Zwischen Voodoo und Automedikation

Epileptologische Sprechstunde in Mome Katihoe

Epilepsiebehandlung im Hôtel Dieu von Mome Katihoe, einem ländlichen Gesundheitszentrum in Togo

 

Das Hôtel Dieu von Mome Katihoe ist ein Gesundheitszentrum in Togo, zwei Autostunden vom Meer und der Hauptstadt Lomé entfernt. In den togolesischen Gesundheitszentren, französisch „Dispensaire“ genannt, sind diplomierte Krankenschwestern und -pfleger für die grundlegende medizinische Betreuung und Vorsorge verantwortlich: Sie begleiten Geburten, behandeln akute Erkrankungen wie Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen oder Malaria und chronische Erkrankungen wie arterielle Hypertonie oder Diabetes.

 

Im Gesundheitszentrum von Mome Katihoe werden seit der Gründung 2004 zahlreiche Epilepsie-Patienten behandelt. Dieser epileptologische Schwerpunkt des Zentrums hat sich aus verschiedenen Gründen ergeben: Zum einen wird dort darauf geachtet, dass die grundlegenden Medikamente für Patienten mit chronischen Erkrankungen kontinuierlich verfügbar sind, um keine Unterbrechung der Behandlung zu riskieren. Zum anderen wurden von Beginn an die Symptome und der Verlauf der Erkrankung sorgfältig erfragt und dokumentiert, um eine optimale Diagnostik und Therapie zu garantieren. Zum dritten sind dort in regelmäßigen Abständen ein Neurologe und ein EEG verfügbar.

das schwarze Pulver der traditionellen Heiler

Praktisch wird die kontinuierliche Betreuung der Patienten durch das Stammpersonal des Gesundheitszentrums gewährleistet. Einmal im Jahr kommt eine Equipe mit Neurologen und EEG-Assistenten für zwei Wochen um bei neuen Patienten eine ausführliche Krankengeschichte zu erheben, ein EEG abzuleiten und die medikamentöse Therapie einzuleiten oder zu überprüfen

 

Das „Telefon der Steppe“, also die Mund–zu-Mund-Propaganda, führte dazu, dass wir dort Epilepsie-Patienten aus der ganzen Region, aus der Hauptstadt Lomé und auch aus den Nachbarländern Benin und Ghana behandeln.

 

Was ist in Mome Katihoe anders als in einer Epilepsie-Ambulanz im deutschsprachigen Raum? Vor allem dauert es bei Patienten im Togo sehr lange, bis nach den ersten Anfällen mit einer modernen anfallsvorbeugenden Medikation begonnen wird. Bei den Patienten in Mome Katihoe waren hier durchschnittlich neun Jahre verstrichen. Die Mehrheit der Patienten gab an, während dieser Zeit sehr zahlreiche Anfälle erlitten zu haben, durchschnittlich 50 pro Monat. Die Gründe für diese Verzögerung sind in Togo ähnlich wie in anderen Ländern des tropischen Afrikas: Spezialisierte Behandlungszentren sind rar oder schwer erreichbar. Die meisten Patienten wenden zunächst magische Praktiken an. Traditionelle Krankheitskonzepte führen zu einer Stigmatisierung von Epilepsie-Patienten und erschweren eine konsequente Behandlung:

Skarifikationen und Verbrennungsnarben weisen auf Epilepsie hin

Von unseren Patienten waren zuvor 70 % wegen ihrer Epilepsie bei „Feticheuren“. Diese traditionellen Heiler verordnen Kräuteraufgüsse, vor allem ein schwarzes Pulver, das in Nase und Mund gegeben, aber auch in Ritzungen der Haut eingerieben wird. 6 % unserer Patienten wiesen solche Ritzungen, Skarifikationen auf, während etwa Grunitzky und Kollegen im Jahr 2000 diese bei 80 % der Epilepsiepatienten in Togo beschrieben haben.

 

Einige Patienten berichten auch von Nachtwachen zu Heilzwecken und vom therapeutischen Trinken von hochprozentigem Palmschnaps oder Benzin. Einige Patienten nannten auch die volkstümlichen Namen der verwendeten Pflanzen wie z. B. Mamakadji, Cascara, Babatike, Babadjedje – die präzisen botanischen Namen dieser Pflanzen sind uns nicht bekannt.

 

Unsere Patienten verneinten eine nennenswerte Beeinflussung der Anfallsfrequenz durch diese Heilmethoden. Für manche Praktiken wie z. B. rituelle Nachtwachen berichteten sie erwartungsgemäß eine Zunahme der Anfälle.

 

Zur Frage nach einer eventuellen Wirksamkeit solcher traditioneller Methoden bei Epilepsie fehlen unseres Wissens systematische Untersuchungen. Für eine anfallsvorbeugende Wirkung verschiedener Pflanzenextrakte gibt es experimentelle Hinweise, ohne dass die Fragen von Verträglichkeit und Dosierung geklärt wären.

 

Wir haben unsere Patienten und deren Angehörige nicht explizit zu ihren Krankheitskonzepten befragt. Aus großen Untersuchungen etwa bei Schülern und Lehrern im benachbarten Burkina Faso durch Millogo und Kollegen weiß man, dass die Vorstellung von einer Übertragung der Epilepsie durch Ansteckung weit verbreitet ist. Diese Vorstellung trägt wesentlich zur Stigmatisierung von Epilepsie-Patienten im tropischen Afrika bei. Konkret führt etwa die Furcht, sich mit dem Speichel der Patienten im Anfall anzustecken dazu, dass diesen nicht geholfen wird, wenn sie im Anfall in ein Feuer fallen. In einigen afrikanischen Kulturen gelten Verbrennungsnarben daher als Erkennungszeichen von Epilepsiepatienten – Epilepsie als „die Krankheit der Leute mit den Verbrennungen“. Bei 4 % unserer Patienten fanden wir solche Verbrennungen.

Anfallskarten im Einsatz

Die Überzeugung, dass Epilepsie auf Zauberei zurückgeht und durch Körperflüssigkeiten oder Kontakt übertragbar ist, zeigte sich auch bei Untersuchungen in Tansania, Mali, Kamerun, Nigeria und Guinea.

Nur wenige unserer Patienten haben einen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Ausbildung. Frauen mit Epilepsie waren selten kinderlos aber häufiger von ihren Ehemännern auf Grund der Erkrankung verlassen worden. Kinder im schulpflichtigen Alter hatten mit Beginn der Epilepsie den Schulbesuch eingestellt, entweder auf Veranlassung ihrer Eltern oder der Lehrer. Durch die Aufklärung von Eltern und Lehrern über die Erkrankung konnten wir bei zahlreichen Kindern mit Epilepsie den Schulbesuch wieder ermöglichen.

 

Nur ein geringer Teil unserer Patienten hat die Schule besucht und spricht Französisch. Für die detaillierte Anamnese mit den zumeist Ewe sprechenden Patienten sind wir also auf eine Übersetzung angewiesen. Zum einen können hierbei wichtige Informationen verloren gehen. Zum anderen kann eine präzise Formulierung und Beschreibung von Anfallsabläufen für Menschen schwierig sein, die keine Schule besucht haben.

Andererseits sind diese Informationen für die Diagnose der Epilepsie und auch für die weitere Planung der Therapie unerlässlich. Vor diesem Hintergrund hat der Grafiker Artur Tanezer 2014 im Rahmen eines Masterprojektes an der Züricher Hochschule der Künste Anfallskarten entwickelt, um die Kommunikation über Anfälle zu erleichtern. Diese Karten zeigen typische Anfallszeichen, die von den Patienten bzw. deren Angehörigen ausgewählt werden können und somit Aufschluss über den Ablauf der Anfälle geben.

 

Während des Projektes wurden diese Karten optimiert, um Fehldeutungen zu minimieren und Anfallszeichen möglichst verlässlich wiederzuerkennen. Bei den klinischen Visiten 2015 und 2016 haben wir diese Anfallskarten verwendet und als nützlich empfunden.

Carmela Wunderlin-Bianco bei der EEG-Ableitung

Seit 2010 haben wir die Möglichkeit, im Rahmen der Sprechstunde Elektroenzephalogramme (EEG) abzuleiten. Die Geräte hierzu hat die Firma Natus gespendet. Carmela Wunderlin-Bianco, die Leiterin der EEG-Abteilung am schweizerischen Epilepsiezentrum, sorgt für eine gute Qualität der EEG-Ableitungen und bildet gleichzeitig togolesische Fachkräfte hierin aus.

 

Anfallskarten, Rekonstruktion der Anfallsabläufe und EEG dienen dazu, beim konkreten Patienten eine Epilepsiediagnose mit möglichst hoher Sicherheit stellen zu können – oder eben auch festzustellen, dass eine Epilepsie eher unwahrscheinlich ist. Etwa ein Viertel der Patienten, die sich das erste Mal vorstellen, kommen wegen Episoden oder Befindlichkeiten, die wir abschließend als eher nicht epileptisch einstuften mit der Konsequenz, dass bei diesen Patienten eine medikamentöse anfallsvorbeugende Behandlung vermieden oder beendet werden konnte.

 

Zusammenfassend geht es im Epilepsieprojekt in Mome Katihoe darum, die Diagnose der Patienten auf möglichst feste Füße zu stellen, die Therapie zu optimieren, um eine gute Verträglichkeit und eine optimale Anfallssituation zu erreichen und die soziale Stigmatisierung der Menschen mit Epilepsie in dieser Region zu beenden oder wenigstes zu lindern.

 

Als Medikament haben wir zu Beginn des Projektes fast ausschließlich Phenobarbital eingesetzt. Dieses seit 1912 verfügbare Epilepsie-Medikament ist billig und problemlos zu beschaffen. Ein wichtiges Problem bei jungen Frauen im gebärfähigen Alter ist das hohe Fehlbildungsrisiko des Phenobarbital. Bei Kindern werden die schulischen Leistungen durch die dämpfende Wirkung dieses Medikamentes häufig deutlich schlechter. Zudem besteht ein erhebliches Risiko für sehr schwere Entzugsanfälle bei plötzlichem Absetzen, etwa wenn Patienten die Medikamente ausgehen oder sie die Einnahme über einige Tage vergessen.

 

Aus diesen Gründen versuchen wir, insbesondere bei Kindern und jungen Frauen Phenobarbital zu vermeiden und stattdessen Medikamente wie Carbamazepin, Lamotrigin oder Levetiracetam einzusetzen, was uns zuletzt insbesondere durch bedeutende Medikamentenspenden zweier Firmen gelungen ist. Wir hoffen, auch in Zukunft unsere Patienten mit modernen nebenwirkungsarmen Medikamenten versorgen zu können.

 

Dr. med. Bernhard Oehl

Kontakt:

 

Dr. med. Bernhard Oehl

Ortenau Klinikum Offenburg

Weingartenstr. 70

77654 Offenburg

bernhard.oehl(at)og.ortenau-klinikum.de

 

Wer sich weiter über das Gesundheitsprojekt in Togo informieren oder auch gezielt für das dortige Epilepsieprojekt spenden möchte, findet hier weitere Informationen:

 

Togohilfe Leutesdorf e.V.

Dr. med. Bernhard Oehl

August-Bungert-Allee 8

56599 Leutesdorf

Tel.: 02631 72736

info(at)togohilfe-leutesdorf.de

www.togohilfe-leutesdorf.de

 

Bankverbindung:

VR-Bank Neuwied-Linz eG

IBAN: DE71574601170000304661

BIC: GENODED1NWD

Verwendungszweck: Epilepsieprojekt

Bilder – Quelle: Bernhard Oehl