Die operative Epilepsiebehandlung

Ein Ratgeber für Menschen mit Epilepsie und deren Angehörige – Teil II

Bei der Behandlung von Epilepsien ist die medikamentöse Therapie die Therapie der ersten Wahl. Rund 2/3 der Menschen mit einer Epilepsie können heute durch Medikamente erfolgreich behandelt werden. Sie erfahren eine deutliche Reduzierung der Anfälle oder werden vollständig anfallsfrei.

Doch nicht bei allen Betroffenen führt diese Behandlung zum Erfolg. So können z.B. während der Therapie Nebenwirkungen eintreten, die nicht akzeptiert werden oder die Anfallskontrolle stellt sich nicht oder nicht im gewünschten Umfang ein. In diesen Fällen spricht man von einer pharmakoresistenten Epilepsie. Kann nun eine Operation weiterhelfen?

Im zweiten Teil dieses Ratgebers (Teil I. siehe epiKurier-Ausgabe 3/09) wollen wir Sie an das Thema Epilepsiechirurgie heranführen und erste Fragen beantworten im Hinblick auf die epilepsiechirurgischen Behandlungsmöglichkeiten und die diagnostischen Verfahren, die im Vorfeld einer Operationsentscheidung notwendig sind.

Welche operativen Methoden gibt es?

Die Skizze (Abb. 3) zeigt verschiedene Verfahren der Epilepsiechirurgie. Grundsätzlich wird zwischen Resektionen, bei denen ein Hirnteil entfernt wird, und Transektionen, bei denen lediglich bestimmte Fasern in 5mm-Abschnitten durchschnitten werden, unterschieden. Hinzu kommt ein Verfahren, bei dem ein Schrittmacher implantiert wird, durch den der Halsnerv (Nervus vagus) Impulse erfährt (Vagusnerv-Stimulation).

Eine Entfernung eines Hirntumors kommt in der Regel bei einer Schläfenlappenepilepsie in Betracht, wenn also der Anfallsherd im inneren (medial) oder äußeren Schläfenlappen (neokortikal) festgestellt wurde. Entsprechend werden die Resektionen individuell vorgenommen. Schläfenlappenepilepsien stellen die häufigsten Herdlappenepilepsien dar (ca. 80%). Resektionen sind bei dieser Form der Epilepsie besonders erfolgreich.

Eine Transektion (Durchtrennung von Fasern) kommt nur dann in Betracht, wenn eine Resektion nicht möglich ist. Dies ist der Fall bei epileptischen Herden in einer funktionstragenden Hirnregion wie z.B. der Sprache oder der Motorik. Bei schweren Sturzanfällen ist u.U. eine Durchschneidung von vorderen Anteilen des so genannten Balkens, der die linke und rechte Gehirnhälfte verbindet, erforderlich.
Der Erfolg einer Transektion liegt weniger in der Anfallsfreiheit als in einer Verminderung der Schwere der Anfälle.

Abb. 3: Schläfenlappenresektionen können als sog. Standard-Resektionen oder je nach persönlichen Gegebenheiten modifiziert erfolgen (z.B. Selektive Amygdalo-Hippokampektomie = SAH).
Kortektomie = umschriebene Gewebeentfernung
Kallosotomie = Durchtrennung von Balkenfasern

Sind weder Resektionen noch Transektionen möglich, so kommt u.U. eine Vagusnerv-Stimulation in Betracht. Hierbei wird der linke Nervus Vagus im Halsbereich über einen fest unter der Haut eingepflanzten Schrittmacher gereizt. Dieser Schrittmacher stimuliert automatisch oder patientengesteuert (z.B. während einer Aura) den Nervus Vagus. Dadurch lassen sich Anfallsleiden mildern. Die Vagusnerv-Stimulation kann die medikamentöse Behandlung ergänzen ohne die gleichen Nebenwirkungen wie Medikamente zu haben. Außerdem beeinflusst sie die anderen Medikamente nicht.

Gibt es eine Altersbegrenzung für epilepsiechirurgische Eingriffe?

Operative Eingriffe kommen sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter in Betracht. Je nach Schwere des Epilepsieverlaufes werden Kinder u.U. schon sehr früh in den ersten Lebensmonaten oder –jahren operiert. Wesentlich häufiger sind jedoch Operationen im Jugend- oder Erwachsenenalter. Insofern der allgemein-körperliche Gesundheitszustand es zulässt, sind auch epilepsiechirurgische Eingriffe jenseits des 60. Lebensjahres möglich.
Diesbezüglich ist die Abklärung in einem Epilepsiezentrum ratsam.

Was ist nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff zu berücksichtigen?

Auch nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff müssen Medikamente zunächst weiter genommen werden. In der Regel 1-2 Jahre nach einem erfolgreichen epilepsiechirurgischen Eingriff, bei dem es zur Anfallsfreiheit gekommen ist und das postoperative (= nach der Operation) EEG keine Hinweise auf eine epileptische Restaktivität zeigt. Das spätere Reduzieren der Medikation sollte stets in Absprache mit dem Epilepsie- Zentrum erfolgen. Ein schnelles Absetzen soll in jedem Fall vermieden werden.

Lässt sich der Behandlungserfolg einschätzen?

Ca. 60-70% der epilepsiechirurgischen Eingriffe führen zu einer Anfallskontrolle.
Das Risiko nicht vollständig rückbildungsfähiger Funktionsstörungen durch eine Operation beträgt hingegen durchschnittlich ca. 5%.

Wer kann epilepsiechirurgische Eingriffe durchführen?

Die präoperative (= vor der Operation) Diagnostik und Epilepsiechirurgie setzt eine umfassende Kenntnis aller Diagnose- und Behandlungsverfahren voraus und ist daher nur in speziellen epilepsiechirurgischen Zentren möglich. Es empfiehlt sich eine präoperative Diagnostik in einem Zentrum durchzuführen, welches anschließend die operative Behandlung übernehmen kann. Epilepsiechirurgische Zentren befinden sich z. Zt. in Berlin, Bielefeld, Bonn, Erlangen, Freiburg-Kehl-Kork, Greifswald, Kleinwachau, Marburg, München, Ulm und Vogtareuth.

Was ist bei der Vorstellung zur prächirurgischen Epilpsiediagnostik mitzubringen?

In der Regel benötigen Sie Folgendes:
* eine Überweisung/Einweisung von einem Facharzt
* Ihre ärztlichen Unterlagen (Arztbrief), sowie Aufnahmen von bildgebenden Verfahren (z.B. MRT),  falls vorhanden
* Anfallskalender und Epilepsie-Notfallausweis, falls vorhanden

Wegen eines Termins sollte frühzeitig Kontakt mit der Klinik aufgenommen werden.

Arbeitsgemeinschaft Prächirurgische Epilepsiediagnostik und Epilepsiechirurgie
Prof. Dr. H. Stefan, Epilepsiezentrum Erlangen,
Thomas Porschen, Landesverband für Epilepsie Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen, Köln