Die Trauerspirale von E. Schuchardt
(D. Wolf-Stiegemeyer)
Eines der in den letzten Jahren bedeutensten Phasenmodelle zum Themenbereich der Krisen- und Trauerverarbeitung ist das Spiralmodell von Erika Schuchardt. Frau Schuchardt stellt in ihrem Buch "Warum gerade ich?" u.a. das von ihr entwickelte Spiralmodell vor.
Im Laufe der nächsten Ausgaben des Epikuriers werden hier alle 8 Phasen in ihrer Bedeutung für die Eltern eines mit Behinderung lebenden Kindes besprochen.
Hier zunächst die Abbildung des Spiralphasenmodelles:
Das besondere an dieser Spiraldarstellung ist, dass die einzelnen Phasen nicht begrenzt und abgeschlossen dargestellt werden, sondern fließend ineinander übergehen, sich ablösen aber auch nebeneinander bestehen können.
Die Phasen 1 und 2 werden dem Eingangsstadium zugeordnet.
Die Phasen 3 - 5 werden als Übergangsstadium und die Phasen 6 - 8 als Zielstadium bezeichnet.
Spiralphase 1: Ungewißheit
"Ihr Kind ist behindert". Diese wenigen Worte bringen eine ganze Welt ins wanken. Nicht umsonst wird diese erste Phase der Ungewißheit auch als schockauslösende Eingangsphase bezeichnet.
"Können Nichtbetroffene sich eigentlich vorstellen, was eine solche innere Auseinandersetzung bedeutet? Tiefgreifender dürften Sinnkrisen im Leben wohl kaum sein. Mir sind keine Eltern bekannt, die diesen Prozeß nicht zutiefst und mit bleibenden seelischen Narben durchlitten hätten." (Krebs: Ganzheitliche Frühförderung, erschienen in: Geistige Behinderung 4/97, S. 389)
Die Eingangsphase wird von Frau Schuchardt noch einmal unterteilt in die Zwischenphasen:
a) Unwissenheit
b) Unsicherheit
c) Unannehmbarkeit
a) Unwissenheit
Erste wahrgenommene Signale, die auf eine Behinderung hindeuten, werden bagatellisiert. "Das hat wohl nichts zu bedeuten" oder "Was soll das schon bedeuten" sind Überlegungen, die in diese Zeit hineinspielen.
b) Unsicherheit
Es kommen Zweifel auf, wenn das Vorliegen der Behinderung deutlicher wird. "Steckt da vielleicht doch mehr dahinter?" "Hat es doch wohl mehr zu bedeuten?"
Trotz dieser Überlegungen kann der Tatbestand noch nicht akzeptiert werden.
Immer wieder werden Gründe gefunden, die gegen eine Behinderung sprechen könnten.
In dieser Phase wird der Prozeß sehr stark durch Außenstehende (wie z.B. Ärzte, Therapeuten, eventuell auch Bekannte) beeinflusst.
Besonders langwierig kann diese Phase werden, wenn es erst sehr spät - in manchen Fällen gar nicht - zu einer klaren Diagnose kommt. Die Belastung der Unsicherheit bleibt so sehr lange bestehen.
c) Unannehmbarkeit
"Das muß doch ein Irrtum sein."
Diese dritte Zwischenphase ist der letzte Versuch der Wahrheitsgewißheit zu entfliehen. Es ist nur zu verständlich, dass es in diesem Stadium immer wieder Versuche gibt, die drohende Gewißheit abzuwenden.
Gleichzeitig erleben viele eine Art unausgesprochenen Wunsch nach einer endlich eintretenden Gewißheit, der der unerträglichen Spannung ein Ende setzt.
In der nächsten Folge werde ich ausführlich auf den Zustand des Schocks, der ja zu dieser ersten Spiralphase der Ungewißheit gehört, eingehen.
D. Wolf-Stiegememeyer
Mail: wolf-stiegemeyer(at)t-online.de