Mein Weg mit Epilepsie
In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und uns zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen. Hier die Geschichte von Moritz Altenkirch, 25 Jahre, bis zum 30.09.2016 noch Student, seitdem auf Arbeitssuche:
Art/Häufigkeit der Anfälle
Ich wurde vor kurzem im KEH in Berlin-Brandenburg behandelt und in Bad-Saarow zwischendurch zweimal operiert (Einsatz von Plattenelektroden und Entfernung der betroffenen Stelle im linken Hippocampus), da meine Anfälle immer schlimmer und heftiger wurden, jedoch kein einziges Medikament dagegen richtig half. Ich hatte bei jedem einzelnen Medikament bis dahin – egal bei welchem! – immer wieder Grand Mal-Anfälle bis hin zu einem heftigen Status-Epilepticus-Anfall am 28.01.2016 während der Verteidigung meiner Master-Thesis.
Meine ständigen Auren zwischendurch haben meinen Alltag und mein Studium teilweise so stark beeinflusst, dass ich oft nicht mehr weiterkonnte und sogar mal an Selbstmord dachte (fehlende Unterstützung und Überforderung mit etwas für mich bis dahin Neuem/Unbekanntem)® deswegen suchte ich einen Psychologen auf (erfolgreich!). Meine Grand Mal-Anfälle waren „Gott sei Dank“ (?) nicht so häufig (ca. alle drei Wochen). Einen Status-Epilepticus hatte ich nur einmal, aber dafür sehr heftig, denn der Notfalldienst musste mich in ein künstliches Koma versetzen.
Erster Anfall
Rückblickend hatte ich meinen ersten Anfall (eine Aura) im Alter von 13 Jahren, denn damals hatte ich schon dieselben merkwürdigen Gefühle während und Nachwirkungen nach einem Anfall wie heute/bis zur OP. Doch den ersten heftigen, und seitdem weiß ich erst, dass ich Epileptiker bin, hatte ich im September 2014 während eines Praktikums in Peking. Ich habe mich um meine eigene Achse gedreht und wäre umgefallen, wenn mich keiner der Mitarbeiter aufgefangen hätte.
Der Rückblick/Rückschluss, dass ich schon seit der Pubertät Epilepsie habe, ergab sich im Laufe der Zeit durch Diagnosen, eigene Erfahrungen/Berichte etc.
Behandlung der Epilepsie
Ich habe für zwei Jahre mit sieben verschiedenen Medikamenten eine unglaubliche Reihe ausprobiert, da mir die verschiedensten Nebenwirkungen wahnsinnig zu schaffen machten:
- Bei Levetiracetam bekam ich Depressionen und Albträume. Ich konnte nachts teilweise nur vier Stunden schlafen und es ging mir auf gut Deutsch gesagt „richtig dreckig“!
- Zonegran (später Zonisamid) half nicht komplett, aber ich hatte seitdem zumindest eine Grundbasis! Nur die „ungewollte“ Umstellung auf Zonisamid von meinem Neurologen/der Apotheke/der Krankenkasse hat meinen späteren Status-Epilepticus-Anfall mit unterstützt. Denn es beinhaltet zwar den gleichen Wirkstoff, ist aber nicht zu 100 % dasselbe Medikament. Da mein Neurologe mir zwar Zonegran verschrieb, aber vergessen hatte anzukreuzen, dass genau dieses und kein günstigeres „gleiches Ersatzprodukt“ verschrieben werden soll, verkaufte mir die Apotheke nur Zonisamid (kurze Zeit vorher hat der Hersteller von Zonegran seine Patente verloren), was die Krankenkasse vorschreibt! Trotz meines Protestes gab keiner nach – auch nach meinem Anfall …
- Bei Topiramat hatte ich Konzentrationsstörungen, konnte nicht bei der Sache bleiben und (wie alle anderen auch) hat es nicht gegen die Anfälle komplett angekämpft. Ich habe es vor allem abgesetzt, da ich in meinem letzten Semester, nämlich dem meiner Master-Thesis, war und nicht riskieren wollte, dass mir dieses Medikament nicht nur den Alltag durch die Konzentrationsschwäche so schwierig machte, sondern ich gerade so kurz vor meinem Abschluss durch diese Konzentrationsschwäche auch noch meinen Master-Titel riskierte. Das Leben war schon hart genug …
- Alle restlichen Medikamente hatten eine gewisse unangenehme Nebenwirkung oder waren einfach nicht wirksam genug.
Nachdem kein einziges Medikament wirklich effektiv war und ich meinen Status-Epilepticus-Anfall hatte, ging ich ins Epilepsiezentrum in Berlin (im KEH Berlin-Brandenburg). Dort stellte man schnell fest, dass ich dank fokaler Epilepsie, keiner generalisierten, operativ behandelt werden könnte. Da ich in einem jungen Alter war, kein einziges Medikament bisher gewirkt hatte und zwischen Master-Abschluss und Berufsstart der perfekte Zeitpunkt für so einen immensen Eingriff war, ergriff ich die Chance und entschied mich für die OP, obwohl ich auch sagen muss, dass ich zwischendurch etwas ins Grübeln geriet wegen der zwar minimalen, aber wenn eintreffenden, dann evtl. fatalen Folgen! Ich bin einerseits dankbar, dass es bei mir wahrscheinlich geklappt hat, da ich keine generalisierte Epilepsie hatte. Andererseits ging es auch gut, da mein Anfallsherd nicht zu nah am Sprachzentrum war, weshalb man u. a. die erste OP mit den Plattenelektroden durchführte, weil ich bei vielen Anfällen etwas sagen wollte, aber nur irgendwelcher Wortsalat rauskam (Ergebnis: Es ging einfach vom Anfallsherd [linker Hippocampus] in das Sprachzentrum über, doch wenn es gekappt würde, dann wäre alles in Ordnung).
Die OP war am 30.06.2016, seitdem hatte ich keinen einzigen Anfall mehr, ABER: Ich nehme noch immer Medikamente in hoher Dosis zurzeit und habe nach drei Monaten Anfallsfreiheit mit der allmählichen langsamen Reduktion begonnen, d. h. ich muss vorsichtig sein.
Schule
Da ich selbst in meiner Schulzeit noch nicht wusste, dass ich Epileptiker bin/sein könnte, ist alles normal verlaufen.
Ich konnte ganz normal meinen Alltag bestreiten und genießen, meinen sämtlichen Hobbys (Klavier, Handball, Cello, Handballschiedsrichter, meinen etlichen Tieren, Chor, Malen/Zeichnen, Fotografieren, Kochen und Backen) nachgehen und mich mit Freunden treffen.
Studium
Nachdem ich meinen Zivildienst absolviert hatte, stellte ich fest, dass ich sehr gut mit Kindern zurechtkomme. Dadurch kam es schließlich dazu, dass ich als Au-Pair bei einer deutschen Gastfamilie in China/Peking landete, da ich mich auch unheimlich für Sprachen und Kulturen interessiere, doch Französisch und Englisch konnte ich schon relativ gut – ich wollte was Neues, Abgefahrenes ausprobieren! Nach sechs Monaten von zwölf habe ich mich dann dazu entschlossen, Chinesisch sogar zu studieren, weshalb ich in Würzburg an der Julius-Maximilians-Universität gelandet bin, da diese ein integriertes Auslandssemester im Bachelorsystem haben.
Diesen Bachelor konnte ich sogar in zwei Jahren abschließen – dank meiner Vorkenntnisse aus Peking nahm ich an der Abschlussprüfung des 2. Semesters teil und bestand mit Bravour.
Nach meinem erfolgreichen Bachelor stellte ich jedoch fest, dass nur Sprachen und Kultur nicht ausreichen, um wirklich einen lohnenswerten Beruf zu finden, den ich anstrebe. Also legte ich dank des neuen Masters noch Wirtschaftswissenschaften obendrauf.
Da kam dann auch im 2. Semester während meines eigenständig organisierten Auslandsaufenthaltes die Diagnose der Epilepsie und alles ging plötzlich den Bach runter. Ich muss vor allen Dingen auch sagen, dass manche Dozenten die Krankheit nicht kennen und ernst nehmen und das, obwohl ich ihnen zahlreiche Unterlagen, Erklärungen etc. nicht nur schriftlich gegeben, sondern auch alles erklärt habe.
Während meines Status-Epilepticus-Anfalls soll eine Dozentin regungslos neben mir gesessen haben, wie als würde nichts passieren (nicht mein Bericht, ich erinnere mich ja nicht, sondern Erzählung von anderen, die mir zu Hilfe eilten!). Diejenigen, die merkten, dass etwas nicht stimmte und denen ich auch die genaue Vorgehensweise bestens erklärt hatte (Wo steckt mein Notfallausweis? Wo sind meine Notfallmedikamente? Wann ruft man den Notarzt an? etc.), waren rechtzeitig da und riefen zur richtigen Zeit den Notarzt.
Meinen Master habe ich aber bekommen, die Verteidigung benötigte keine Wiederholung und meine PowerPoint-Präsentation reichte aus. Ich beendete den Master …
… doch rückblickend muss ich sagen, dass der Master ätzend war, denn Studenten in meiner Situation werden nicht nur schlecht behandelt und das von Studenten, sondern teilweise auch von Dozenten! Hinzu kommt auch, dass bei Benotungen keinerlei Rücksicht genommen wird! Wenn ich auch mal einen Grand Mal-Anfall während einer Klausur bekomme und diese in diesem Jahr die letzte eines Pflichtfachs ist, ist in der Regel keine Nachholung mehr möglich. Was kann ich für meine Krankheit? Meine Anfälle? Aber ihr könnt einen Klausurtermin kontrollieren! Und eine Klausur korrigieren!
Der Umgang mit mir war oft erniedrigend, auch privat. Überall – auch familienintern – bekam ich von (Arzt-) Geschwistern und deren Ehepartnern Vorwürfe wie „Meine Anfälle seien nicht echt!“.
Doch trotz zahlreicher Erniedrigungen, Demütigungen, fehlender Unterstützung usw. habe ich es nicht nur geschafft, meinen Master zu beenden, sondern auch meinen Konflikt mit meiner Krankheit und mir zu lösen (Krankheitsbewältigung). Ich habe neue Freunde gefunden, auch andere Epileptiker, ich habe mich und mein Leben verändert und umgekrempelt (im positiven Sinne) und das baut mich auf und gibt mir Hoffnung und Kraft für alle zukünftigen Herausforderungen!!!
Größte Einschränkung durch die Erkrankung
Die größte Einschränkung sind natürlich die Nebenwirkungen der ganzen Medikamente, die ich (leider) täglich einnehmen muss. Deswegen hoffe ich, dass ich diese nach meiner erfolgreichen OP irgendwann absetzen kann.
Auch die anfangs zu Recht große Angst, jederzeit einen Anfall bekommen zu können, war einfach immens und so hatte ich mich zu Beginn wirklich fast komplett zurückgezogen, u. a. auch wegen fehlender Unterstützung/Aufklärung. Über die Zeit wich dieses Gefühl und die Angst „Es kann jeden Moment etwas passieren!“ durch zunehmende Kenntnis und Gewohnheit.
Es tut mir aber für alle diejenigen leid, die aufgrund generalisierter Epilepsie nie die Chance haben werden, sich von Medikamenten zu lösen.
Auch diejenigen, deren OP nicht gut verlaufen ist, gehen mir unheimlich nahe. Ich habe ein paar solcher Fälle direkt vor Ort(en) miterlebt, war schockiert und habe versucht, diese halbwegs z. B. mit meinen Gedichten aufzubauen.
Als ich in China/Peking das allererste Mal durch ein MRT und ein EEG von meiner Epilepsie erfuhr, hatte ich gewaltige Probleme mit meiner Auslandskrankenversicherung! Ich war definitiv versichert und ich hatte sogar noch telefonischen Kontakt zu meiner Versicherung aufgenommen, ob sie das MRT und das EEG gleich bezahlt. Auf ein „Ja“, das selbst die internationale SOS-Klinik mitbekommen hatte, wurde mir „gestattet“, diese Untersuchungen ohne „Bares direkt auf die Hand“ durchführen zu lassen. Doch diese verflixte Versicherung hat das Geld letztendlich erst drei Wochen später an die SOS-Klinik überwiesen und dann auch noch an ein winziges Büro in Shanghai.
Ich fand das eine Unverschämtheit und bin generell entsetzt, dass (Kranken-) Versicherungen immer unheimlich schnell sind und die Hand direkt ausstrecken, sobald es um Geld geht, doch ewig brauchen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, wenn sie gebraucht werden. Sie wussten, worauf sie sich einlassen und dass in Krankenhäusern in Asien/China oft nur eine umgehende Bezahlung hilft, ist nicht neu. Das hat mich echt Nerven gekostet, da ich ständig einen Anruf bekam „Wo bleibt das Geld? Wo bleibt das Geld? Warum ist das Geld noch nicht da?“ Und die Medikamente musste ich auch alle bar vorausbezahlen und dann die Originalrechnungen zur Versicherung schicken, die erst etwas auf mein Konto zurücküberwies, nachdem sie die Original-rechnung(en) gesehen hatte! Alleine das Risiko, etwas im Wert von 150 bis 200 Euro auf dem Postweg von China nach Deutschland zu verlieren, war mir zu groß, weshalb ich alles erst verschickte, sobald ich in Deutschland zurück war!
Positives durch die Erkrankung
Ich habe neue Leidenschaften entdeckt, die ich vorher nicht an mir kannte (z. B. das Gedichteschreiben), da ich nach Möglichkeiten gesucht habe, meine schlechten Erfahrungen zu verdauen, aber gleichzeitig auch immer das positive Fazit, welches ich am Schluss zog, hervorzuheben.
Ich bin mittlerweile mental unheimlich gestärkt durch meine Epilepsie! Durch meine letztendlich definitiv (auch vom Psychologen bestätigt) überwältigten mentalen Hürden, habe ich solch eine innere Stabilität und Stärke gewonnen, dass es einfach faszinierend ist, wenn ich mich zu Beginn der Epilepsie (ein absolutes Wrack) und jetzt in der Gegenwart (ein vor Souveränität strotzender Master-Absolvent mit positiv abgeschlossener OP kurz vor Berufseinstieg) vergleiche.
Ich hoffe, dass ich somit ein Beispiel sein kann für andere Epileptiker, die mit sich und ihrem Schicksal (verständlicher Weise) tagtäglich hadern! Das Leben ist hart, gerade für uns Epileptiker, da der Vergleich von Epilepsie mit einer Geisteskrankheit und die Unwissenheit vieler Mitmenschen uns viele Steine in den Weg legen. Doch nur so und insbesondere gemeinsam schaffen wir das!!!
Negativstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie
Ich habe einige Freunde verloren, die einfach meine Krankheit nicht verstanden (obwohl ich ihnen alles mehrmals erklärt habe). Es kamen teilweise Beschimpfungen oder harte Aussagen wie „Was soll das? Gib mir doch Zeit, mich an diesen ganzen neuen Mist zu gewöhnen!“ Jedoch habe ich damals schon gedacht: „Und wer gibt mir Zeit? Kann ich die Epilepsie bitten, dass sie erst später kommen soll, wenn ich mehr über sie weiß?“
Diese Reaktionen einstiger „Freunde“ und/oder Bekannter führten zu meiner teilweise immer noch andauernden Skepsis, da mein Vertrauen immer mehr bergab ging und ich die einzige Person war, der ich eine Zeit lang wirklich komplett vertrauen konnte …
Positivstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie
Ich habe nicht nur Freunde verloren, sondern auch Freunde gewonnen (nicht nur andere Epileptiker)!
Doch vor allem die Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich während all dieser Leidenszeit gewonnen habe, sind unglaublich wertvoll.
Moritz Altenkirch
Kontakt:
moritz.altenkirch(at)googlemail.com