Wohnheim - Ja oder Nein?!

Argumente für einen (zeitigen) Wohnheimaufenthalt von behinderten Kindern
eigene Erfahrungen und Erfahrungen aus meiner Tätigkeit in der  Elternberatungsstelle:

  • Bei einem früheren Eintritt des Kindes in ein Wohnheim können wir unsere Kinder noch lange auf ihrem Weg begleiten, ihnen zur Seite stehen in der Eingewöhnungszeit, sie herausholen, wenn sie dort nicht zurecht kommen, oder die Einrichtung sich nicht so darstellt wie angenommen.
  • Wir Eltern können miterleben, wie es ihnen dort ergeht und noch den „Herbst des Lebens“ - nach oft jahrzehntelanger Betreuung und Pflege - für uns selbst beanspruchen und leben.
  • Je älter unsere Kinder bei ihrem Auszug sind, umso schwerer wird es für sie, sich einzuleben und den neuen Lebensabschnitt positiv zu gestalten und ihn als Chance erkennen. Um sich entwickeln zu können braucht man andere Welten – das Elternhaus muss das zulassen. Verwehren sie Ihren Kindern diese Chance nicht!
  •  Unsere Kinder brauchen ihre eigenen Freunde und den Umgang mit Gleichaltrigen. Sie sollten nicht die Freunde der Eltern, die einer anderen Generation angehören, als solche erleben. Es ist egoistisch zu glauben, dass es unsere Kinder glücklich macht, bei den elterlichen Einladungen dabei zu sein, ohne dass auch nur eines der Kinder der besuchten Familie noch anwesend ist.
  • Der erste Schritt zum Loslassen ist auch die Möglichkeit zu einem Kurzzeitpflege-Aufenthalt – einmal im Jahr möglichst in Ihrer Wunscheinrichtung. Ihr Kind kann erleben, wie es in einem Wohnheim ist, wie dort der Alltag aussieht, was unternommen wird. Und wir Eltern können unsere Belastung erkennen, uns ausruhen und die Zukunft bedenken. Es ist eine Chance für Eltern und Kind, das LOSLASSEN zu erlernen. Ferien in der Gemeinschaft mit anderen erleben ist ebenso sinnvoll.
  • Zukünftig wird es nur noch wenige Wohnheimplätze geben. Die Betreuten in den Wohnheimen werden älter und meist wird erst ein Platz nach deren Tod frei. Es werden kaum noch Wohnheime für behinderte Menschen gebaut.


Die Eltern müssen inzwischen den Nachweis erbringen, ihr Kind nicht mehr versorgen zu können, erst dann kommt die Mitteilung der Kostenübernahme – meist aber auch erst nach einem Widerspruch.

Lassen sie sich nicht entmutigen! Ihr Kind hat einen Anspruch auf einen Wohnheimplatz und ihr Hausarzt und der behandelnde Arzt ihres Kindes stellen ihnen die nötigen Gutachten aus. Klagen sie notfalls den Wohnheimplatz ein!

Holen Sie sich Rat! Lassen Sie sich die Ablehnung eines Wohnheimplatzes nicht gefallen! Hier versucht man nur, Gelder zu sparen. Ich weiß, dass viele Eltern bereits den Widerspruch scheuen und somit hat die Spartaktik Erfolg.

Wir und andere Beratungsstellen helfen Ihnen bei der Antragstellung auf Kostenübernahme – und auch bei eventuell erforderlichen Widersprüchen. In den Anträgen werden viele Fragen gestellt, die nicht relevant sind und so auch nicht beantwortet werden sollten. Bescheide sind oft einfach schlicht und ergreifend falsch – aber wir Laien erkennen dies in der Regel nicht. Ich kann Ihnen auch hier unsere Unterstützung anbieten.

  • Schon oft musste ich die Situation miterleben, dass von dem "übrig bleibenden" Elternteil (meist die Mutter) im Alter von 75 einen Wohnheimplatz für den Sohn oder die Tochter gesucht wird. Es ist unglaublich schwierig, überhaupt einen zu finden. In der Regel sind es Altenheime, in die dann die 50jährigen Söhne oder Töchter kommen, weil jede Behinderteneinrichtung sich außer Stande sieht, den Betreuten noch zu integrieren. Wie der Alltag dort aussieht - ohne Förderung oder Tagesstruktur - möchte ich hier nicht näher erläutern. Nach dem Tod der Eltern bleiben in der Regel ganz einsame und verstörte Menschen zurück. Und das darf nicht sein.
  • Bedenken sie immer, dass auch wir Eltern von einem behinderten Kind endlich sind.
  • Der Einzug ins Wohnheim ist kein Abschieben, wenn es nicht mehr geht, sondern muss immer eine Chance zur Entwicklung für beide Seiten sein - für Eltern und Kind. Es ist unsere Verantwortung, die Kinder gehen zu lassen. Auch wenn sie nicht gehen wollen, müssen wir Eltern ihnen aus dieser Verantwortung heraus klar machen, dass sie gehen müssen.
  • Oft ist die Situation so: Die Kinder, oft relativ selbstständig, sind tagsüber in der Werkstatt, aber sie wohnen noch bei den Eltern. Weder Eltern noch das erwachsene Kind, keiner kann mehr eigenständig leben, alle sind genervt und irgendwann außerstande, etwas daran zu ändern. Es gibt viele Wohnprojekte z.B. „Ambulant unterstütztes Wohnen“ (dort hat der Behinderte eine eigene Wohnung wird aber stundenweise betreut - je nach Bedarf) oder „betreute Wohngemeinschaften“. Auch hier gilt es unsere Kinder rechtzeitig anzumelden – und damit meine ich schon Jahre, bevor der Umzug geplant ist.
  • Wenn dann in Ihrer „Wunscheinrichtung“ ein Wohnheimplatz frei wird, sollten sie ihn auch annehmen – es kann lange dauern, bis der nächste frei wird. Sie können nicht davon ausgehen, dass dann ein Platz zur Verfügung steht, wenn Sie ihn von heute auf morgen brauchen, auch nicht bei oberster Dringlichkeit.
  • Wir Eltern müssen den jungen Erwachsenen klar machen ohne selbst zögerlich zu sein, dass der Auszug aus dem Elternhaus zum Erwachsenwerden gehört und somit selbstverständlich ist. Meine Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen in der Elternberatung ist, dass der Mensch mit Behinderung in der Familie letztendlich sozial und kommunikativ vereinsamt – bis auf die Werkstattkollegen hat er kaum oder gar keine Kontakte zu Gleichaltrigen. Lassen Sie das nicht zu!
  • Immer wieder erlebe ich Eltern, die auf die Geschwisterkinder hoffen. Der Bruder oder die Schwester werden sich schon kümmern. Das finde ich dem gesunden Kind gegenüber sehr ungerecht. Sie müssen ihren eigenen Weg finden und auch gehen dürfen. Ihre Kindheit ist sicherlich im besonderen Maße geprägt von der Behinderung des Bruders oder der Schwester. Wir Eltern dürfen ihnen dieses Erbe nicht auch noch aufbürden – sondern müssen uns freuen, wenn sie eine ganz normale Geschwisterbeziehung zueinander entwickeln und diese erhalten bleibt.


Margret Meyer-Brauns,
Elternberatung der Lebenshilfe München und betroffene Mutter


P.S.: In einer Statistik der Lebenshilfe Salzburg ist zu lesen, dass das Durchschnittsalter der Betreuten, die in ein Wohnheim gehen, bei 39 Jahren liegt. Nicht behinderte Kinder sind im Durchschnitt 23 Jahre alt, wenn sie das Elternhaus verlassen.  Da ich viele Wohnheimanfragen bearbeite, kann ich diese Zahlen aus dem Bauch heraus bestätigen.

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