VNS- Stimulation:
Erfahrungen aus dem Leopoldina-Krankenhaus Schweinfurt
20-30 Prozent aller Epilepsiepatienten werden trotz aller Anstrengungen mit medikamentösen Therapien nicht dauerhaft anfallsfrei. Hat sich unter sorgfältiger medikamentöser antiepileptischer Therapie keine deutliche Besserung der Anfallssituation ergeben, können epilepsiechirurgische Therapiemöglichkeiten erwogen werden. Diese sollen vor allem die Häufigkeit und Intensität von Anfällen positiv beeinflussen. Ausschlaggebend ist jedoch bei der Entscheidung für die eine oder andere Therapieform die Frage nach der individuellen Lebensqualität.
Bei der Abklärung von Anfallsleiden müssen hirnorganische Ursachen diagnostisch ausgeschlossen werden. Zeigen sich klinisch, in der Bildgebung und im EEG Hinweise für einen operativ zugänglichen Anfallsherd, kann die Möglichkeit einer operativen Entfernung des Anfallsherds in Betracht gezogen werden. Kommt die operative nicht in Betracht (z.B. bei diffuser Verteilung der Herde im Gehirn), sollte die Vagusnervstimulation (VNS) als alternative Methode erwogen werden.
Dem Einsatz eines Vagusnervstimulators muss immer eine sehr sorgfältige Information und Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen der VNS vorausgehen. Nur nach individuellen und ausführlichen Gesprächen mit dem Neuropädiater und mit dem Neurochirurgen können die Patienten, bzw. deren Eltern, sorgsam abwägen und in Ruhe ihre Entscheidung treffen.
Der im Halsbereich verlaufende Nervus vagus führt vorwiegend zum Gehirn ziehende Nervenfasern, die in verschiedenen Kerngebieten des Gehirns verschaltet werden. Die Nervenbahnen ziehen bis in die Kerngebiete des Hirnstamms und danach in weitere übergeordnete Hirnzentren, wie limbisches System und Thalamus. Dadurch bietet die Stimulation des Nervus Vagus die therapeutische Chance, epileptogene Gehirnzentren zu beeinflussen.
Weltweit wurden seit den 90er-Jahren bereits über 20000 Stimulationsgeräte implantiert, so dass bereits umfassende Erfahrungen mit der VNS vorliegen.
Die VNS arbeitet mit einem batteriegetriebenen Generator, der wie ein Herzschrittmacher in Narkose unter die Haut implantiert wird. Der Neurochirurg legt unter mikroskopischer Sicht über einen etwa 25mm langen Hautschnitt an der linken Halsseite mit sehr feinen mikrochirurgischen Instrumenten den Vagusnerv frei. Eine flexible Elektrode mit zwei Kontakten wird zuerst um den Nerven geschlungen und danach mit dem Generator verbunden. Hierzu wird das Kabel unter der Haut zur linken oberen Brustwand durchgezogen, wo das Reizgerät unter der Haut liegt. Noch während der Operation stellen der Neuropädiater und der Neurochirurg mittels eines Prüfgeräts die korrekte Funktion des Generators und der Elektrodenposition sicher. Noch vor dem Verschluss der Operationswunde wird die Vagusnervstimulation begonnen. Die Operationsdauer liegt bei etwa einer Stunde.
Der Generator sendet elektrische Impulse in einer gewissen Stromstärke, mit einer gewissen Frequenz und Stimulationsdauer. Diese Impulse können später von außen über ein Zusatzgerät vom Arzt schmerzfrei verändert werden, je nach Verträglichkeit und Anfallssituation werden die Stromstärke, die Impulsdauer und das stimulationsfreie Intervall eingestellt.. Diese Änderungen können von einem mit der VNS erfahrenen Neuropädiater in der Sprechstunde vorgenommen werden. Kennt der Patient selbst Anfallsvorboten, bzw. Auren, kann er durch einen Magneten gezielt am Generator Zusatzimpulse auslösen, um einen Anfall an seiner Entstehung und Ausbreitung zu hindern oder abzumildern.
Die Nebenwirkungen der VNS sind insgesamt sehr gering. Etwa ein Drittel der Patienten berichtet anfangs über Heiserkeit, Hustenreiz, Veränderung der Stimmhöhe, Schluckstörungen, Kribbelgefühl am Hals und z.T. auch Kurzatmigkeit. Diese Beschwerden treten oft nur während der VNS-Stimulation auf und klingen zumeist innerhalb weniger Tage oder Wochen vollständig ab. Bei allgemeinen chirurgischen Risiken ist zunächst an die Wundheilungsstörung und Nachblutung zu denken, in Dr. Romstöcks eigener Serie von 120 Implantationen kam es zu einer einzigen lokalen Entzündung (0,83%).
Langfristig kann eine Verbesserung der Anfallssituation erwartet werden. In Studien zeichnet sich 3 Monate nach VNS-Implantation eine Senkung der Anfallshäufigkeit bei 23 % der Patienten ab. Bei 50% der Patienten kann eine Anfallsreduktion von 50%erreicht werden. Nach Ablauf von 18 Monaten profitieren 44% der Epilepsiepatienten von der VNS-Implantation. Zusätzliche positive Effekte sind Verbesserung der Wachheit, raschere Erholung nach den Anfällen, Stabilisierung der Stimmungslage sowie Steigerung der Gedächtnisleistungen.
Im Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt wird die epileptologische Kompetenz durch die Neuropädiater Herrn Dr. Unkelbach und Herrn Ltd. Oberarzt Dr. Koch garantiert, ergänzt wird diese seit 2006 durch Herrn Priv.Doz. Dr. Romstöck, der bereits neben zahlreichen epilepsiechirurgischen Eingriffen mit der Entfernung von Anfallsherden über Erfahrung bei mehr als 100 Vagusnervimplantationen verfügt. Somit steht in Schweinfurt ein erfahrenes Team für die VNS-Implantation bereit, um eine wohnortnahe Versorgung anzubieten.
Bisher sind fünf Patienten operiert worden, die alle aus der Sprechstunde von Dr. Unkelbach kommen. Die Dauer des stationären Aufenthaltes liegt bei 6-7 Tagen.
Der erste Patient ist ein 27 jähriger Mann, der seit seinem ersten Lebensjahr auf Grund einer schweren, nicht operablen Fehlbildung der Hirnwindungen an einer medikamentös nicht einstellbaren Epilepsie leidet. Der Patient ist schwer behindert. Die VNS-Implantation erfolgte am 13.11.2007. Durch die VNS Implantation hat sich die Anfallssituation gebessert, was sowohl die Grand Mal Anfälle als auch die Myoklonien betrifft. Die medikamentöse Therapie konnte nicht reduziert werden. Die Eltern berichten über eine deutlich bessere Lebensqualität für und mit dem Patienten. Keine Nebenwirkungen.
Der zweite Patient ist 18 jähriger Mann, der seit Geburt auf Grund einer Hirnfehlbildung therapieresistente Anfälle hat. Im Alter von 2 Jahren erfolgte und 10 Jahren wurden epilepsiechirurgische Eingriffe.durchgeführt.
Die VNS-Implantation erfolgte am 26.03.2008. Die Anfallssituation hat sich bis auf 3 Grand Mal Anfälle /Monat gebessert. Die bestehenden Lachanfälle sind so kurz geworden, dass sich der Einsatz der Magnetstimulation inzwischen erübrigt. Die Eltern berichten über eine Verbesserung der Lebensqualität. Keine Nebenwirkungen.
Die dritte Patientin ist eine 19jährige Frau, die an einer therapieresistenten symptomatischen fokalen Epilepsie mit komplex fokalen Anfällen auf Grund einer Hirnfehlbildung leidet. Zusätzlich hat die Patientin eine depressive Verstimmung. Die VNS-Implantation erfolgte am 10.06.2009. Seither ist es zu einer geringen Anfallsreduktion von 3 auf 2 Anfälle /Monat gekommen. Die Anfälle sind kürzer und geringer ausgeprägt. Durch die zusätzliche Magnetstimulation können die Anfälle verkürzt oder unterbrochen werden. Keine positiven Auswirkungen auf die depressive Verstimmung. Keine Nebenwirkungen. Keine Reduktion der Medikamente möglich.
Die vierte Patientin ist zehnjähriges Mädchen. Auf Grund einer frühgeburtlichen Schädigung besteht eine therapieresistente Epilepsie mit schwerer geistiger und körperlicher Behinderung, frühkindlichem Autismus und schwerer Bewegungsunruhe.
Eine operative Behandlung kommt nicht in Frage.
Die VNS-Implantation erfolgte am 24.06.2008. Auf Grund der extremen Bewegungsunruhe, verbunden mit Kratzen und Reiben an der Wunde, kam es zu einer Wundheilungsstörung. Die Wunde infizierte sich mit Eitererregern. Trotz aller Behandlungsversuche musste der Stimulator am 26.09.2008 wieder entfernt werden.
Positive Effekte der VNS-Implantation auf die Epilepsie konnten deshalb nicht festgestellt werden.
Die fünfte Patientin ist ein. 15-jähriges Mädchen. Bei ihr besteht u.a. eine therapieresistente Epilepsie auf Grund einer Hirnfehlbildung. Die Patientin ist schwer behindert. Die VNS-Implantation erfolgte am 01.12.2008. Es konnte eine Besserung der Anfallsfrequenz im Verlauf von 14 auf 7 Anfälle/Monat unter VNS erreicht werden. Die Anfälle können durch den Einsatz des Magnetstimulators verkürzt werden. Die Medikamente wurden umgestellt. An Nebenwirkung ist eine gewisse Heiserkeit festzustellen.
Bei 4 der 5 Patienten konnte also eine Besserung der Anfallssituation im Sinne geringerer und kürzerer Anfälle erreicht werden, die Eltern berichten z.T. von einer Verbesserung der Lebensqualität. Allerdings ist kein Patient/in anfallsfrei geworden, auch eine Reduktion der Medikamente ist nicht möglich gewesen.
Dr. Unkelbach Priv.Doz. Dr. Romstöck Dr. Koch
Hinweis:
Seit 1999 veranstalten die Kinderklinik am Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt (CA. Dr. Herrmann, OA. Dr. Koch) und der niedergelassene Neuropädiater Dr. Unkelbach gemeinsam mit der Selbsthilfegruppe für Eltern anfallskranker Kinder Main-Röhn einmal jährlich ein praxisorientiertes Seminar für Betroffene, deren Angehörige sowie pädagogische, psychologische und medizinische Fachleute.
Das Besondere dieser Seminare sind
- Informationen zu medizinisch wichtigen Themen und Neuerungen auf dem Gebiet der Epileptologie für Kinder und Jugendliche
- Allgemein verständliche Vorträge zur Behandlung der Epilepsien und zum Leben mit Anfällen
- Erfahrungsaustausch und interaktive Diskussionen für alle Teilnehmer
Das nächste Epilepsie-Seminar Schweinfurt am Leopoldina Krankenhaus findet am 13. März 2010 von 9-13 Uhr statt:
1. Thema: Neue Antikonvulsiva - Wirken die "Neuen" besser als die "Alten"?, Referent Prof. Dr. Curlemann, Leiter des Bereiches Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik Münster
2. Thema: Fortschritte in der Epilepsiechirurgie für Kinder - 10 Jahre Erfahrung im Epilepsiezentrum Vogtareuth, Referent Dr. Holthausen, Chefarzt des Behandlungszentrums Vogtareuth