Epilepsien besser verstehen (Teil 2)

Teil1 erschien in der Ausgabe 2/05


Epilepsien als wiederkehrende Funktionsstörung des Gehirns

circa 5% der Menschen erleiden einmal in ihrem Leben einen cerebralen Krampfanfall.

Dieser ist häufig Ausdruck einer akuten Störung des Gehirns, wie z.B. Entzündungen, rascher Temperaturanstieg (Fieberkrämpfe) bei Kindern. In diesen Fällen kommt es meist nicht zu einer Wiederholung des Anfalls. Die Funktionsstörung des Gehirns beim cerebralen Krampfanfall ist vorübergehend, das Gehirn erholt sich in der Regel vollständig. Wenn der Auslöser des Anfalls keine schädigende Wirkung auf das Gehirn hat, ist die Funktion des Gehirns nach dem Anfall die gleiche wie vor dem Anfall.

Handelt es sich bei der Störung des Gehirns jedoch um eine andauernde Störung, wie z.B. Narben, Fehlbildungen, etc., dann können sich auch die cerebralen Krampfanfälle wiederholen. Treten wiederholt ("aller guten Dinge sind drei") Anfälle auf, ohne dass ein bestimmter Auslöser für den Anfall festzustellen ist, spricht man von einer Epilepsie.

Eine Sonderform der Epilepsie ist die Reflexepilepsie. Diese wird durch bestimmte Reize ausgelöst. Die häufigste Form der Reflexepilepsie ist die photosensible Epilepsie. Sie ist jedoch wesentlich seltener als gemeinhin angenommen. Im Verlauf der Erkrankung kommt es dann meist auch zu Anfällen ohne Auslöser, so dass auch hier die Kriterien für eine Epilepsie erfüllt sind.

Epilepsieformen


Symptomatische Epilepsie
Ist die Ursache für die Epilepsie bekannt, d.h. wurde eine Störung des Hirnaufbaus oder eine Stoffwechselstörung nachgewiesen, sprechen wir von einer symptomatischen Epilepsie. Die Epilepsien des Erwachsenenalters sind überwiegend symptomatische Epilepsien. Daher sollte bei jedem erstmaligen Auftreten eines cerebralen Krampfanfalls im Erwachsenenalter eine eingehende Untersuchung, u.a. mit Kernspintomographie (MRT) erfolgen. Häufig können hier winzige Veränderungen wie Narben aber auch Fehlbildungen und Tumore nachgewiesen werden.

Die Anfallsarten werden bestimmt von dem Ort der Schädigung. Tumoren, Narben und Fehlbildungen betreffen meist nur einen kleinen Bereich der Hirnrinde, die Anfälle zeigen die Ausfallerscheinungen der entsprechenden Funktion des Gehirns an dieser Stelle. Hirnhautentzündungen entgegen verursachen viele kleine Narben, die Anfälle können daher komplizierte Muster annehmen.Die Art der Ursache der Epilepsie bestimmt die Heilungschancen der Epilepsie.

Kann z.B. der Tumor oder die Fehlbildung, die zur Epilepsie geführt hat, entfernt werden, bestehen gute Chancen, dass auch die Epilepsie geheilt ist. Tiefgreifende Störungen, z.B. nach einer Hirnhaut- oder Hirnentzündung sowie Anfälle auf Grund von Stoffwechselentgleisungen zeigen häufig ein schlechtes Ansprechen auf die Medikamente und sind einer Operation nicht zugänglich.

Symptomatische Epilepsien sind in der Regel nicht vererblich. Vererblich ist jedoch die Empfindlichkeit, bei einer Verletzung eine Epilepsie zu entwickeln. Diese Vererbung ähnelt der für Allergien. Wenn ein Elternteil oder ein Geschwister an Epilepsie erkrankt ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, eine Epilepsie zu entwickeln, bei ca 10%.

Vererbt wird jedoch nur die Empfänglichkeit, nicht die Epilepsieform selbst. D.h. das Kind oder Geschwister kann eine völlig anders erscheinende Epilepsie haben.(Ähnlich wie bei Allergien, das eine Familienmitglied hat Heuschnupfen, ein anderes eine Nahrungsmittelallergie)

Idiopathische Epilepsien
Besonders im Kindesalter treten Epilepsien auf, die bei unterschiedlichen Kindern gleiche Merkmale tragen:

Sie treten in einem bestimmten Alter auf und zeigen die gleiche Anfallform.
Werden diese Epilepsien nicht behandelt, so zeigen sie einen gleichförmigen Verlauf. D.h. zu einem typischen Krankheitsbeginn gehört häufig auch ein typisches Krankheitsende.

Die häufigsten idiopathischen Epilepsien sind die Absence-Epilepsie des Schulkindes und die Rolando-Epilepsie. Beide beginnen um das 6. Lebensjahr und enden häufig während der Pubertät. Diese Tatsache hat zu dem gängigen Vorurteil geführt, dass Epilepsie eine Kinderkrankheit sei, die in der Pubertät verschwindet.
Das Gehirn zeigt im MRT einen normalen Aufbau. Bei gesicherter Diagnose einer idopathischen Epilepsie kann auch auf eine Bildgebung verzichtet werden.

Idiopathische Epilepsien zeigen eine gute Prognose, da sie meistens gut auf Medikamente ansprechen und im Verlauf der Erkrankung ausheilen können.
Dennoch sollten auch idiopathische Epilepsien behandelt werden, da sich auf Grund dieser Erkrankung Störungen entwickeln können, die nicht in der Pubertät verschwinden. Hierauf wird in den entsprechenden Kapiteln gesondert eingegangen.

Idiopathische Epilepsien entstehen auf Grund einer Veranlagung, die an die Nachkommen weitergegeben wird. Für einige dieser Epilepsien konnte inzwischen das Gen gefunden werden. Dennoch erkranken nicht alle Genträger an einer Epilepsie, so dass entweder getrennt von diesem Gen eine Vererbung der Empfindlichkeit erfolgt oder noch ein externer Auslöser hinzukommen muß, damit die Epilepsie sichtbar wird. Nur 10% der Kinder von Menschen mit idiopathischer Epilepsie erkranken ebenfalls an einer Epilepsie.

Das gute Ansprechen idiopathischer Epilepsien auf medikamentöse Therapie lässt einen Verzicht auf Nachkommen nicht als erforderlich erscheinen.

Kryptogene Epilepsien
In einigen Fällen kann eine Epilepsie nicht eindeutig als symptomatisch oder idiopathisch klassifiziert werden. So kann z.B. ein BNS-Leiden ( eine Säuglingsepilepsie) sowohl eine idiopathische Epilepsie darstellen, als auch als symptomatische Epilepsie auftreten.

In den letzten Jahren wurden die diagnostischen Möglichkeiten deutlich erweitert. Die Kernspintomographie kann immer kleinere Veränderungen des Gehirns darstellen, so dass viele als idiopathisch klassifizierte Epilepsien später in die Gruppe der symptomatischen Epilepsien einsortiert werden mussten.

In den Fällen, in denen man keine Ursache nachweisen konnte, jedoch an einer idiopathischen Epilepsie zweifelt, spricht man von einer kryptogenen Epilepsie.

Fortsetzung folgt
Dr. Barbara Schuler, Köln