Ein Mann und seine Stiftung

Werner Vestner war immer aktiv und ließ sich nie von seiner Erkrankung unterkriegen
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Werner Vestner meldet sich telefonisch und erzählt mir von „seiner“ Richard und Emilie Vestner Stiftung. Obwohl ich der Meinung bin, mich gut im Epilepsie-Bereich auszukennen, ist mir diese vollkommen unbekannt.

 

Wir unterhalten uns einige Minuten und ich merke, diesen Mann und seine Geschichte will ich näher kennenlernen. So verabreden wir uns einige Wochen später zu einem Gespräch in einer Nürnberger Seniorenwohnanlage, wo er seit einigen Jahren in einer eigenen Wohnung lebt.

 

Im April 2014 stürzt Werner Vestner anfallsbedingt in der U-Bahn, trägt einen Rippenbruch davon und wird Ende 2016 als Spätfolge davon operiert. Er fällt ins Koma, wacht erst einige Monate später in einer Reha-Klinik wieder auf, kämpft sich zurück ins Leben, ist aber seither motorisch eingeschränkt und teilweise auf den Rollstuhl angewiesen.

 

Epileptische Anfälle begleiten ihn immer noch täglich, wobei er alle peinlich genau in seinen eigenen Listen mit Tages-, Monats- und Jahresüberblicken erfasst. Denn für Statistiken hat er schon sein Leben lang ein Faible. Er hat große und kleine Anfälle, leichte bis schwere, wie er sagt, meist ca. 12-20 im Monat. Seine Wohnung verfügt über vier Not-fallknöpfe, so dass er schnell Hilfe rufen kann, wenn er diese mal benötigt.

 

Werner Vestner spricht bedächtig und wohlüberlegt – anfangs unterschätzt man ihn aufgrund seiner ruhigen Art. Er hat viele interessante Geschichten zu berichten. Über die Epilepsie, die sein Leben oft bestimmt hat, spricht er nicht – außer man fragt ihn direkt danach. Alles andere scheint ihm wichtiger zu sein, denn er hat sich nie von seinen Einschränkungen abhalten lassen. „Ich war immer aktiv, habe immer geschaut, was geht.“, sagt er.

 

Vor 65 Jahren wird er in Nürnberg geboren, seinen ersten Anfall bekommt er in der ersten Klasse. Die Rektorin, deren Sohn ebenfalls Epilepsie hat, sensibilisiert die Eltern für die Erkrankung. „Meine Mitschüler wussten danach Bescheid – und ich auch“, beschreibt er das ganz einfach. Während der Pubertät bleiben seine Anfälle aus, flammen danach aber wieder auf.

 

Er bewirbt sich um drei Lehrstellen, bei allen schneidet er beim Einstellungstest gut bis sehr gut ab, bekommt sowohl von der AOK, der Stadt Nürnberg als auch der Sparkasse Nürnberg ein Angebot. Er entscheidet sich für die Bank, beginnt seine Ausbildung zum Bürokaufmann im September 1971 und absolviert drei Jahre später als zweitbester Lehrling in Bayern seine Prüfung.

 

Aufgrund seiner Epilepsie bekommt er zuerst nur einen sechs Monate befristeten Anstellungsvertrag, der aber wegen guter Leistungen zu einer Festanstellung umgewandelt wird. Er arbeitet in verschiedenen Abteilungen im Innendienst, wird selbst Ausbilder, geht immer offen mit der Erkrankung um und wird deshalb 1986 als Behindertenbeirat gewählt. Nach 41 Jahren bei der Sparkasse geht Werner Vestner in Rente. Aber auch danach bleibt er seinen Kollegen verbunden, denn seit 1980 organisiert er die jährlichen Treffen der Sparkassen-Azubis – auch der Termin für 2021 steht bereits fest.

Sport und Ehrenamt, das waren wichtige Stützpfeiler in Werner Vestners Leben

In seiner Freizeit ist er ebenfalls sehr aktiv – auch ehrenamtlich. Er kommt 1975 zur Versehrten-Sport-Abteilung (VSA) im TV Fürth 1860. Er kegelt, spielt Tischtennis, macht Gymnastik – nur auf das angebotene Schwimmen verzichtet er „aufgrund des Risikos für den Übungsleiter, wenn mir etwas passiert“.

 

1986 wird er zum Schriftführer der Abteilung gewählt. Er organisiert Ausflüge, Karten- und Kegelturniere auf Stadt- und auf Bezirksebene, nimmt im Tischtennis an mittelfränkischen, bayerischen und deutschen Meisterschaften im Versehrtensport teil. 1996 wird er erster Vorstand und leitete die Geschicke der Abteilung bis zu deren Auflösung im Jahr 2009.

Aber Ruhe und Nichtstun sind nichts für den umtriebigen Senioren und so schaut er sich nach weiteren Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung um. Auf der Seniorenmesse „inviva“ wird er fündig und wird Stadtführer beim Seniorenrathaus in Nürnberg, bis ihn die OP und das anschließende Koma ausbremsen.

 

Ob er nie Schwierigkeiten hatte, weil er manches aufgrund der Epilepsie nicht durfte, frage ich ihn. „Nachdem ich es von Kindheit her kannte, kam es mir nicht als Einschränkung vor, dass ich nicht rauche, keinen Alkohol trinke und keinen Führerschein habe“, antwortet er ganz lapidar.

 

Auch auf die Frage nach einem negativen Erlebnis mit Epilepsie fällt ihm nichts ein. Er sei einfach damit aufgewachsen, habe es einfach gehabt und sei immer zufrieden mit seinem Leben gewesen. Und wenn ich mir seine Erzählungen so anhöre, glaube ich ihm das aufs Wort.

 

Auf seinen privaten Bereich wirkt sich die Erkrankung dennoch stark aus. Er lässt sich auf keine Beziehung ein, bleibt Junggeselle und bei seinen Eltern leben. Seine Mutter verstirbt 1996, sein Vater 2012. Seine Schwester sorgt dafür, dass er aus dem Elternhaus ausziehen muss. Zu ihr hat er seither nur noch schriftlichen Kontakt, obwohl ihr Sohn sein Patenkind ist.

 

Danach überlegt sich Werner Vestner, was nach seinem Tod mit seinem Angesparten passieren soll. Er will keinen Streit der Angehörigen um das Erbe und informiert sich bei den Stiftertagen in Nürnberg über diese Form, seinen Nachlass zu regeln. So entsteht die Idee zur Gründung einer eigenen Stiftung, die er im Januar 2013 unter dem Dach der Stiftergemeinschaft der Sparkasse Nürnberg ansiedelt. Auch seine eigene Wohnung und alles, was er noch besitzt, werden nach seinem Ableben dorthin überführt.

 

Im Andenken an seine Eltern Emilie und Richard, die sich das ganze Leben um ihn gekümmert haben, benennt er die Stiftung nach ihnen. „Ich wollte keine Lobhudelei auf mich selbst“, sagt er. Nein, das liegt ihm wirklich nicht...

 

Als Stiftungszweck bestimmt er die Förderung der Erforschung der Krankheit und deren Behandlung am Epilepsiezentrum der Universitätsklinik Erlangen – aus einem ganz einfachen Grund:

Das Schicksal einer Schildkröte entschied über den Stiftungszweck
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Auf dem Schulweg findet der kleine Werner 1962 eine Schildkröte, die er bei seinem Auszug aus dem Elternhaus 2012 – nach über 50 Jahren! – abgeben muss. Ein Züchter nimmt sie auf, nachdem der Tiergarten Nürnberg diese nicht haben will. Deshalb entscheidet sich Werner Vestner gegen den Tiergarten und für das Epilepsiezentrum in Erlangen.

 

Auch diese Geschichte passt zu ihm!

 

Doris Wittig-Moßner