Vergebene Therapiechancen für Patienten
Verantwortliche im Gesundheitswesen bejubeln die kostensenkenden Erfolge des seit 2011 geltenden Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG). Eine praxisferne Anwendung dieses Gesetzes trifft jedoch in vielen Fällen nicht die Therapiebedürfnisse von Patienten. Auch die Bewertung von zwei neuen Antiepileptika durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) war von rein formalem Vorgehen gekennzeichnet und geht an der Versorgungsrealität vorbei.
Die mehrfach angebotene Beteiligung von Fachverbänden an der Bewertung neuer Arzneimittel lehnt der G-BA kategorisch ab, darunter auch die Vorschläge der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE). Dies hat gravierende Folgen für Epilepsie-Patienten, weil der Zugang zu neuen Medikamenten erschwert wird.
Das AMNOG soll die Preise neu zugelassener Arzneimittel regulieren. Dieses Ziel begrüßt die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie. Allerdings fordert die Fachgesellschaft im Sinne ihrer betroffenen Patienten mehr Versorgungskompetenz bei G-BA-Entscheidungen, eine kooperative und dialogorientierte Zusammenarbeit des G-BA mit den Fachgesellschaften, in denen alle Experten organisiert sind, sowie eine deutlich verbesserte Transparenz der Prozesse, die zu einer Bewertung von neuen Therapeutika führen. Das Ziel des AMNOG und der Beurteilungen durch den G-BA muss eine Preisgestaltung mit Augenmaß sein, die Patienten und Kostenträgern gleichermaßen nutzt und die nicht die Chancen von Innovationen im Keim erstickt. Die DGfE bietet dem G-BA eine Fortsetzung des begonnenen Dialogs zur Bewertung neuer Antiepileptika an.
Innovative Antiepileptika stehen in Deutschland nicht mehr zur Verfügung
Seit Einführung des AMNOG wurden zwei innovative Wirkstoffe (Retigabin und Perampanel) zur Behandlung von Epilepsien neu zugelassen. Beide Substanzen weisen neue Wirkmechanismen auf und ergänzen derzeit verfügbare Antiepileptika. In Deutschland haben vom Einsatz dieser neuen Medikamente einige tausend Patienten profitiert, bei denen bisher keine der üblichen Therapien ausreichend wirkte. Einige dieser Patienten wurden nach jahrelanger Epilepsie mit häufigen schweren Anfällen erstmals anfallsfrei. Ein Leben ohne Anfälle ermöglicht diesen Menschen privat und beruflich neue Perspektiven.
Trotz Kenntnis dieses Sachverhalts hat der G-BA beiden Substanzen keinen Zusatznutzen zuerkannt. Beide wurden daraufhin von den Herstellern – nur in Deutschland – vom Markt genommen.
Nicht beachtet: individueller Zusatznutzen, Kosteneinsparungen, psychosoziale Aspekte
„Durch das wenig pragmatische Vorgehen des G-BA wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, kommentiert Prof. Dr. med. Holger Lerche, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und Leiter der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie am Universitätsklinikum in Tübingen. Es bestehe durchaus ein individueller Zusatznutzen der neuen Antiepileptika, da Menschen von diesen Medikamenten profitieren, die zuvor mit zahlreichen anderen Arzneimitteln nicht ausreichend behandelt werden konnten. Dies werde vom G-BA jedoch aus fachlich nicht verständlichen Gründen nicht anerkannt.
„Weniger epileptische Anfälle durch wirksame Medikamente sparen auch Kosten“, so Prof. Dr. Hajo Hamer, zweiter Geschäftsführer der DGfE und Leiter des Zentrums für Epileptologie an der Universitätsklinik Erlangen. Patienten müssen zum Beispiel weniger häufig ins Krankenhaus eingewiesen werden und können aktiv am Berufsleben teilnehmen.
„Epilepsie ist eine nach wie vor stigmatisierende Erkrankung mit gravierenden psychosozialen Auswirkungen für die Patienten, die besondere therapeutische Überlegungen notwendig machen“, so Dr. Thomas Mayer, erster Geschäftsführer der DGfE und Leiter des Epilepsiezentrums Kleinwachau in Radeberg. „Wir haben die Verantwortung diesen Patienten gegenüber.“
„Wenn sich die Haltung des G-BA nicht ändert, wird es für mehr als 150.000 Menschen mit aktiver Epilepsie keine innovativen Behandlungsmöglichkeiten mehr geben. Die Folge sind fortbestehende Anfälle mit psychosozialen Problemen und möglichen Verletzungen“, befürchtet Prof. Dr. Heidrun Potschka von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Vorstandsmitglied der DGfE.
Weitere Informationen
Im Anhang und auf der Website der DGfE (www.dgfe.info) finden Sie ausführliche Hintergrundinformationen zu diesem Thema.
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), Berlin / Sept. 2013