Kommunikation – groß geschrieben!
„Zur Veranstaltung „Ein beinahe fast normales Leben“ am 7.9.2013 im Stadthaus Ulm im Rahmen der Aktionswoche der ADS des Bundes zum Themenjahr „Selbstbestimmt dabei. Immer“
Zufall oder Fügung? Kurz, nachdem Dr. Susanne Fauser, die Leiterin der Epilepsieambulanz der Uniklinik Ulm, angefragt hatte, ob wir nicht eine Epilepsie-Veranstaltung im Stadthaus organisieren sollten, erhielt ich im Juli die Einladung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), mich mit dem Ulmer „Treffpunkt für junge Menschen mit Epilepsie“ an der bundesweiten Aktionswoche „Selbstbestimmt dabei. Immer“ zu beteiligen. Das diesjährige ADS-Thema Ausgrenzung und Diskriminierung chronisch kranker und behinderter Menschen traf genau jene Problematik, auf die wir in unserer Veranstaltung gezielt hinweisen wollten: Denn epilepsiekranke Menschen leiden oft mehr unter der Stigmatisierung ihrer Krankheit als unter den Anfällen selbst. Es passte also zusammen. Die Arbeit konnte beginnen.
Am 7. September, morgens um 10:00 Uhr, war es soweit. Bereits 30 Minuten vor Beginn der Veranstaltung kamen die ersten Besucher und schauten sich die begleitende und dreiwöchige Ausstellung „Leben mit Epilepsie – Perspektiven einer Erkrankung“ im Stadthaus-Foyer an. Die ausdrucksstarken Fotos waren bei einem Workshop der Epilepsieberatungsstelle Würzburg entstanden, an dem auch einige Mitglieder des Ulmer Treffpunkts teilgenommen hatten. Dass Leiterin Henrike Staab-Kupke sie uns so unkompliziert auslieh und die Stadthaus-Leiterin Karla Nieraad dafür drei Wochen lang das prominente Foyer zur Verfügung stellte, war schlicht ein Glücksfall. Danke! Am langen Tisch des Treffpunkts mit all seinen Büchern und zahlreichen Info-Materialien kamen Treffpunkt-Mitglieder und Besucher rasch miteinander ins Gespräch: Kommunikation – ganz groß geschrieben!
Im Saal dann rund 150 Besucher – eine erkleckliche Zahl! Dr. Susanne Fauser begrüßte die Teilnehmer der Veranstaltung und insbesondere unseren Ehrengast Irene Fischer, die vielen bekannt ist als Anna Ziegler aus der ARD-Serie „Lindenstraße“. Irene Fischer erzählte über ihre eigene Erkrankung an einer schweren Depression, sehr persönlich und ganz ohne Starallüren. Sie betonte, wie wichtig es sei, zu seiner Krankheit zu stehen und wie unendlich viel Kraft es sie gekostet habe, über Jahre hinweg ihre Depression zu verschweigen. Als Botschafterin des ADS-Themenjahrs nutze sie die Möglichkeit, chronisch-erkrankten Menschen Mut zuzusprechen. Viel Applaus. Es war klar: Irene Fischer hat das Publikum im Herzen berührt.
Herzergreifend und nachdenklich machend war auch die Lesung von Julia, die seit drei Jahren verzweifelt eine Arbeitsstelle als Bürokauffrau sucht und nur auf Absagen stößt. Dass Irene Fischer einige Sätze aus dieser Lesung in der Podiumsdiskussion aufgriff, war nicht nur für Julia eine wunderbare Bestätigung, sondern zeigte auch dem Publikum, wie sensibel sich Frau Fischer in die junge Frau einzufühlen vermochte.
Der anschließende Vortrag von Dr. Susanne Fauser verdeutlichte, wie stark die diffusen Vorurteile gegen die Krankheit, die oft nur auf mangelnder Kenntnis beruhen, sind, und wie sehr die daraus resultierende Ausgrenzung das Leben Epilepsiekranker beeinträchtigt und erschwert (s. Kasten).
Leider fiel die Podiumsdiskussion, von Michaela-Pauline Lux aus Kork einfühlsam moderiert, aus Zeitgründen etwas knapp aus. Dennoch wurden die einzelnen Standpunkte der Teilnehmer - Arbeitgeber, die Epilepsiekranke eingestellt haben, Vertreter der IHK und Arbeitsagentur und ein Treffpunktmitglied - deutlich formuliert. Ergebnis: Menschen mit (gut eingestellter) Epilepsie sind wertvolle und motivierte Arbeitnehmer, die sich nicht zu verstecken brauchen. Philipp Schuppert von der Arbeitsagentur Ulm schrieb danach in einer E-Mail, sein Bild und auch sein Gefühl für diesen Personenkreis habe sich verfeinert.
Auch Agathas Lesung aus dem Buch „Sag ich’s oder sag ich’s nicht“ berührte und erfreute zugleich, weil Agatha einen festen Arbeitsplatz gefunden hat.
Am Ende der Veranstaltung war es dem beeindruckenden Dokumentarfilm „Es gibt nur ein Ich und im Ich verweilt meine Seele“ (2013 mit dem Sibylle-Ried-Preis ausgezeichnet) vorbehalten, das Publikum mit Hoffnung zu entlassen: So lebendig, so anrührend und nie im Jammerton erzählen darin sechs junge Epilepsiekranke aus Deutschland und der Türkei von ihrem Alltag mit Epilepsie und ihrer Einstellung zu der Erkrankung. Dass die Filmemacher Kristin Nahrmann und Emrah Turan extra aus Bielefeld angereist waren, hat uns alle gefreut. Viel Beifall und Dank.
Fazit: Wir glauben, das „Geheimnis des Erfolgs“ unserer Veranstaltung lag vor allem darin, dass auf dem Podium auch Betroffene zu Wort kamen. Die wahren Epilepsie-Experten!
Susanne Rudolph
Info:
Die beiden Bücher des Ulmer Treffpunkts „ Ein beinahe fast normales Leben“(2007) und „Sag ich’s oder sag ich’s nicht“(2012) sind kostenfrei zu bestellen über
info(at)junger-treffpunkt-epilepsie.de
Betreffzeile: Buchbestellung Epilepsie bzw. Buchbestellung Arbeit
Was kann man gegen Ausgrenzung tun?
Nicht einfach zu beantworten, meint Frau Dr. Susanne Fauser von der Epilepsieambulanz der Uniklinik Ulm:
Zunächst ist es wichtig, zu wissen: Patienten, die sich sozial ausgegrenzt fühlen, haben fast in allen Lebensbereichen deutlich mehr (sowohl psychische als auch körperliche) Probleme als gut integrierte Patienten mit der gleichen Anfallshäufigkeit. In Fragebögen gaben sie u. a. Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Depressionen, Schmerzen, Angst vor Anfällen und weniger Lebensfreude an. Man sollte deshalb nicht nur die Anfälle behandeln, sondern auch auf die psychosozialen Auswirkungen ein besonderes Augenmerk richten. Beide Aspekte sind sehr eng miteinander verknüpft.
Als nächstes muss man sich klar machen, woher die Ausgrenzung von Epilepsie-Patienten eigentlich kommt. Eine Ursache sehe ich in den falschen Vorstellungen über diese Krankheit. Man hält Epilepsie-Patienten im Großen und Ganzen für sehr viel eingeschränkter, als sie eigentlich sind. Deshalb wäre ein Punkt, gegen Diskriminierung vorzugehen, mehr Wissen über diese Krankheit zu vermitteln. Das kann über Vorträge von "Spezialisten" erfolgen, aber auch über Selbsthilfegruppen, in denen Patienten Bücher schreiben, oder über einen Film wie von Kristin Nahrmann.
Ein weiterer Grund für Ausgrenzung sind große Ängste im Umgang mit Menschen mit epileptischen Anfällen, da man sich als Außenstehender sehr hilflos fühlt und generalisierte Anfälle sehr bedrohlich aussehen. Viele Lehrer, Arbeitgeber, aber auch Ärzte und Menschen aus dem privaten Bekanntenkreis möchten da eben keine "Verantwortung" übernehmen. Auch hier ist vor allem mehr Öffentlichkeitsarbeit notwendig, um zu zeigen, dass bei epileptischen Anfällen zwar gewisse Vorsichtmaßnahmen notwendig sind, in aller Regel aber nicht viel bei einem Anfall passiert, und die meisten gut gemeinten Vorsichtmaßnahmen sehr übertrieben sind. Menschen mit Epilepsie ziehen sich manchmal zurück und "lernen" eine Art Hilflosigkeit, die oft auch von den Eltern gefördert wird.
Vielleicht wäre es deshalb ein Ansatzpunkt, Betroffene und Angehörige frühzeitig zu ermutigen, dass man auch mit einer Epilepsie gut leben und den Alltag bewältigen kann. Damit könnte man schon frühzeitig den Teufelskreis Epilepsie - Ausgrenzung - Depression - Rückzug - noch mehr Ausgrenzung - noch stärkeres Leiden unter Epilepsie durchbrechen.