Medizinische Aspekte

Definition von Epilepsie

Der epileptische Anfall (Krampfanfall) ist eine Funktionsstörung des Gehirns, die plötzlich auftritt und sich durch Phänomene des motorischen, sensiblen, sensorischen,

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vegetativen und psychischen Bereichs in unterschiedlicher Kombination äußert. Je nachdem, welcher Teil des Gehirns an der epileptischen Reaktion teilnimmt, haben die Anfälle unterschiedliches Aussehen. Sie können bei jedem Menschen zu jeder Zeit auftreten. Sind diese Störungen nur vorübergehend (ausgelöst z. B. durch Fieber, Hirnhautentzündung, Schlafentzug), bezeichnet man sie als „Gelegenheitsanfälle“. Treten mehrere Anfälle ohne erkennbare äußere Auslöser auf, so spricht man von einer Epilepsie.

 

Häufigkeit von Epilepsien

Epilepsien sind die häufigste neurologische Erkrankung. Etwa 1 % der Bevölkerung hat eine aktive Epilepsie, jeder 10. Mensch erlebt bis zu seinem 80. Lebensjahr einmal einen epileptischen Anfall. Neuerkrankungen können in jedem Lebensalter auftreten, besonders häufig aber im Kindes- und Jugendalter und bei älteren Menschen. Im höheren Lebensalter ist eine Epilepsie nicht so einfach zu diagnostizieren, da die Symptome leicht mit Abbauerscheinungen, kleinen Schlaganfällen oder Demenz verwechselt werden können. 

Einteilung der Epilepsien

Es gibt zwei Möglichkeiten, Epilepsien zu klassifizieren. Zum einen nach ihrer Ursache:

  • Symptomatisch/Strukturell-metabolisch: Die Ursache der Epilepsie ist bekannt, z. B. Hirnverletzung, Schlaganfall, Stoffwechselstörung. 
  • Idiopathisch/Genetisch: Die Ursache der Epilepsie ist (vermutlich) genetisch bedingt.
  • Kryptogen/Ungeklärt: Es kann nach heutigem Wissen keine Ursache gefunden werden, es wird jedoch eine symptomatische Epilepsie vermutet.

Zum anderen nach dem Erscheinungsbild der Anfälle, wobei man zwei Gruppen von Anfallsformen unterscheidet:

  •  Generalisierte Anfälle (= das ganze Gehirn ist beteiligt)
  •  Fokale/partielle Anfälle (= nur ein bzw. mehrere Teile des Gehirns sind betroffen)


Generalisierte Anfälle

Grand mal-Anfall

Bekannteste, aber nicht häufigste Anfallsform, die in mehreren Phasen verläuft, die auch teilweise übersprungen werden können.

 

  • Aura: Manche Menschen verspüren ein (meist unbestimmtes) Vorgefühl von unterschiedlicher Dauer.
  • Tonische Phase: Sämtliche Muskeln versteifen sich gleichzeitig. Die Person ist bewusstlos. Da beim Sturz die Abwehrreaktionen fehlen, kann es zu schweren Verletzungen kommen. Dauer: Sekundenbruchteile bis Sekunden.
  • Atonische Phase: Statt der Tonuserhöhung (= Erhöhung der Muskelspannung) kann es auch zum Tonusverlust kommen, d. h. der Betroffene wird schlaff, bewusstlos und atmet nicht.
  •  Klonische Phase: Es kommt zu rhythmischen Zuckungen an allen Gliedmaßen. Auch die Zunge kann beteiligt sein, wodurch Schaum (Speichel) vor den Mund treten kann. Da die Atemmuskulatur nicht ausreichend einsetzt, kann Blaufärbung von Lippen und Gesicht auftreten. Dauer: Sekunden bis ca. 3 Minuten. Der einzelne Anfall hört in der Regel ohne äußeres Zutun von selbst wieder auf.
  •  Erholungsphase: Die meisten Menschen schlafen nach dem Anfall, manche nur einige Minuten, andere ein paar Stunden. Bei älteren Menschen kann die Phase nach einem Anfall auch länger dauern und mit neurologischen Ausfallerscheinungen einhergehen.

Absence

Kurze Bewusstseinspause, bei der der Betroffene in seiner Handlung verharrt, einen starren Blick bekommt, eventuell nach oben schaut, mit den Lidern blinzelt. Dauer: gewöhnlich nur ein paar Sekunden (= „Hans Guck-in-die-Luft“). Der Anfall beginnt plötzlich und endet ganz abrupt. Diese Anfälle können sehr häufig am Tag in Serien auftreten, manchmal hundertmal oder mehr. Die Personen haben für die Dauer des Anfalls kein Bewusstsein, können jedoch automatische Dinge weiter ausführen 
(z. B. Radfahren, Laufen).

 

Myoklonischer Anfall

Kurze, vereinzelte, plötzlich einschießende Zuckung von Armen, anderen Körperteilen oder auch vom ganzen Körper. Bei solch einer abrupt auftretenden Zuckung kann z. B. das Handy durch den Raum fliegen.

Fokaler (partieller) Anfall

Einfach-fokaler Anfall

Eine bestimmte Stelle/Region (= Fokus) im Gehirn ist in ihrer Funktion gestört. Der Betroffene erlebt z. B. ein Zucken der Hand, des Mundes oder spürt etwas, das eigentlich nicht da ist – je nachdem, welche Region des Gehirns von der epileptischen Aktivität betroffen ist. Der Mensch erlebt den Anfall bei vollem Bewusstsein, kann aber z. B. das Zucken nicht unterdrücken.

 

Komplex-fokaler Anfall

Stellen im Gehirn, die das Bewusstsein beeinflussen, sind in ihrer Funktion gestört. Während des Anfalls ist das Bewusstsein mehr oder weniger eingeschränkt und die Person reagiert nur bedingt sinnvoll auf Ansprache. Dabei können komplexe Handlungsabläufe auftreten, z. B. geht der Mensch ohne ersichtlichen Grund im Raum umher oder steckt das, was er gerade in der Hand hält, in den Mund. Die Anfälle beginnen und enden langsam – es dauert einige Zeit, bis derjenige wieder ansprechbar ist, an das Geschehen selbst erinnert er sich in der Regel nicht.

 

Fokale Anfälle können auch in einen Grand mal-Anfall übergehen, man spricht dann von einer sekundären Generalisierung.

Wichtigste Diagnoseverfahren

Anamnese

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Die wichtigste Grundlage der Diagnose ist die Krankengeschichte des Patienten, insbesondere die Schilderung des Anfalls. Allein durch die sorgfältige Anamnese kann in den meisten Fällen die Art der Anfälle klassifiziert und die Zuordnung zu einem bestimmten Epilepsiesyndrom getroffen werden. Durch weitere Diagnostik (standardmäßig EEG und MRT, evtl. Tests auf bestimmte Stoffwechselstörungen oder Gendefekte, in Ausnahmefällen auch spezielle Untersuchungen des Gehirns wie z. B. PET/SPECT) wird die erste Verdachtsdiagnose bestätigt oder korrigiert.

 

Hirnstromuntersuchung 
(EEG = Elektroenzephalogramm)

Mit Hilfe des EEG können die Gehirnströme des Patienten als Kurven, ähnlich wie beim EKG, aufgezeichnet werden (meist mit parallel laufender Video-Aufzeichnung). Das Aussehen dieser Kurven (Höhe und Form sowie Frequenz des Ausschlags) ist abhängig vom Alter und der Wachheit des Betroffenen. Bei bestimmten Epilepsieformen findet man ganz charakteristische Muster im EEG. Dabei werden auch Provokationsverfahren wie z. B. Hyperventilation oder Lichtblitze eingesetzt. Manchmal ist auch das EEG im Schlaf bzw. beim Einschlafen für den Arzt sehr aufschluss-reich oder aber eine Aufzeichnung über 24 Stunden und länger notwendig.

 

Kernspintomografie 
(MRT = Magnetresonanztomografie)

Die Kernspintomografie ermöglicht es, die Struktur des Gehirns darzustellen. Hierbei können Fehlbildungen, Reifungsstörungen, Verletzungen und Tumore festgestellt werden, die Ursache für symptomatische Epilepsien sein können.

 

Weitere Untersuchungen

Stoffwechseluntersuchungen oder andere spezielle Tests können im Einzelfall hilfreich sein, um die Ursache der Anfälle festzustellen oder das Behandlungskonzept abzusichern.

Therapie der Epilepsien

Die Therapie der Epilepsien erfolgt zunächst fast immer medikamentös. Ausgehend von der genauen Kenntnis der Anfallsform und Anfallsursache wählt der Arzt ein entsprechendes Medikament (Antiepileptikum/Antikonvulsivum) aus, das dann langsam, in immer höheren Dosen, verabreicht wird, entweder bis Anfallsfreiheit erreicht ist oder die Nebenwirkungen nicht mehr akzeptiert werden können. Dieser Vorgang muss eventuell mit mehreren Medikamenten wiederholt werden, bis die individuell beste Therapie gefunden ist.

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Bei schwierig zu behandelnden Epilepsien oder hoher, belastender Anfallsfrequenz kann das Ziel der Behandlung auch eine Reduktion der Anfallshäufigkeit oder der Schwere der Anfälle sein. Das Behandlungsziel ist von Patient zu Patient unterschiedlich und sollte regelmäßig im Gespräch mit Arzt, Patient und Angehörigen überprüft werden.

 

In einigen Fällen kommt bei fokalen Epilepsien auch eine Operation in Frage. Voraussetzung hierfür ist, dass die Epilepsie von einer Stelle im Gehirn, dem so genannten Herd, ausgeht, der keine lebenswichtigen Funktionen steuert, und dass die Behandlung durch (mind. zwei) Medikamente vorher gescheitert ist. Eine Operation bringt immer ein Risiko mit sich und wird, wie die Diagnostik für eine solche OP, nur in einem Epilepsie-Zentrum durchgeführt. Bei bestimmten Stoffwechselstörungen kann auch eine spezielle Diät, z. B. die ketogene Therapie mit einem sehr hohen Fettanteil, Erfolg versprechen.

 

Wichtig sind auf jeden Fall kontinuierliche Einnahme der Medikamente und ausreichender Nachtschlaf. Wenn man am Wochenende  später als gewöhnlich ins Bett geht, ist das in der Regel kein Problem, solange man am nächsten Tag ausschlafen kann. Auch wenn dann eventuell die Medikamente etwas später als normal eingenommen werden.

 

Regelmäßige Kontrollen bei einem Epileptologen sind ratsam.

Nebenwirkungen

Bei Antikonvulsiva/Antiepileptika handelt es sich um wirksame Medikamente, die in die Informationsweitergabe der Nervenzellen eingreifen. Natürlich können diese Arzneimittel auch Nebenwirkungen verursachen. Sind die Nebenwirkungen abhängig von der Dosis des Medikaments, treten sie im gleichen Abstand zur Tabletteneinnahme auf, nämlich zum Zeitpunkt der höchsten Konzentration des Wirkstoffs im Blut.

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Müdigkeit, Konzentrationsprobleme oder Verlangsamung können aber auch durch die Erkrankung selbst verursacht werden. So kann es bei falscher Medikamenteneinnahme (oder fehlender Therapie) zu einem Dämmerzustand kommen, der einer Trance gleicht und einen anhaltenden Anfall ohne Muskelkrämpfe darstellt. Auch gibt es spezielle, seltene Epilepsiesyndrome (z. B. Lennox-Gastaut-Syndrom), die mit einem geistigen Abbau einhergehen, der unabhängig von der Medikation und den Anfällen eintritt.

 

Änderungen der Dosierung und medikamentöse Umstellungen sollten immer mit dem behandelnden Epileptologen abgestimmt werden. Treten Nebenwirkungen auf, so muss individuell entschieden werden, inwieweit sie als Beeinträchtigung, z. B. bei Anfallsfreiheit, zu tolerieren sind. Denn durch die Reduktion der Dosis eines Medikaments können erneut Anfälle auftreten, die manchmal auch bei erneuter Steigerung der Dosis nicht wieder kontrollierbar sind.

 

Therapiefindung

Die Phase der Therapiefindung kann eine deutliche Belastung für den Patienten und seine Angehörigen darstellen. Gerade bei komplizierten Epilepsien, bei denen nicht sofort Anfallsfreiheit erreicht wird, werden alle Beteiligten auf eine große Geduldsprobe gestellt. Hoffnung auf das neue Medikament ist oft gepaart mit Furcht vor Versagen und Nebenwirkungen. Zeitweise kann es auch zu Leistungsminderung kommen, wenn 
z. B. die optimale Dosis noch nicht gefunden ist.

 

Prognosen von Epilepsien

Etwa 60-70 % der Patienten werden durch Medikamente anfallsfrei. Nach mehrjähriger Anfallsfreiheit (mindestens 2-5 Jahre) kann, je nach Diagnose, ein Absetzversuch (= Reduktion der Medikamente) unternommen werden.

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Erste Hilfe

Obwohl ein großer epileptischer Anfall (Grand mal-Anfall) immer sehr bedrohlich aussieht, ist er für den Betroffenen selten lebensgefährlich. Gefahr droht allenfalls beim Hinfallen durch dabei entstehende Verletzungen oder durch falsche „Hilfeleistung“.

 

Ein besonnener Ersthelfer sollte

  • Ruhe bewahren,
  • auf die Uhr sehen und den Zeitpunkt und Beginn des Anfalls registrieren,
  • den Betroffenen möglichst liegen lassen und vor Verletzungen schützen,
  • um die Person herum Platz freimachen oder sie aus der Gefahrenzone ziehen,
  • beengende Kleidungsstücke (Schal, Halstücher etc.) lockern/öffnen, Brille abnehmen,
  • den Kopf möglichst auf eine weiche, aber flache Unterlage betten,
  • nach dem Anfall den Betroffenen in die stabile Seitenlage bringen, vor Unterkühlung schützen und betreuen, bis er wieder ganz wach ist,
  • das Anfallsende registrieren.

 

Keinesfalls sollte man

  • Gegenstände in den Mund stecken, um Zungenbisse zu vermeiden,
  • zuckende Gliedmaßen festhalten,
  • versuchen, den Mund zu öffnen, um zu „beatmen“.

 

Nur wenn ein Anfall länger als 3-5 Minuten dauert oder wenn mehrere (große) Anfälle hintereinander auftreten, muss sofort ein Arzt gerufen oder der Betroffene ins Krankenhaus gebracht werden. Alle anderen epileptischen Anfälle erfordern in der Regel keine besonderen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Bei manchen Epilepsiesyndromen, wie z. B. dem Dravet-Syndrom, wird der Arzt auch eine Notfallmedikation anordnen, die dann nach ärztlicher Verordnung gegeben wird.

 

Wichtig sind jedoch immer der Zuspruch, die Betreuung und das besondere Gespür für die Selbstachtung und die Gefühle des Betroffenen.