Epilepsie: Mehr Wissen und anders Handeln durch PEPE - Teil II

Erfahrungen mit der psychoedukativen Epilepsieschulung "PEPE" für lern- und geistig behinderte Menschen. Mit einer Anregung.

Hält PEPE, was es verspricht? - Einige Ergebnisse

Im Jahr 2002 organisierte die EpilepsieBeratung der Inneren Mission München e.V. in Kooperation mit der Offenen Behinderten Arbeit evangelisch in München (OBA) zum zweiten Mal einen PEPE-Kurs. Im Rahmen einer Diplomarbeit wurde die Effektivität des Kurses untersucht. Vier weibliche (57%) und drei männliche (43%) Personen mit Epilepsie und geistiger Behinderung beteiligten sich (n=7). Bei einer Altersverteilung von 28 bis 55 Jahren lag der Altersdurchschnitt der Befragten bei 40. Zu beachten ist, dass die Untersuchung nicht repräsentativ ist (kleine Stichprobe, keine Kontrollgruppe).

Die Studie eruierte mittels einer schriftlichen Erhebung (standardisierter Fragebogen) sowie einer mündliche Befragung (Face-to-Face-Interview) unter anderen die Variablen "epilepsiespezifischer Wissenszuwachs" sowie "Veränderung der Befindlichkeit in Bezug auf den Umgang mit Epilepsie." Zudem wurde erfragt, was von den Teilnehmern am PEPE-Programm als "gut", "weniger gut" oder "verbesserungsbedürftig" angesehen wurde.

Das individuelle Befinden in Bezug auf die eigene Epilepsieerkrankung zu Kursbeginn (Graphik 1)* und zum Kursabschluss (Graphik 2) bewerteten die Teilnehmer wie folgt.**

Graphik 1

Graphik 1: Bewertung der Befindlichkeit bezüglich Epilepsie vor dem PEPE-Kurs

Graphik 2

Graphik 2: Bewertung der Befindlichkeit bezüglich Epilepsie nach dem PEPE-Kurs

Es zeigt sich anhand dieser Angaben eine positive Veränderung gemäß der subjektiven Krankheitsverarbeitung. Die Gründe für diesen Wandel wurden von den untersuchten Personen folgendermaßen bewertet:

Graphik

Abbildung 1: Bewertung der Gründe für die Veränderung der Befindlichkeit in Bezug auf Epilepsie

Die fünf vorgegebenen Gründe wurden von allen Befragten mit "stimmt voll und ganz" und "stimmt" beurteilt (Abb. 1). Auch in Bezug auf die vier weiteren Frageblöcke "Erwartungen an den Kurs", "Programminhalte", "Kursatmosphäre" und "Kurskritik" zeigen die Antworten positive Ergebnisse auf. Fast durchgängig bewerteten die Teilnehmer den Kurs als "gut" bis "sehr gut".

Lediglich bei einem Teilnehmer führte PEPE zu einer Verschlechterung der persönlichen Befindlichkeit. Besonders durch die Erfahrungen anderer Kursteilnehmer - "Alkohol kann zu Anfällen führen" - sei er "nachdenklicher geworden." Ein anderer Teilnehmer merkte hingegen an, ihm ginge es nun besser, da er im Kurs miterlebt hat, dass "andere Menschen viel schlimmere Anfälle haben" als er selbst.

PEPE unterstützt die Betroffenen bei der subjektiven Krankheitsverarbeitung also wirksam. Damit ist weniger an eine Reproduktion von epilepsiespezifischen Fakten zu denken, sondern vielmehr an eine Änderung in der persönlichen Umgangsweise mit der Erkrankung und ihren psychosozialen Schwierigkeiten. Neben Angaben zur besseren Befindlichkeit im Umgang mit der Krankheit sind auch positive Effekte in Bezug auf die Stärkung des Selbstbewusstseins erkennbar. So traute sich ein anfangs eher schüchterner Teilnehmer zunehmend, in der Gruppe offen über seine Epilepsie zu sprechen. Im Interview gab er an, er fühle sich seit Ende des Kurses "viel sicherer." Eine weitere Teilnehmerin äußerte, dass sie durch PEPE nachdenklicher im Umgang mit anfallsauslösenden Situationen geworden sei. Sie reflektiert folglich seit der Kursteilnahme ihre Lebensgewohnheiten aktiv und vor allem bewusst.

Die Gruppensituation bot den Teilnehmern auf diesem Hintergrund erfolgreich die Möglichkeit, persönliche Erfahrungen auszutauschen und sich daraus weiterzuentwickeln ("Lernen am Modell"). Darüber hinaus erweiterten sich auch Kontaktmöglichkeiten und somit Auswege aus der Isolation. Einige im Kurs geschlossene Bekanntschaften entwickelten sich zu intensiven Freundschaften.
Jedoch konnte die Gruppe nicht allen individuellen Problemen angemessen begegnen. Die Unterstützung durch Einzelgespräche im Anschluss an die Schulung, bedarfsweise auch eine ambulante oder stationäre Psychotherapie, sind hier oft zielführender.

PEPE beeinflusst den Lebensalltag
Die im Kurs angestoßenen Verhaltensänderungen können gravierenden Einfluss auf die gewohnte Lebensweise der Betroffenen haben. Hier ist besonders an das soziale Umfeld des Betroffenen zu denken, das Entwicklungen unterstützen, aber auch hemmen kann. Zudem ist Neues selten von "heute auf morgen", sondern meist nur in kleinen Schritten zu erreichen. Nach einer Patientenschulung ist eventuell eine weitere Aufklärung, etwa in Form einer Nachbetreuung, sinnvoll. Sind das Informationsbedürfnis und der Wunsch nach Veränderungen erst einmal geweckt, sollten diese nicht unbeantwortet bleiben. So wandte sich ein Teilnehmer an die EpilepsieBeratung München, um dort Strategien zur Anfallskontrolle zu entwickeln.

Über die Gründe, warum PEPE zu Lernerfolgen führte, macht die Studie keine Aussagen. Insbesondere die beobachteten Verhaltensänderungen sind komplexe Black-Box-Vorgänge, die ihrerseits von "vielschichtigen, wechselseitigen Interaktionen zwischen Lernenden und Lehrendem" angeregt wurden.

Eine Anregung: Psychoedukation auch für Angehörige und Professionelle
Für Frau B., Mutter von Tanja B., sind die Anfälle das Schlimmste: "Mit der geistigen Behinderung können wir gut leben. Meine Tochter führt in Werkstatt und Wohnheim ein ganz normales Leben. Aber wenn ein großer Anfall kommt, das ist das Schlimmste, dann ist Alarm. So etwas geht einem nicht aus dem Kopf... Wie oft denke ich mir: Hoffentlich stößt ihr nichts zu."

Das Zitat zeigt, das epileptische Anfälle eine stetige Belastung bleiben können. Der Verdacht, Frau B. "würde ihre Tochter nur Überbehüten" und hätte "ein Loslösungsproblem" ist zunächst nur stigmatisierend und verhindert die gemeinsame Beratung konstruktiver Lösungsansätze. Denn epileptische Anfälle erzeugen apriori Hilflosigkeit: Anfallszeitpunkt, Sturzrisiken und die Ohnmacht des Kaum-helfen-Könnens als Ersthelfer sind Ereignisse, die zum Beispiel auch Mitarbeiter in heilpädagogischen Einrichtungen belasten.

Zudem bleiben Eltern und heilpädagogische Mitarbeiter in vielfältiger Weise involviert. Je nach Autonomie des Epilepsieerkrankten organisieren und begleiten sie Arztbesuche (Blutspiegel!), überwachen die Compliance (Medikamente!), achten auf mögliche Gefahren (Ertrinken!) und sind bei Anfällen schnell zur Stelle (Ruhe bewahren!). Professionelle müssen sich zusätzlich rechtlich absichern (Haftungsfragen!).

In Bezug auf eine Erweiterung des Programms könnte also erwogen werden, das nächste Umfeld in die psychoedukativen Bemühungen mit einzubeziehen, damit die bestehende "...Unsicherheit und Hilflosigkeit reduziert und gleichzeitig einer Überforderung vorgebeugt" werden kann. Ein gerade in Bezug auf die Erkrankung Epilepsie äußerst wichtiger Aspekt. Damit soll nicht für eine durchgängige gemeinsame Beschulung von Betroffenen und Angehörigen und Fachkräften plädiert werden. Psychoedukation bedeutet ja in erster Linie die unabhängige und selbständige Auseinandersetzung. Gleichbetroffene mit geistiger Behinderung sollen auch "unter sich" bleiben können (Bedeutung der Peer-Group).

Kritisches Resümee
In PEPE steckt Empowerment! Es unterstützt die Autonomie durch die psychoedukativen Bildungsziele "mehr Wissen und anders Handeln" didaktisch erfolgreich. Unterstützt durch einen abwechslungsreichen Medieneinsatz (Beamer für Videoclips und Folien/Flipchart/ Arbeitspapiere) gelingt es nicht nur, zentrale inhaltliche Fragen verständlich zu vermitteln (Epilepsie, Arbeit, Wohnen), sondern krankheitsbezogene Probleme auch dialogisch zu erörtern. Hier wird deutlich, dass PEPE mit Betroffenen und aus deren Perspektive entwickelt wurde.
Damit die Beamer-Präsentationen, die den inhaltlichen Rahmen und den zeitlichen Rhythmus der Kursstunden prägen, nicht auf Kosten individueller Ausdrucksweisen der Teilnehmer gehen, ist von den Kursleitern pädagogisches Fingerspitzengefühl und gestalterische Flexibilität gefordert. PEPE will schließlich ein teilnehmerorientiertes und bedarfsgerechtes Konzept sein. Ein tendenziell offen gestaltetes Curriculum birgt gute Chancen, dass die Teilnehmer Wünsche, Bedürfnisse und Befindlichkeiten formulieren können, die der Moderator dann im weiteren Verlauf bedenken kann. Die Subjektivität der Teilnehmer zu erschließen und ihre Problemlagen intensiv aufzunehmen ebnet den Weg zu mehr Autonomie.

PEPE sollte vor allem in Einrichtungen der Behindertenhilfe regelmäßig zur Anwendung kommen. Ermutigend ist, dass die Münchner Gruppe sich seit Beendigung der Schulung im Januar 2003 eine Wiederholung des Kurses wünscht. PEPE ist ein wirksames Instrument, mit dem sich Menschen mit geistiger Behinderung neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen können - nicht trotz der Epilepsie, sondern mit ihr.

Kurzfassung:
Chronische Erkrankungen wie Epilepsie werfen neben den medizinischen in der Regel zahlreiche psychosoziale Fragestellungen auf, die von epilepsiekranken Menschen mit geistiger Behinderung oft nicht ohne Unterstützung bewältigt werden können.

Psychoedukative Schulungsprogramme informieren über die Erkrankung mit dem Ziel, die Betroffenen als selbstbestimmte und selbstsichere "Experten ihrer Erkrankung" zu qualifizieren. Dadurch soll ihnen eine bessere Bewältigung der medizinischen und psychosozialen Schwierigkeiten ermöglicht werden. Für Menschen mit Epilepsie und zusätzlicher geistiger Behinderung existiert mittlerweile das Psychoedukative Programm Epilepsie (PEPE). Im Rahmen einer Diplomarbeitsstudie zu PEPE in München konnten aufbauende Effekte bezüglich der subjektiven Krankheitsbewältigung bei den Teilnehmern beobachtet werden.

Auf der Basis dieser Erfahrungen wird hier diskutiert, inwieweit Psychoedukation für die Betroffenen eine Unterstützung in Richtung wirksamer Krankheitsverarbeitung darstellen kann. Die positiven Ergebnisse von PEPE ermutigen die Autoren zu der Anregung, psychoedukative Programme in Zukunft auch für Angehörige und für Fachkräfte der Behindertenhilfe zu konzipieren.

Peter Brodisch, Verena Schlude

Angaben zu den Autoren:
Brodisch, Peter: Dipl.-Pädagoge, Dipl. Sozialpädagoge, EpilepsieBeratung der Inneren Mission München e.V., Landshuter Allee 38b/4, 80637 München

Schlude, Verena: Dipl. Sozialpädagogin, Offene Behindertenarbeit evangelisch in München (OBA), Blutenburgstraße 71, 80636 München

* Bewertungskategorien (Gesichter) entnommen aus Ried 1998
** Graphik 1 und 2 zeigen einige Ergebnisse der Interviewerhebung auf. Es konnten von 7 Teilnehmern 6 befragt werden.