Komplexbehandlung bei Kindern

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Masterarbeit „Welche Wünsche und Bedürfnisse haben Eltern von Kindern mit Epilepsie im Rahmen einer stationären Behandlung in einem Epilepsiezentrum?“

 

Der Verlauf der Epilepsie ist in der Regel nicht vorhersagbar. Demnach kann auch die Behandlung nicht vorab geplant werden und sich langwierig gestalten. In Fällen von schwer behandelbarer Epilepsie ist meist eine Komplexbehandlung in Spezialkliniken, sogenannten Epilepsiezentren, nötig. Das heißt, dass Kinder über einen bestimmten Zeitraum stationär in der Klinik sind und Fachleute verschiedenster Professionen ein umfassendes Behandlungskonzept für das Kind erarbeiten, das zuhause weitergeführt werden soll.

 

Eltern als wichtiger Baustein der Behandlung

Auch wenn der Fokus der Epilepsiebehandlung selbstverständlich auf die Patienten gerichtet ist, sollten die Eltern nicht aus dem Blickfeld geraten. Da die Behandlung nicht mit einem einmaligen Arztbesuch oder Klinikaufenthalt abgeschlossen ist, kommt der Unterstützung durch die Eltern im Alltag und bei den sich wiederholenden medizinischen Aufenthalten eine große Bedeutung zu. Neben der Förderung durch Therapiemaßnahmen sind die Eltern diejenigen, die den größten Teil an entsprechender Förderung ihres Kindes in den Alltag integrieren. In der Kommunikation und bei Entscheidungen stehen sich das Behandlungsteam, das Kind als Patient und die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes gegenüber. Um die Therapie erfolgreich mitgestalten zu können und Lebensqualität sicherzustellen, bedarf es an Informationen und Unterstützung, die über die ärztliche Sprechstunde hinausgehen. Diese müssen von den Eltern entsprechend eigenständig erschlossen werden. Für die Eltern bedeutet das eine große Herausforderung. Im Rahmen der Literaturrecherche über Belastungen von Eltern epilepsiekranker Kinder sowie deren Wünsche und Bedürfnisse fiel ein deutlicher Mangel an umfassenden und gesicherten Kenntnissen auf. Obwohl dieses Thema mit Blick auf die Versorgung der Patientenfamilien eine hohe Relevanz besitzt, ist darüber bisher wenig bekannt.

 

Im Rahmen dieser Masterarbeit wurde daher der Frage nachgegangen, welche Wünsche und Bedürfnisse Eltern epilepsiekranker Kinder im Rahmen einer stationären Komplexbehandlung in einem Epilepsiezentrum haben.

Methodik

Für das Forschungsvorgehen ist die Methodik der qualitativen (Sozial-)Forschung gewählt worden. Dazu wurden leitfadengestützte Interviews an zwei verschiedenen Epilepsiezentren durchgeführt. Davon sechs Interviews mit betroffenen Eltern und zwei weitere Interviews mit dem Fachpersonal des Zentralen Behandlungsmanagements (ZBM).

 

Anhand der Auswertung nach der qualitativen Inhaltsanalyse konnten entsprechende Einblicke gewonnen werden. Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst vorgestellt:

 

Die Schwere der Epilepsie des Kindes und die überregionalen Einzugsbereiche der Epilepsiezentren führen zu schweren sozialen Belastungen der Eltern, denen seitens der Epilepsiezentren und seitens des sozialen Umfelds der Eltern entgegengewirkt werden kann.

Lange Anreisewege und oftmals mehrwöchige Aufenthalte sind in einem Epilepsiezentrum die Regel. Dies führt zu sozialen Belastungen der Eltern: Vereinbarkeit mit der Berufstätigkeit und Versorgung der Familie zuhause müssen sichergestellt werden. Die Auswertung ergab, dass hier einerseits Informationen und Hilfestellungen der Epilepsiezentren helfen, andererseits erleichtert ein intaktes soziales Netzwerk den Umgang mit diesen Belastungen.

 

Eltern wünschen sich hinsichtlich der Organisation des Aufenthalts einen geregelten, möglichst „normalen“ Alltag.

Dieses zentrale Ergebnis war bereits in der Literatur zu finden und konnte durch die erhobenen Interviews untermauert werden. Gute Ansätze, um diesem Wunsch zu entsprechen, waren in beiden Epilepsiezentren vorhanden. Überraschenderweise zeigte sich für beide Epilepsiezentren jedoch auch das gleiche Verbesserungspotenzial, welches von den Eltern als Beispiel benannt wurde: Gemeinsame Mahlzeiten von Eltern und Kind wären ein einfacher und wichtiger Schritt in Richtung „normalem“ Alltag.

 

Es besteht ein Bedürfnis nach kompetentem Personal und professioneller Beziehungsarbeit.

Der Bedarf an hoch qualifiziertem Personal in einem Epilepsiezentrum ist offensichtlich zur Behandlung von schwerwiegenden Epilepsien notwendig. Erfreulicherweise zeigte sich in den Interviews, dass dem entsprochen wurde und Eltern ein hohes Vertrauen in die Kompetenz des Fachpersonals haben. Aufgrund eines konstanten Personalschlüssels und der langjährigen Mitarbeit vieler Fachkräfte wurde von den Eltern der hohe für sie nutzbare Erfahrungsschatz der Fachkräfte positiv hervorgehoben. Zusammen mit einer guten sozialen Beziehung zum Personal ergibt sich so für die meisten Eltern das Gefühl, in guten Händen zu sein.

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Eltern wünschen sich Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten für jede Wetterlage sowie eine Unterbringung, die Raum für Familienbesuche bietet.

Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten sollten der Jahreszeit entsprechend zur Verfügung stehen. Dementsprechend war es in dieser Erhebung ein vorherrschender Wunsch der Eltern, die zum Zeitpunkt der Interviewerhebung guten Witterungsbedingungen für Beschäftigung im Außenbereich zu nutzen. Das räumliche Angebot für Spiel und Beschäftigung in der Winterzeit wurde hingegen bemängelt. Zur Aufrechterhaltung des sozialen Systems der Familie ist zudem förderlich, wenn die Elternunterkunft so gestaltet ist, dass weitere Familienmitglieder hier übernachten können. Die Übernachtung von Familienmitgliedern wird dabei nicht dauerhaft gewünscht, sondern vor allem an Wochenenden oder in den Zeiten der Schulferien.

 

Das große Informationsbedürfnis der Eltern wird in Epilepsiezentren deutlich besser befriedigt als in den niedrigeren Versorgungsstufen.

Das Bedürfnis der Eltern nach Informations- und Beratungsangeboten war bereits in der Literatur zu finden und konnte durch die erhobenen Interviews bestätigt werden. Zwar ist auch in einem Epilepsiezentrum einiges an Eigeninitiative notwendig, um alle gewünschten Informationen zu sammeln, die Verfügbarkeit an Information im Epilepsiezentrum wurde im Vergleich zum Krankenhaus vor Ort von den Eltern jedoch als deutlich besser erlebt. Hierzu tragen nicht zuletzt die Schulungs- und Beratungsangebote teil, die von verschiedenen Berufsgruppen innerhalb der Komplexbehandlung geleistet werden. Auch die Erfahrung, die Möglichkeit zum Austausch mit anderen betroffenen (erfahrenen) Eltern zu haben, wird als sehr wichtig beschrieben. Der Wunsch, dass vermehrt Angebote zum Austausch mit anderen Eltern vorhanden sein sollten, um auch in größerer Runde in Kontakt zu kommen, wurde ersichtlich.

 

Eltern wünschen sich Entlastung durch Rückzugsmöglichkeiten, Freiräume und Gesprächsmöglichkeiten.

Der Wunsch nach mehr Zeit für sich selbst ist auch Ergebnis in bisherigen Studien. Durch entsprechende Betreuungsangebote außerhalb der Behandlungsmaßnahmen und der Übernahme von pflegerischen Tätigkeiten werden für Eltern Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten geschaffen. Die somit ermöglichte „Zeit für sich“ wird als wertvolle Entlastung und Erholung empfunden und vor allem der Wunsch geäußert, diese Zeit draußen zu verbringen. Die Interviews zeigten zudem, dass Eltern Gesprächsmöglichkeiten sowohl mit professionellen Betreuern als auch mit anderen betroffenen Eltern schätzen.

 

Insgesamt fällt auf, dass Eltern sehr überlegt und reflektiert viele Wünsche äußerten. Sie können in der Regel den Wunsch nicht nur benennen, sondern diesen auch in einen realistischen Bezug zur Umsetzbarkeit setzen. Sie haben oftmals konkrete Ideen, was geschehen könnte, um diesen Wunsch zu realisieren.

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Ausblick:

Die hier dargestellte Zusammenfassung von Ergebnissen lässt sich nicht auf alle Kinder mit Epilepsie und deren Familien verallgemeinern und bietet lediglich erste Anhaltspunkte. Da diese Untersuchung auf einem qualitativen Erhebungsansatz beruht, können keine Aussagen über Häufigkeiten und Aussagekraft der erhobenen Daten gemacht werden. An dieser Stelle wäre es spannend, aufbauend auf den Ergebnissen, mittels einer quantitativen Erhebung Informationen über die jeweiligen Häufigkeiten bestimmter Wünsche und Bedürfnisse zu gewinnen. Anhand dieser Resultate lassen sich explizitere Anstöße für eine gelingende Berücksichtigung dieser und einer guten Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachkräften finden.

 

Ein weiterer offener Punkt für zukünftige Untersuchungen sind epilepsiekranke Flüchtlingskinder, was aus einem Interview mit den Mitarbeiterinnen des ZBM hervorging. Aus soziologischer Sicht ergeben sich hier weitere Forschungsfragen hinsichtlich der Anforderungen und Wünsche, wie sie in anderen Kulturkreisen relevant sind. Aufgrund der extrem erhöhten Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen im Jahr 2015, in etwa fünfmal so viele wie im Jahr zuvor, besteht hier aktuell ein besonderer medizinischer Versorgungsbedarf. Kulturspezifische und sprachliche Aspekte müssen in der Praxis verstärkt Berücksichtigung finden. Darüber hinaus stehen die Mitarbeiter des ZBM der Epilepsiezentren vor weiteren rechtlichen und organisatorischen Herausforderungen. Diese Thematik bietet jedoch Raum für eine eigene Betrachtung und wurde in dieser Arbeit nicht vertiefend behandelt.

 

Abschließend sei noch eine Auffälligkeit in den Interviews erwähnt: Es waren hauptsächlich Mütter, die an den Klinikaufenthalten der Kinder teilnahmen. Ob diese Beobachtung auch quantitativ haltbar ist, muss natürlich zunächst bestätigt werden. Sollte dies der Fall sein, wirft es weitere spezielle Fragen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft auf.

 

Die Ergebnisse der Arbeit sollen zur Bewusstmachung der Problematik beitragen und als weiterer kleiner Schritt dienen, die Anforderungen und Wünsche der Kinder und Eltern während einer stationären Komplexbehandlung nicht aus den Augen zu verlieren.

 

Herzlichen Dank an Susanne Fey, Vorsitzende des epilepsie bundes-eltern-verbandes, welche diese Arbeit mit initiierte.

 

Zusammenfassung der Masterarbeit von
Jasmin Ruhfaut, Hochschule Nordhausen