994, 159) bringt einen interessanten Vorschlag zur finanziellen Unterstützung und Anerkennung der "Mutterarbeit" ein. Auch wenn dieser (zur Zeit) utopisch erscheint, halte ich es doch für wichtig, ihn zumindest vorzustellen: "Flankierend dazu könnte den Müttern das Geld zur Verfügung gestellt werden, das eine Heimunterbringung ihres Kindes den Staat kosten würde.

Die Verfügung über dieses Geld läge im Ermessen der Frauen. Sie könnten selbst entscheiden, ob sie damit z.B. einen dauerhaften Pflegedienst für ihr Kind finanzieren möchten, so dass sie Zeit und Raum für eine selbstbestimmte Entwicklung hätten. Dies würde auch signalisieren, dass die Unzumutbarkeit der mütterlichen Arbeit für eine Frau alleine anerkannt und dass soziale Verantwortung dafür übernommen wird."

Somit hätte die Mutter ein "Manager-Gehalt", welches ihrer umfangreichen Ganz-Tags- und Ganz-Nachts-Arbeit gerecht würde, denn in Einrichtungen erfüllen viele Menschen die Aufgabe, die die Mutter alleine durchzuführen hat.

"Ganz offensichtlich fehlt aber die breite gesellschaftliche und die sozialpolitische Anerkennung für Lebensleistungen, die sich nicht ökonomisch beziffern lassen.in (Beck 1998, 212)

Rechtliche Situation
Die gesetzlich eingeräumten Rechte im Rahmen der Eingliederungshilfe, des Schwerbehindertengesetzes, des Steuerrechts, etc. müssen erfragt und Leistungen beantragt werden. Die Belastung für die Mütter besteht in der Erfahrung, dass die Rechte "erkämpft" werden müssen und dass es große Beurteilungs-und Ermessensspielräume gibt, die diese bestehenden Rechte immer wieder in Frage stellen.

Die wenigsten beantragten Hilfen werden zügig und ohne erstmalige Ablehnung gewährt. Das sich anschließende Widerspruchs- und Klageverfahren stellt die Rechte der mit Behinderung lebenden Menschen in Frage.

Da die Mütter für ihre Kinder handeln, machen sie viele "ablehnende" Erfahrungen. Mehrere Mütter sprachen in diesem Zusammenhang von einem "kräftezehrenden und entwürdigenden Kampf".

Die Mutter als Therapeutin
Die Mutter befindet sich in ihrer Funktion als "Therapeutin" in einem Erfolgs- und Erwartungsdruck. Ihre Beziehung zum Kind kann durch Fremdbestimmung verändert sein, sie sich selbst als kompetente Mutter in Frage stellen oder durch die Therapien überfordert sein.

Die Mütter berichteten sowohl von positiven als auch negativen Erfahrungen mit den Therapeuten ihres Kindes. Gleichzeitig war für einige Mütter "die Krankengymnastin auch als Kontaktperson wichtig." "Die Therapeuten sind fast die einzigen, die mit behinderten Kindern erfahren sind."

Einige Frauen berichteten von hilfreichen Erfahrungen mit Sozial- oder Heilpädagogen und Therapeuten, von denen sie sich verstanden, ernst genommen und anerkannt fühlten. Gerade dieses "Verstanden-Werden" und "selber sprechen können" war für die Mütter neben der guten Förderung des Kindes besonders wichtig in der Zusammenarbeit mit den Fachkräften.

Soziale Stellung der Mütter besonderer Kinder
Aus all den Beschreibungen der Mütter innerhalb der Befragung wurde deutlich, dass ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Wohlbefindens dieser Frauen und den Reaktionen und Hilfen der Umwelt besteht.

Eine gut funktionierendes soziales Netzwerk bietet sowohl praktische als auch psycho-emotionale Unterstützung.

Ob und in welchem Umfang diese sozialen Netzwerke in Anspruch genommen werden, hängt auch von der inneren Einstellung der Mütter ab. Ob sie sich z. B. als Bittsteller fühlen und ob sie in der Lage sind, anderen die Verantwortung für ihr Kind zu übergeben. In meiner Befragung beantworteten alle Mütter die Frage, ob sie in der Lage wären, Hilfe anzunehmen, mit einem (oft mit (!) versehenen) JA. Jedoch fast immer unter der Voraussetzung, dass das Kind gut betreut und versorgt wird und z.B. nicht nach einem auswärtigen Aufenthalt plötzlich gravierende Verhaltensänderungen zeigt.

Einerseits besteht der Wunsch auch mal "einfach so" von Bekannten, etc. Hilfe zu bekommen. Andererseits erleichtert die Bezahlung auch eine erneute Entscheidung, um Hilfe zu bitten. Im ersten Fall kann das Gefühl Bittstellerin zu sein, überwiegen.

Bei Bezahlung ist eine mehr rationale Arbeit- geberähnliche Situation gegeben, die die Nachfrage um Hilfe erleichtert. (Wobei die Bezahlung weniger innerhalb der Familie und Ursprungsfamilie, als vielmehr im Bekannten-, Nachbarschafts- und Freundeskreis und bei professionell Tätigen Thema sein dürfte.)

Die soziale Stellung der Mutter scheint aufgrund ihrer Aufgabe und ihrer Eingebundenheit verändert. Ihr Ansehen kann sich ebenfalls verändert haben. Ihre eigene Einstellung zu ihrer Wertigkeit innerhalb der Gesellschaft kann belastet sein. Ihr wird oft nicht die Anerkennung entgegengebracht, die ihrer verantwortungsvollen Aufgabe gerecht wird.

Zukunftsunsicherheit

Sorgen um die Zukunftsaussichten des Kindes und die eigene Zukunftsperspektive verstärken die alltägliche Belastung.

Die eigenen Zukunftsaussichten sind eng verbunden mit der Zukunftsperspektive für das mit (Schwerst-)Behinderung lebende Kind und damit wiederum stark von den gesellschaftlichen Vorgaben abhängig.

Die Mehrheit der an der Befragung beteiligten Mütter wünschten sich für ihre besonderen Kinder eine qualifizierte und ortsnahe Unterbringung im Rahmen des betreuten Wohnens. Diese Wünsche lassen sich in Zeiten der Abwälzung der Kosten vom Sozialhilfeträger (Eingliederungshilfe) auf die Pflegekasse - und somit dem Versuch der Pflichtunterbringung von Menschen mit (Schwerst-)Behinderung in Pflegeheimen - nur ansatzweise erfüllen.

Dementsprechend sehen viele Mütter auch nur geringe Perspektiven, ihre Verantwortung in der Zukunft abgeben zu können.

Für die Mütter hat eine schlechte Zukunftsperspektive Auswirkungen auf die Selbstbestimmung, das Selbstwertgefühl und das Lebensvertrauen und damit auf die Lebensqualität. Ich möchte hier einige Wünsche der Mütter für ihre Zukunft aufführen: "Spontane Aktivitäten", "Anerkennung", "Kraft", "Zuversicht", "Gesundheit", "Selbstbestimmtes Leben", "Reisen", "Abnahme der Belastung", "Berufstätigkeit".

Eine Mutter schrieb: "Ich habe mit persönlichen Wünschen abgeschlossen."

Zwei Mütter formulierten in Großbuchstaben ihren Wunsch für die Zukunft: "FREIHEIT!"


Zur Literatur:

Beck, I. (1998): Gefährdungen des Wohlbefindens schwer behinderter Menschen in: Zeitschrift für Heilpädagogik 49 (5), 206 - 215

Jonas, M.
(1994): Behinderte Kinder - behinderte Mütter? Fankfurt am Main, Sept.1994

Dorothea Wolf-Stiegemeyer, Melle