Magnesiumsulfat zur Vorbeugung und

Therapie eklamptischer Anfälle

Während einer Schwangerschaft kann es - auch bei vorher völlig gesunden Frauen - aus verschiedenen, bisher noch nicht restlos in allen Einzelheiten geklärten Gründen zu einem Anstieg des Blutdrucks (Hypertonie), zur Ausscheidung von Eiweiß mit dem Urin (Proteinurie) und zu z.T. plötzlichen, massiven Wassereinlagerungen (Ödeme) in die Gewebe des Körpers kommen. In schweren Fällen kann daraus ein Zustand resultieren, den man als Prä-Eklampsie bezeichnet. Das Allgemeinbefinden verschlechtert sich bei den betroffenen Frauen zusehends. Es treten Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Ohrensausen, Sehstörungen und eine allgemeine Unruhe auf, bei einigen Frauen kommt es auch zu Bewusstseinseintrübungen. Wird nicht rechtzeitig behandelt, tritt ein für Mutter und Kind akut lebensbedrohender Zustand ein. Durch krampfhaftes Zusammenziehen der Blutgefäße, vor allem im Bereich des Gehirns kommt es dann zu tonisch-klonischen Krämpfen wie bei einem Grand-mal Anfall. Die Atmung setzt aus, die betroffenen Frauen verlieren das Bewusstsein. Ein solcher eklamptischer Anfall kann auch wie aus heiterem Himmel geschehen, es müssen nicht in jedem Fall die oben genannten Vorzeichen auftreten. (Das Wort Eklampsie kommt aus dem Griechischen und bedeutet das "Aufblitzen" eines Krampfs.) In der Folge kann es bei den betroffenen Frauen zu Durchblutungsstörungen u.a. des Auges, des Herzens, der Leber, der Nieren und verschiedener Hormondrüsen kommen, was schwere Funktionsstörungen dieser Organe zur Folge hat. Nicht selten führt dies sogar zum Tod. Todesursache ist dann meist ein akutes Herzversagen. Auch der Fetus, das noch nicht geborene Baby, ist akut gefährdet. Während des Zustands der Prä-Eklampsie und ganz besonders während eines eklamptischen Anfalls wird der Mutterkuchen (Plazenta), der das Ungeborene mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, nicht ausreichend durchblutet. Es kommt zu Entwicklungsstörungen beim Kind, sodass es unterentwickelt zur Welt kommt und nach der Geburt mit Atemproblemen zu kämpfen hat. Im Extremfall stirbt das Kind noch im Mutterleib ab.

Zu einer Eklampsie kann es während der Schwangerschaft, unter der Geburt, aber auch noch nach der Geburt im Wochenbett kommen. Am häufigsten sind Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel bis etwa 24 Stunden nach der Geburt betroffen. Wichtig ist dann das sofortige Einleiten intensivmedizinischer Maßnahmen, denn das Risiko, diesen Zustand nicht zu überleben, steigt für Mutter und Kind mit jedem Anfall. Zu den inten- sivmedizinischen Maßnahmen gehört seit längerem die Anfallsverhinderung bzw. -unterbrechung durch Diazepam oder Magnesium (meist in Form von Magnesiumsulfat). Magnesium ist eine Substanz, die in unserem Körper die Erregbarkeit von Nerven und Muskeln herabsetzt, indem es die Freisetzung von Überträgerstoffen an den Kontaktstellen (Synapsen) der Nerven und Muskeln hemmt. Die überschießenden plötzlichen Entladungen von Nervenzellen im Gehirn während eines Anfalls werden durch die Magnesiumgabe unterbrochen. Über den Magen-Darm-Trakt wird Magnesiumsulfat jedoch nur schlecht aufgenommen (man verwendet es deshalb sogar als Abführmittel). Es muss daher intravenös gespritzt oder als Infusion zugeführt werden.

In den Ländern der Dritten Welt ist das Risiko für Mutter und Kind, an einem solchen eklamptischen Anfall zu versterben, noch wesentlich größer als bei uns, da oftmals die Frauen zu spät oder nicht ausreichend behandelt werden. In Rahmen einer umfangreichen Studie, die in an 10.141 Frauen aus 33 Ländern - darunter vielen afrikanischen - durchgeführt wurde, wurden Frauen mit Prä-Eklampsie entweder mit Magnesiumsulfat oder mit einem Scheinpräparat (Plazebo) behandelt. Es zeigte sich, dass die Magnesiuminfusionen das Risiko, einen eklamptischen Anfall zu erleiden, um die mehr als die Hälfte senkten. Wahrscheinlich erniedrigen sie auch das Risiko von Frauen, während der Schwangerschaft oder Entbindung zu sterben. Die kindliche Sterblichkeit scheint jedoch durch das Medikament nicht beeinflusst zu werden [Veröffentlichung in der englischen Fachzeitschrift Lancet im Juni 2002 (359; 9321:1872-3)]. Wichtig ist dabei vor allem die Erkenntnis, dass Magnesiumsulfat nicht nur - wie bisher in vielen Ländern - ausschließlich zur Krampfvorbeugung, sondern auch als alleiniges Mittel zur Behandlung akuter tonisch-klonischer Krämpfe (Eklampsie) erfolgreich eingesetzt werden kann. Dies ist u.a. für Entwicklungsländer von großer Bedeutung, da das Medikament kostengünstig ist und daher viel mehr Frauen mit einer solchen Therapie geholfen werden kann als bisher. Befürchtungen, dass sich die Magnesiumsulfat-Infusionen negativ auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken wür- den, haben sich nicht bestätigt. Allerdings wurden die Infusionen bislang nur über einen kürzeren Zeitraum verabreicht. Wie sich ein längerfristiger Gebrauch vor allem auf die Entwicklung der noch ungeborenen Babys auswirkt, soll noch untersucht werden. Da Magnesium im ganzen Körper die Erregbarkeit von Nerven und Muskeln herabsetzt, ist bei den betroffenen Frauen etwa eine Auswirkung auf die Atemmuskulatur und damit auf die Atmung generell zu befürchten. Dies ist wohl auch einer der Gründe, weshalb Magnesiumsulfat nicht zu den üblichen Medikamenten bei Epilepsie gehört. Ein weiterer Grund könnte die schlechte Aufnahme über den Verdauungstrakt sein, sodass die Substanz intravenös (d.h. direkt in die Vene) verabreicht werden muss, um ausreichend wirksam zu sein.

Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, Saarbrücken