Essen gegen Anfälle

Antje Böhme, Diätassistentin im Epilepsiezentrum Kleinwachau, und Patient Wolfgang Suchner probieren gemeinsam in der Lehrküche schmackhafte Rezepte aus
© Epilepsiezentrum Kleinwachau

Können Ketogene Ernährungstherapien auch bei Erwachsenen helfen?

 

Dass Ketogene Ernährungstherapie (KET) bei Kindern mit einer therapieschwierigen Epilepsie helfen kann, ist schon lange bekannt. Genauer gesagt seit fast 100 Jahren. 1921 wurde diese Form als alternative Therapie etabliert und erlebt seitdem ein kleines Auf und Ab in der Wertigkeit, immer abhängig von den Entwicklungen neuer Medikamente.

 

Mittlerweile gibt es aber einen deutlichen Anstieg der Nachfrage, vor allem bei erwachsenen Patienten. Warum ist das so? Zum einen sicherlich, weil der Patient heutzutage seinen Medikamentenplan mehr hinterfragt. Zum anderen möchte er gerne selbst handeln, aktiv  etwas für seine Gesundheit tun und zur Therapie beitragen. Diese möglichen Gründe führen dazu, dass es vermehrt Anfragen von Erwachsenen gibt, die sich für alternative Therapien wie z. B. für die KET interessieren. Hinzu kommt sicherlich auch der Medienrummel um Low Carb und Ketogene Diät als Life-style-Trends.

 

Bei der Ketogenen Ernährungstherapie für Erwachsene (Modifizierte Atkins-Diät) wird die Kohlenhydratzufuhr auf 10 bis maximal 30 g pro Tag gesenkt. Die tägliche Eiweißmenge pro Tag ist von Alter, Geschlecht und Energiebedarf abhängig. Der Rest der Kalorien wird mittels Fett gedeckt. Das entspricht in etwa einer Fettmenge von 60 % der  Gesamtenergie. Das ist im Schnitt doppelt so viel wie von der DGE (Deutschen Gesellschaft für Ernährung) empfohlen. Aber in dieser Therapieform ist das Fett essenziell. Aus dem Fett kann der Körper die Ketonkörper herstellen, die für die Umstellung des Energiestoffwechsels im Gehirn notwendig sind.


Wie sieht die Therapie in der Praxis aus? Bei der Kohlenhydratberechnung werden alle verwertbaren Kohlenhydrate in der Nahrung berücksichtig, sprich Kartoffeln, Obst, Nudeln, Reis und Gemüse gibt es nur noch in kleinen Mengen.  Alternativ zum Brot aus herkömmlichem Getreide wird das „KET-Brot“ aus Nussmehlen, Soja-, Lein- oder Kokosmehl hergestellt. Mittlerweile gibt es auch einige Hersteller, die Brot fertig gebacken oder Backmischungen anbieten. Aber man kann es natürlich auch selbst zubereiten.

Ohne Rechnen und genügend Zeit für die Zubereitung geht es bei der KET nicht
© Epilepsiezentrum Kleinwachau

Wie die Speisen mit viel Fett und wenig Gemüse trotzdem schmackhaft zubereitet werden können, muss man natürlich erst einmal lernen. Auch das grammgenaue Abwiegen zählt dazu. Dafür kommen die Patienten zwei bis drei Wochen zu uns in die Klinik und lernen den Umgang mit der Ketogenen Küche ganz praktisch in der Lehrküche. Es steht Montag-Freitag täglich Lehrküche auf dem Plan. Zusätzlich gibt es theoretische Beratungen zu verschiedenen Themen wie Umgang mit versteckten Kohlenhydraten (Medikamente, Süßstoffe/Zuckeralternativen, Restaurant, Urlaub), Einkauf und natürlich die Grundprinzipien sowie Wirkmechanismus der KET.

 

Neben der Ernährungstherapie erfahren unsere Patienten im Rahmen der Komplexbehandlung weitere Therapieangebote wie z. B. psychologische Betreuung, Sozialmedizin, Gedächtnisgruppe, Physiotherapie.

 

Wenn die Einleitung der KET erfolgreich abgeschlossen ist, gehen die Betroffenen heim und kommen nach ca. vier Monaten zur Verlaufskontrolle wieder. Dann wird gemeinsam mit Arzt, Patient und Ernährungstherapie entschieden, ob die Therapie erfolgreich ist und fortgesetzt wird oder ob diese beendet wird.

 

In Kleinwachau haben wir uns bewusst für eine Testphase von vier Monaten entschieden, weil unsere Erfahrung gezeigt hat, dass Erwachsene mit einer schwer behandelbaren Epilepsie teilweise länger als drei Monate benötigen, um einen ersten Erfolg zu sehen. Das liegt am Alter der Patienten, an der Dauer der Epilepsie-Erkrankung und an der meist großen Anzahl der vorher eingesetzten Medikamente. Wir betreuen einige Betroffene, die einen sichtbaren Erfolg erst nach acht Monaten erkennen konnten. So eine lange Testphase wäre aber für die meisten Patienten nicht tolerierbar.

 

Wenn die Patienten zuhause sind, kommen meist die ersten Fragen. Hier stehen wir ihnen natürlich weiterhin zur Seite. Sie bleiben meist telefonisch oder über E-Mail mit uns in Kontakt.

Fett ist ein essenzieller Bestandteil dieser Ernährungsform
© Epilepsiezentrum Kleinwachau

Ist es eine große Umstellung für Betroffene? Ja. Im Vergleich zu Kindern ist das Ernährungsverhalten bei Erwachsenen bereits mehr gefestigt. Dann ist eine Veränderung immer anstrengender für den Patienten. Oft fällt es schwer, die Kohlenhydrate so stark einzuschränken. Selbst den Salat abzuwiegen oder die Milch im Kaffee zu berechnen, ist für die meisten eine Überwindung. Aber lässt sich der Patient darauf ein, stellt er nach den drei Wochen oft fest, dass doch mehr möglich ist, als anfangs gedacht. Zauberwort ist hier Kreativität. Spannend ist auch, dass Patienten, die die Therapie zwei Jahre und länger durchführen, dann genauso wieder Probleme haben, die Kohlenhydratmenge zu erhöhen. Daran sieht man deutlich, dass es rein um die Gewohnheit geht.

 

Hilft die Therapie jedem? Nein. Wie bei allen anderen Therapieoptionen bei Epilepsie kann nie mit Gewissheit ein Erfolg garantiert werden. Manchmal bestimmen auch äußere Umstände (z. B. Wohnen im Wohnheim, keine eigene Küche) darüber, dass die KET gar nicht umgesetzt werden kann.

 

Wie kann diese Diät durchgehalten werden? Hier gibt es leider kein Erfolgsrezept. Aber empfehlenswert ist die Auseinandersetzung mit der Diät im Vorfeld. Mindestens ein Aufklärungsgespräch sollte vor Beginn der Diät erfolgen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Diät besser durchgehalten wird, wenn die Patienten genügend Zeit hatten, sich vorzubereiten. Erfolgt die Einstellung zu schnell, weil es terminlich nicht anders geht oder der Betroffene selbst den Umfang unterschätzt, endet dies in den meisten Fällen mit einem vorzeitigen Abbruch. Wir bitten unsere Patienten zusätzlich um einen Fragebogen und ein Ernährungsprotokoll. Damit können wir die KET besser an den Patienten individuell anpassen und z. B. Lieblingsspeisen ketogen kreieren oder auch die Mahlzeitenfolge individuell anpassen. So kann sich der Patient noch besser mit der neuen Form der Ernährung identifizieren.

 

Nicht zu unterschätzen ist auch der Rückhalt im heimischen Umfeld: Familie, Freunde, Hausarzt, Krankenkasse, Apotheke, Schule, Arbeitgeber. Je mehr der Betroffene auf Gegenwehr oder Skepsis trifft, desto mehr Zweifel werden auch bei ihm selbst kommen oder seine Kräfte, die er für die Umsetzung der Therapie benötigt, schwinden. Daher wäre eine Aufklärung in diesem     Bereich generell wünschenswert.

 

Eine Patientin, die in Kleinwachau auf die Modifizierte Atkins-Diät eingestellt wurde, hat ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht und diese in Form eines Gedichtes zusammengetragen:

Meine Erfahrungen mit der Ketogenen Diät

Es war nicht mehr okay mein Leben
und mir war klar, ich muss ihm eine Wende geben.
Die Epilepsie hat meine Familie und mich terrorisiert 
und diese Situation haben wir jetzt korrigiert.

 

Ich erfuhr von der Ketogenen Diät,
bei der sich eine Menge um Fette dreht. 
Der Arzt war skeptisch wegen der Familiensituation.
Doch ich meinte ganz locker: „Ich schaffe das schon!“

 

Arztgespräche, Untersuchungen, Ernährungsprotokoll
- war viel zu tun und ich fand es nicht so toll. 
Vorneweg stellt man sich natürlich so manche Fragen: 
Schaffe ich das wirklich? Wird mich die Epilepsie weiter plagen?

 

Aber mit Medikamenten wollte es mir einfach nicht besser gehen
und nun ernähre ich mich seit mehreren Monaten ketogen.

Die Einstellung verlief ganz nach Plan.

Mein Körper nahm die Speisen gut an.

Und da ich beim Kochen gern kreativ bin, 
bekomme ich ganz leckere Gerichte hin.

 

Zugegeben es ist viel Rechnerei, 
aber auch eine Menge Spaß dabei.
Zugegeben der Zeitaufwand ist nicht zu verachten, 
aber dafür erste Erfolge im Anfallskalender zu betrachten.
Zugegeben die Finanzen, die vorher schon wenig waren, 
werden sich nicht vermehren in den ketogenen Jahren. 
(Aber das liegt wahrscheinlich nur daran, weil man wieder mehr unternehmen kann).

 

Die speziellen Produkte findet man im Laden manchmal nur mit Glück
und greift daher oft auf die Option „Internetversandhandel“ zurück.

 

Trotz allem: Die Ketogene Diät ist machbar, schmeckt und macht satt. 
Auch wenn man nicht viel auf seinem Teller hat. ;-)

 

Lässt man sich auf diese Art der Ernährung ein, 
wird die Lebensqualität wieder besser sein. 
Man fühlt sich jetzt motiviert und wach 
und klagt nicht länger über sein eigenes Ach. 
Gut, es passiert nicht von heut’ auf morgen, 
doch der Kummer und all’ die Sorgen 
werden weniger und ihr werdet sehen:
Man wird unbeschwerter durchs Leben gehen.

 

Antje Böhme

 

Kontakt:

Antje Böhme

Diätassistentin & Ernährungsberaterin/DGE

Psychosozialer Dienst

Fachklinik für Neurologie

Epilepsiezentrum Kleinwachau gGmbH

Wachauer Straße 30

01454 Radeberg

Tel.: 03528 4311590

a.boehme(at)kleinwachau.de

www.kleinwachau.de