Dravet – das (un-)bekannte Syndrom

Eines der Großprojekte des Vereins: Die jährliche Familienkonferenz, bei der Fachvorträge und Erfahrungsaustausch betroffener Familien im Mittelpunkt stehen. Pandemiebedingt fand die letzte Ausgabe 2019 statt, für April 2023 ist die nächste geplant.
© Sabine Brand

Das Dravet-Syndrom ist ein seltenes, genetisch bedingtes Epilepsie-Syndrom (auch genannt: schwere frühkindliche myoklonische Epilepsie des Kleinkind-alters) und gilt als schwer behandelbar.

 

Die Häufigkeit der Erkrankung wird auf 1:15.000 geschätzt. Benannt wurde sie nach der französischen Psychiaterin und Epileptologin Charlotte Dravet, die das Syndrom im Jahr 1978 erstmals unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten beschrieb und abgrenzte. Typischerweise kommt es bei einem zunächst gesunden Kind im ersten Lebensjahr zwischen dem 3. und 9. Lebensmonat zu ersten epileptischen Anfällen (häufig in der Badewanne) – meist fiebergebunden, aber nicht immer. Dravet-Kinder zeigen alle Anfallsformen – von generalisiert bis fokal. Es können alle Anfallsarten auch in Kombination auftreten. Die Frequenz der Anfälle nimmt im Erwachsenenalter tendenziell ab.

 

Genetik

Nur in 10 % der Fälle wird eine Vererbung durch ein Elternteil festgestellt, in 90 % liegt eine Spontanmutation vor, d. h. eine zufällige neue, nicht vererbte genetische Variante. Bei ca. 85 % der klinisch diagnostizierten Betroffenen lässt sich mit einem molekulargenetischen Verfahren eine Mutation im SCN1a-Gen nachweisen.

 

Diagnose und Symptome

  • schwere Krampfanfälle, die besonders in Verbindung mit Fieber schlecht zu durchbrechen sind
  • wechselnde Anfallsarten
  • nur schwer bis gar nicht mit Medikamenten einstellbar

Verlauf und Prognose

Das Spektrum innerhalb des Dravet-Syndroms ist sehr groß und der Verlauf individuell. Die Entwicklung des Kindes zeigt sich in der Regel bis zu Beginn der Erkrankung normal, danach verlangsamt sich diese psychomotorisch in den meisten Fällen. Besonders fällt hier die Sprache und das oft sehr auffällige Gangbild mit nach außen gerichteten Fußspitzen auf. Die Prognose hinsichtlich der kognitiven Fortschritte und Anfallshäufigkeit ist sehr unterschiedlich. In der Mehrzahl der Fälle ist der Verlauf eher ungünstig und führt zu einer mittleren oder schweren geistigen Behinderung. Allerdings gibt es auch vermehrt bessere Verläufe – oftmals auch durch die neueren medikamentösen Therapien. Leider heißt „medikamentös gut eingestellt“ für die Epilepsie des Dravet-Syndroms nicht, dass daraus eine normale Entwicklung resultiert. Lern- und Verhaltensschwierigkeiten sowie motorische Auffälligkeiten bleiben.

 

Anfallsauslöser

Der häufigste Anfallsauslöser bei kleinen Kindern ist eine rasche Veränderung der Körpertemperatur – auch wenn diese gering ist, die Veränderung muss nur sehr schnell vonstattengehen. Die Anfallsbereitschaft wird u. a. durch Infektionen (mit und ohne Fieber), Wärme, Badewassertemperaturen über ca. 37°C, Überanstrengung (Auslöser wahrscheinlich Anstieg der Körpertemperatur), Fotosensibilität (z. B. Lichtreflexe), körperliche Belastung, Emotionen (Freude/Wut/Aufregung), Übermüdung und Schlafmangel erhöht.

 

Begleitsymptome

Kinder mit einem Dravet-Syndrom leiden oft auch an zusätzlichen Symptomen: z. B. Verhaltensauffälligkeiten, Wahrnehmungs- und Lernstörungen, hyperaktive (ADHS) oder autistische Züge (ASS), Demenz, oft verzögerte Sprachentwicklung, Störungen des Schlafs und der Motorik. Nicht alle Symptome treten bei jedem Kind in Erscheinung und können sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

 

Therapie

Das Dravet-Syndrom ist eine therapieschwierige bis therapieresistente Epilepsie. Die Auswahl der Medikamente ist begrenzt. Häufig wird eine Kombinationstherapie von mehreren Wirkstoffen benötigt. Anfallsfreiheit ist dabei schwer erreichbar, so dass der Nutzen einer Dosissteigerung immer gut abgewogen werden sollte (auch im Hinblick auf eventuell stärkere Nebenwirkungen). Bei der medikamentösen Behandlung ist ein großes Durchhaltevermögen gefragt.

 

Durch die anhaltenden Anfälle besteht auch ein erhöhtes Sterberisiko, das SUDEP-Risiko beträgt bis zu 15 %. (SUDEP = plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie; engl. Sudden Unexpected Death in Epilepsy Patients – weitere Infos: www.sudep.de).

 

Elterninitiative

Die Suche nach einer optimalen medizinischen Betreuung und Therapie, nach Hilfsmitteln sowie die 24/7-Überwachung und die damit verbundene Angst um das Kind sind einige der Hürden, die Familien mit einem Dravet-Kind meistern müssen. Deshalb haben sich betroffene Eltern zu einem Verband zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Lebenssituation der „Dravets“ und deren Umfeld zu verbessern.

 

Beginn war 2006 mit einem Internetforum als eine der ersten Anlaufstellen, um andere Betroffene kennenzulernen. 2010 fand das erste große Dravet-Familientreffen in Berlin statt. Beim zweiten großen Familientreffen 2011 in Tübingen entstand die Idee, einen eigenen Verein zu gründen, der sich für die Belange Dravet-Betroffener einsetzt und eine Anlaufstelle für Angehörige sowie Interessierte sein sollte.

 

Am 23. Januar 2012 wurde schließlich der gemeinnützige Verein „Dravet-Syndrom e.V.“ gegründet. Seit dem 12. Juni 2014 ist Wigald Boning dessen offizieller Schirmherr und unterstützt ihn sehr engagiert. Ebenfalls 2014 gründete sich aus dem Zusammenschluss europäischer Dravet-Vereine die Dravet Syndrome European Foundation (DSEF). Der Dravet-Syndrom e.V. agiert deutschlandweit und ist seither stetig gewachsen. Die über 200 Mitglieder setzen sich hauptsächlich aus Familien mit betroffenem Kind zusammen.

Gespannte Zuhörer bei den Fachvorträgen der Familienkonferenz 2019 in Frankfurt
© Sabine Brand

Wichtige Vereinsprojekte

Die Familienkonferenz, als ein wiederkehrendes Großprojekt des Vereins, findet alle zwei Jahre an einem Wochenende statt, zuletzt pandemiebedingt im Jahr 2019. Die Konferenz umfasst Fachvorträge, die Vorstellung von Studien und deren Ergebnisse sowie den privaten Austausch der Familien. Inhaltlich wendet sich diese vor allem an Eltern betroffener Kinder, steht aber auch Personen offen, die privat oder beruflich mit dieser Erkrankung zu tun haben. Die nächste Familienkonferenz ist für Ende April 2023 geplant. Anmeldungen sind voraussichtlich ab Anfang 2023 möglich.

 

Sowohl der Dravet-Syndrom e.V. als auch die DSEF initiieren oder beteiligen sich zudem aktiv an der Erforschung des Syndroms. Dies geschieht vor allem durch die Co-Finanzierung von Forschungsprojekten. Hierbei geht es um Erforschung der Pathogenese, also der Entstehung und des Verlaufs der Krankheit, aber auch um die Begleitsymptome und neuer therapeutischer Ansätze.

 

Ein solches Vorhaben konnte im laufenden Jahr auf den Weg gebracht werden: Das zweijährige Forschungsprojekt um Dr. Ulrike Hedrich-Klimosch ist mit einem Zuschuss in Höhe von insgesamt EUR 125.000 dotiert. Das Projektteam forscht am Hertie Institut für klinische Hirnforschung (HIH) am Universitätsklinikum Tübingen und untersucht den Mechanismus in der Pathophysiologie des Dravet-Syndroms, nämlich der genauen Betrachtung der Interaktionen zwischen unterschiedlichen Zelltypen im Gehirn und inwiefern interagierende Zellarten vom Gendefekt betroffen sind und welche Auswirkungen dies hat.

 

Dieses Projekt hat das Potenzial, das Verständnis für das Dravet-Syndrom erheblich zu verbessern und eine breite Palette künftiger Studien zu unterstützen.

 

Der Verein finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und vor allem durch Spenden. Jeder Euro zählt, um der Therapierbarkeit des Dravet-Syndroms näher zu kommen.

Silke Flege, Melanie Gartzke

Dravet-Syndrom e.V.

Kontakt:
Dravet-Syndrom e.V.
Friesstraße 20
60388 Frankfurt am Main
info(at)dravet.de

www.dravet.de
Facebook: @dravet.de
Instagram: @dravet_syndrom_deutschland