Anne Fadimann: Der Geist packt dich und du stürzt zu Boden

Ein Hmong - Kind, seine westlichen Ärzte und der Zusammenprall zweier Kulturen

Berlin Verlag

ISBN 3-8270-0336-9

Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich dieses Buch gelesen habe. Es ist mir immer noch ganz nah. Die amerikanische Journalistin Anne Fadimann hat fast 10 Jahre lang am Schicksal einer laotischen Einwanderungsfamilie teilgenommen und dann dieses Buch geschrieben. Familie Lee, die Vertreibung und unmenschliche Bedingungen überlebt hat, kam 1980 in die USA, als Folge des Vietmamkrieges, in dem das laotische Bergvolk der Hmong auf Seiten der Amerikaner sich an diesem Krieg beteiligt hatte.

Lia, das vierzehnte Kind der Familie Lee wurde im kalifornischen Merced geboren. Im Alter von 3 Monaten kam der Geist Dab, packte Lia und sie stürzte zu Boden. Der Geist Dab, der dem Menschen die Seele raubt ist auch gefährlich - er kann die Seele rauben und nicht wieder frei geben. Die ersten epileptischen Anfälle werden in der Klinik nicht erkannt. Die Verständigung war schwierig, es gibt keinen Dolmetscher, die Eltern sprechen kein amerikanisch. Als dann die Diagnose Epilepsie steht, gibt es für die Eltern keinen Zweifel: Epilepsie die Krankheit, die den Menschen zu Schamanen macht. Die Eltern sind sicher: Lia ist eine Auserwählte, eine Gesalbte. Sie wird am meisten geliebt von all ihren Kindern, sie tun alles für Lee.

Die Ärzte tun auch alles für Lee... .
Traurige Schilderungen nehmen ihren Lauf. Wir lesen von wechselnden Medikamenten, hoher Dosierung , Kindesentzug, von Tieropfern, Gebeten, Riten .. . Was hat Vorrang -die Seele oder das Leben ?

Dieses Buch ist ein Dokument über das Verhältnis Arzt - Patient vor dem Hintergrund ei- ner fremden Kultur. Hier findet der Zusammenprall zweier Kulturen statt - das Nichtverstehen, das Missverstehen und das Nichtverstehen-wollen, weil das Fremde so sehr der eigenen Kultur und dem eigenen Verstehen widerspricht. Ärzte, die diese Gesellschaftstruktur missachten, weil auch sie diesem Kind helfen wollen, mit westlich erprobter Medizin oder westlicher Überlegenheit? Ist es besser - sind sie wirklich überlegen? Beide Seiten bemühen sich um Lee, Lee verliert. Sie ist heute eine Koma-Patientin, von den Eltern bis an die Grenzen der Belastbarkeit gepflegt.

Weltweit wird es viele Familien wie die Lee's geben. Muss man voraussetzen, dass sich in unserer multikulturellen Gesellschaft jeder in der Kultur des anderen zurecht findet - auskennt? Muss/sollte ein Arzt sich "Hilfe" holen, wenn ein Kind/Patient anderer Herkunft, anderer Religion als die eigene ihm anvertraut wird. Welche seelische Not und Leid kann es mit sich bringen, verwurzelt zu sein in einer anderen Kultur, als in der westlichen und dann hier auf ärztliche Versorgung, wie im Fall der Familie Lee, angewiesen zu sein. Nicht die Erkrankung war für die Familie, insbesondere für die Mutter, die Krise, sondern die Behandlung des Kindes. Es wurde gegen alle Tabus verstoßen, die den Eltern heilig waren - und auch nur, um dem Kind die medizinische Betreuung angedeihen zu lassen, die der westliche Standard anbietet.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt in ihrer Rezension, dass dieses Buch ein Plädoyer für eine interkulturelle Medizin ist, in der westliche Ärzte und Schamanen sich versöhnlich am Krankenbett zusammenfinden. Ein Wunsch, dem nichts hinzuzufügen ist.

Dieses ist ein unbedingt lesenswertes Buch, flüssig und spannend geschrieben. Ich wünsche ihm viele Leser. Es ist erfreulich, dass ein Buch, in dem es unter anderem um Epilepsie geht, bereits in der öffentlichen Presse (Die ZEIT, Süddeutsche Zeitung, FAZ) so viel Interesse und Anerkennung gefunden hat. Vielleicht gibt es uns die Chance, wieder mal über denn westlichen Tellerrand hinweg zu schauen. Nachzudenken über Toleranz und Integration anderer Länder in unserer westlichen Welt. Ich werde dieses Buch sicherlich noch einmal lesen.