"Von der Forschung bis zur Marktreife - die Geschichte eines Antikonvulsivums"

(Themenfolge - Teil 2)

Seit ca. 6 Jahren arbeiten nun schon verschiedene Forschungsdisziplinen im Labor eines pharmazeutischen Unternehmens an der Entwicklung eines neuen Arzneimittels. Sie vergleichen und bewerten molekulare Zellstrukturen von Gesunden und erkrankten Personen um die Beeinflussbarkeit mittels chemischer Stoffe zu ergründen. Parallel dazu durchstöbern Spezialisten international zugängliche Datenbanken und sammeln veröffentlichte Grundstrukturen von Substanzen, die in Computersimulationen erfolgversprechende Ergebnisse zeigten. Ungefähr 10.000 Substanzen sind in der "Präklinischen Phase" bestimmt, entwickelt und untersucht worden. Fein säuberlich wurde jeder Schritt und jedes Ergebnis dieser Forschungsphase dokumentiert. Von den 10.000 Substanzen sind vielleicht noch 20 Substanzen übrig geblieben. Diese werden jetzt von den Wissenschaftlern genauer untersucht. Die ermittelten Daten geben Auskunft darüber, wie sich die einzelnen Substanzen "in Vitro" - also in Labortestungen - verhalten. Die an dem Forschungsobjekt beteiligten Wissenschaftler besitzen jetzt ein umfangreiches Wissen über folgende Bereiche:

  • Wie wirkt die Testsubtanz A, B, C, D usw. auf den Organismus - z. B. Haupt- und Nebenwirkungen,
  • Wie wirkt die Testsubstanz A, B, C, D usw. im Organismus - z. B. Verstoffwechselung und Ausscheidungswege,
  • Ab welcher Dosis sind schädliche Wirkung zu erwarten - z. B. auf andere Körperorgane, das Blutbild, das Nervensystem, die Fortpflanzungfähigkeit usw.


Im Falle der Entwicklung eines neuen Antiepileptikums geht der Beginn der Forschung in den Labors der UCB bis in die 1980er Jahre zurück. Zum damaligen Zeitpunkt gab es zwei international anerkannte Testverfahren für antiepileptische Substanzen. Sie sind unter den Abkürzungen MES und PTZ in der Fachwelt bekannt und wurden unter anderem von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA benutzt, um neue Wirkstoffe auf ihre antikonvulsive Wirkung zu testen. Anfang der 1990er Jahre wurde von der FDA mit dem "Kindling-Verfahren" ein weiteres Testmodell in den "Methodenkatalog" zur Bestimmung antiepileptisch wirkender Arzneimittel aufgenommen. Bei den genannten Testverfahren werden in tierexperimentellen Studien durch elektrische und chemische Reize cerebrale Krampfanfälle ausgelöst. Neuentwickelte Antikonvulsiva müssen in diesem Härtetest belegen, dass sie epileptische Anfälle unterbinden oder zumindest in ihrer Intensität abschwächen können. Hat eine neuentwickelte Substanz alle Härtetests erfolgreich bestanden, kommt eine weitere wichtige Phase.

"Klinische Forschung"
Wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen wird unterschieden in "Phase I - IV-Studien"

Hier eine kurze zusammenfassende Übersicht, die noch im Einzelnen vorgestellt werden:

  • Phase I: Test an freiwilligen Gesunden

    • An bis zu 50 gesunden Freiwilligen (Probanden) wird die Wirkung am Menschen erprobt.
    • Prüfparameter sind: Sicherheit und Verträglichkeit, sowie die Frage, was das Arzneimittel im Körper eines Menschen macht, da tierexperimentelle Forschungsergebnisse nicht immer auf den Menschen übertragbar sind (Pharmakokinetik).

  • Phase II: Prüfung eines Arzneimittels an wenigen Patienten

    • An 50 - 200 Patienten wird das neue Arzneimittel erprobt. Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig.
    • Prüfparameter: Wirksamkeit (auch im Vergleich zu Placebo) unter strengen Ein- und Ausschlusskriterien, Verträglichkeit, optimale Dosisfindung,

  • Phase III: Prüfung eines Arzneimittels an vielen Patienten.

    • Bevor ein Arzneimittel zugelassen und in der Apotheke erworben werden kann, muss es seine klinische Wirksamkeit an einer großen Patientenzahl (oft mehrere Tausend) dokumentieren.
    • Prüfparameter: Wirksamkeit (auch im Vergleich zu Placebo), Verträglichkeit, Langzeiterfahrung auch unter Alltagsbedingungen.

  • Phase IV: Prüfung nach der Zulassung des Arzneimittels an einer Vielzahl von Patienten unter Alltagsbedingungen.


Vor dem Start zur "Phase I - Prüfung" sind aber noch umfangreiche Vorbereitungen nötig.

  1. Die für diese Forschungsphasen geltenden Vorschriften sind in den "Leitlinien zur Guten Klinischen Praxis" (Good Clinical Practice - GCP) zusammengefasst. Festgelegt ist u.a. die Aufklärungs- und Fürsorgepflicht gegenüber Patienten und Probanten und die Verantwortlichkeiten derjenigen, die die Prüfung durchführen. Genau festgelegt sind auch die Dokumentationspflicht und der Umgang mit den Daten. Diese Leitlinien bedeuten für das verantwortliche Unternehmen im Vorfeld, dass eine leistungsfähige Datenbank angelegt werden muss. Sie umfasst die:

    • Dokumentation des bisherigen Wissens zur Prüfsubstanz,
    • Eine gewissenhafte Nutzen-Risiko-Bewertung auf der Basis der bislang gewonnenen pharmakologisch-toxikologischen Daten,
    • Ein ausführlicher Prüfplan mit Begründung des Prüfvorhabens und dessen Beschreibung,
    • Eine detaillierte Information für die in der Prüfphase beteiligten Prüfärzte,
    • Unterlagen zur Aufklärung von teilnehmenden Freiwilligen an der jeweiligen Prüfung mit eine neu entwickelten Substanz und deren Einverständniserklärung,
    • Eine ordnungsgemäße Versicherung für Teilnehmer einer klinischen Prüfung gegen eventuelle Gesundheitsschäden.


  1. Bevor die Prüfung nach "Phase I" beginnen kann, muss sicher gestellt sein, dass das zu prüfende Arzneimittel nach dem derzeit in der EU geltenden "Leitfaden einer guten Herstellungspraxis für Arzneimittel" (Good Manufacturing Practice - GMP) produziert wurde. Beispielsweise ist in diesem Leitfaden auch die Verpflichtung festgelegt, dass der Hersteller von jedem produzierten Prüfpräparat eine ausreichende Menge von "Rückstellungsmuster" und die dazugehörigen Analysezertifikate aufzubewahren hat, so dass eine eventuelle Prüfung durch unabhängige Einrichtungen u. U. auch noch nach Jahren möglich ist.
  2. Alle für die Prüfung gesetzlich vorgeschriebenen und notwendigen Unterlagen - einschließlich des Prüfplanes - müssen nun bei der zuständigen, vom Pharmahersteller unabhängigen Ethik-Kommission, sowie bei der jeweils zuständigen Bundesoberbehörde eingereicht werden. In Deutschland waren das bisher das "Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte" - BfArM und/oder (je nach Zuständigkeit) das "Paul-Ehrlich-Institut" - PEI.


Geprüft wird zur Zeit die Gründung eines neuen Instituts. Mitte des Jahres 2005 sollte das BfArM durch die "Deutsche Arzneimittelagentur" - DAMA ersetzt werden. Mit der Überführung der bisherigen Bundesbehörde BfArM in die DAMA als eigenständige Agentur sollte nach dem Willen des Bundesgesundheitsministeriums ein effektives Zulassungsmanagement auf hohem, wissenschaftlichem Niveau aufgebaut werden. Wegen möglicher Neuwahlen in der Bundesrepublik ruht aber bis auf weiters die parlamentarische Arbeit zur Errichtung dieser Institution.

Erst nach deren Zustimmung kann mit der klinischen Prüfung begonnen werden.

Fortsetzung folgt
Siegfried Koch
GPA - Gesundheitspolitische Abteilung UCB Pharma