Diagnose Epilepsie – was nun ?

Elisabeth und Peter Pless sind auf vielen Öffentlichkeitsveranstaltungen präsent
Bild – Quelle: Elisabeth Pless, Graz

Man kann sich auf die Krankheit Epilepsie nicht vorbereiten. Sie trifft einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, egal ob man plötzlich Mutter oder Vater eines epilepsiekranken Kindes ist oder als Erwachsener selbst erkrankt: Mit der Diagnose treten viele Probleme und Fragen auf: Alltagsschwierigkeiten, Ablehnung durch das Umfeld, Unsicherheit, Arztsuche, Schul- oder Arbeitsplatzprobleme, Existenzängste, Behördendschungel und vieles mehr.

 

Eigentlich habe ich eine Höhere Technische Lehranstalt (HTL) besucht und Chemie, Mikrobiologie und Wirtschaft studiert. Heute bin ich eine von vier EpilepsiefachberaterInnen in Österreich. Sie werden fragen: Wie das?

 

Mein Mann Peter und ich sind seit 30 Jahren ein Paar. Etwa 1996 klagte Peter häufig über Beklemmungen im Brustbereich. Die „Ereignisse“ nahmen über die Jahre zu und konnten medizinisch nicht geklärt werden. Herzinfarkt – jede Woche? Später kamen Erinnerungslücken und vorübergehende Verwirrtheitszustände dazu. Verdacht auf Schlaganfall – alle paar Tage? Bis dahin wussten wir nicht, dass epileptische Anfälle ganz unterschiedlich aussehen können und nicht immer mit Sturz verbunden sind.

 

2002 wurde die Diagnose Epilepsie gestellt. Im ersten Moment war dies eine Erleichterung – die Vorkommnisse hatten einen Namen –, schnell folgte aber die Ernüchterung. Die Diagnose bedeutet nicht automatisch eine erfolgreiche Therapie! Der Arzt verschrieb Tabletten, die Peter sehr (!!!) müde machten, aber an den Anfällen nichts änderten.

 

Die Epilepsie an und für sich, aber natürlich auch die vielen Anfälle waren eine große Herausforderung für uns. Wie kann Alltag trotz Epilepsie normal funktionieren? Arbeiten? Sport? Peter macht gerne Sport, fährt gerne Fahrrad (Tagestouren von 150 km) und geht gern Schwimmen. Er machte das weiter, aber ist das nicht riskant? Er ist erwachsen und kann selbst entscheiden. Ich musste erst lernen damit umzugehen und mit meiner Angst fertig zu werden. Es war ein langwieriger Prozess für mich/uns alltagstaugliche „Hilfen“ zu entwickeln.

 

Unsere Kinder waren damals 6 und 7 Jahre alt. In den Ferien stellte sich manchmal die Frage, wer passt auf wen auf – der Papa auf die Kinder oder die Kinder auf den Papa.

Anlieferung des eigenen Charity-Backbuches der Epilepsie Interessensgemeinschaft Österreich
Bild – Quelle: Elisabeth Pless, Graz

Die epileptischen Anfälle meines Mannes veränderten sich und wurden immer häufiger. Viele Untersuchungen wurden durchgeführt. Er war therapieresistent – das heißt er wurde durch Medikamente nicht anfallsfrei. 2004 spitzte sich die Situation zu. Ich musste plötzlich ins Krankenhaus – Notoperation – gleichzeitig Zufallsbefund Krebs. Tiefenvenenthrombose, Nierenteilresektion. Einmal waren Peter und ich gleichzeitig im Krankenhaus.

 

Durch meine mangelnde Mobilität hatte ich viel Zeit für Recherchen und habe viele für uns wichtige Informationen über Epilepsie zusammengetragen. Wir entschieden uns für einen epilepsiechirurgischen Eingriff. Schock. Danach konnte Peter nicht sprechen. Nicht dass er nichts gesagt hätte, nein, er hat die falschen Ausdrücke verwendet, ohne es zu merken. Zum Beispiel sagte er zur Krankenschwester „Bitte räumen sie ab“, meinte aber „Bitte drehen sie das Licht ab“. Da niemand auf seine Bitte reagierte, war er verärgert. Leider kamen solche Missverständnisse häufig vor und Peter fühlte sich von allen ignoriert. Gleichzeitig machte er auf andere den Eindruck eines Sonderlings. Ein Kreislauf, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab und so wollte er auch nicht in der Rehabilitationsklinik bleiben. Täglich bin ich nach Radkersburg gepilgert und habe ihn überredet, die Rehabilitation fortzusetzen. Die Situation war sehr ungewohnt, denn ein Eckpfeiler unserer Partnerschaft war immer, dass wir Probleme und Entscheidungen gemeinsam treffen. Plötzlich fehlte mir das Gegenüber, weil Peter die „Bodenhaftung“ verloren hatte und ich mit ihm nicht mehr diskutieren konnte.

 

Eine schwierige Zeit, in der ich vier Nervenzusammenbrüche hatte – ich habe nicht mehr eingekauft, nicht mehr gekocht und keine Wäsche mehr gewaschen. Das hat unsere damals 10-jährige Tochter übernommen – dafür hat sie keine Schulaufgaben mehr gemacht… . In der Literatur liest man öfter „Das Familiengefüge verändert sich, wenn ein Familienmitglied an Epilepsie erkrankt. Kinder übernehmen Aufgaben, die nicht ihrem Alter entsprechen“. Ich hatte keine Vorstellung, was das in der Praxis bedeutet.

 

In Zeiten der Not lernt man seine Freunde kennen, sagt der Volksmund. Unsere Nachbarn und Freunde haben unseren Kindern ein Stück Normalität gegeben und uns im Alltag zum Beispiel beim Einkaufen geholfen, denn ein Großeinkauf ohne Auto funktioniert nicht. (Das war großartig! Danke!!!) Ehrlich gesagt, ist es uns zum Teil schwer gefallen, die Hilfe anzunehmen, denn in unserer Leistungsgesellschaft schafft jeder alles selber. Oder doch nicht!?

 

Peter war insgesamt 12 Wochen auf Reha. Er hat alles wieder erlernt. Sechs Jahre war er anfallsfrei, dann ging es wieder los. Erst selten, dann vier Anfälle die Woche. Er entschied sich gegen meinen Willen, sich noch einmal operieren zu lassen. Im April 2014 war es soweit. Während seines Krankenhausaufenthaltes in Wien habe ich bei Freunden gewohnt und von Wien aus gearbeitet – Arbeit ist auch ein Teil Normalität!? Peter hat kaum geredet, nicht Radio gehört, nicht Zeitung gelesen und schließlich nicht mehr gegessen, weil er solche Migräne hatte. Auch die Ärzte waren schon sehr beunruhigt. Als ich ihn am 10. Tag besuchte, saß er plötzlich angezogen am Bettrand und meinte „Hier ist’s fad. Fahren wir nach Hause.“ Das haben wir dann auch gemacht und seither ist er anfallsfrei.

 

Was wir erlebt haben, erleben Menschen mit Epilepsie und deren Familien nur zu oft. Eine Epilepsieberatung durch eine/n Expertin/en, Professionelle Unterstützung, Infos zu Therapie, rechtliche Aspekte usw. wären sehr hilfreich für uns gewesen. Die Versorgung mit Informationen über Praktisches für den Alltag mit Epilepsie, Gespräche über unsere Ängste und Sorgen mit jemand, der mit Epilepsie Erfahrung hat, hätte manches erleichtert.

Elisabeth Pless informiert und berät – auch beim Tag der Epilepsie in Österreich
Bild – Quelle: Elisabeth Pless, Graz

Diese Erfahrung bewog uns dazu, 2005 gemeinsam mit anderen Betroffenen und deren Familien den Verein Epilepsie Interessensgemeinschaft Österreich zu gründen. Der Verein bietet regelmäßig Peerberatung (Beratung von Betroffenen für Betroffene), Gesprächsrunden, Informationsveranstaltungen und andere Aktivitäten. Außerdem wollen wir die Gesellschaft auf die Probleme von Menschen mit Epilepsie aufmerksam machen. Niemand weiß, wie das Leben mit Epilepsie abläuft, bevor er/sie es nicht erlebt hat. Wir dürfen also anderen nicht den Vorwurf machen, dass sie keine Ahnung haben, wenn wir sie nicht darüber aufklären. Dafür braucht es eine Interessensvertretung, eine starke Lobby, die sich Gehör verschaffen kann. Die eigene Betroffenheit ist dabei ein enormer Motivationsfaktor, um etwas zu bewegen.

 

Seit 2010 gibt es eine professionelle Beratung am eigens dafür gegründeten Institut für Epilepsie IfE gemeinnützige GmbH. Als Mitbegründerin bin ich dort nicht nur als Geschäftsführerin, sondern auch als Beraterin tätig.

 

Schwerpunkt der Tätigkeit des Instituts für Epilepsie ist der Arbeitsplatz. Im letzten Jahr ist die Beratung „Epilepsie und Schule“ dazugekommen. Prinzipiell kann sich aber jede/r über alles in Bezug auf Epilepsie kostenlos und anonym beraten lassen.

 

Mag.a Elisabeth Pless, Graz

 

Kontakt:

Institut für Epilepsie IfE
gemeinnützige GmbH

office(at)epilepsieundarbeit.at

www.epilepsieundarbeit.at

 

Epilepsie Interessensgemeinschaft Österreich

office(at)epilepsie‑ig.at

www.epilepsie-ig.at