2.1 Epilepsie und Lernen

Für die Mehrheit der epilepsiekranken Kinder gilt, dass sie eine normale, ihrem Intelligenzniveau angemessene Schullaufbahn durchlaufen können, d. h. dem Besuch einer Regelschule sollte im Allgemeinen nichts im Weg stehen. Permanente Über- oder Unterforderung führen zu Störungen in der Entwicklung der Persönlichkeit und zu falschen Lebensplänen und Berufschancen.

 

Für einen Teil der Kinder mit Epilepsien ergibt sich eine zeitweise oder auch dauerhafte Beeinträchtigung der Lernfähigkeit, z. B. in Konzentration und Aufmerksamkeit, im Gedächtnis, im sprachlichen und mathematischen Bereich, in Handlungsplanung, im Arbeitstempo, im praktischen Handeln, im Abstraktionsvermögen. Dies ist abhängig vom Beginn der Epilepsie, von der Ursache der Anfälle, der Anfallsart, der Dauer, der Häufigkeit und Stärke der Anfälle. Verschiedene Studien machen dazu sehr unterschiedliche Aussagen, so dass die Entscheidung für eine Schulform individuell getroffen werden muss.

 

Episodische Auswirkungen auf das Lernen

Sie sind zeitlich begrenzt, jedoch nicht kalkulierbar.

  • Im Vorfeld der Anfallstätigkeit: Das Kind hat eine schlechte Aufnahmefähigkeit und Konzentration, zeigt Unlust, ist reizbar.
  • Im Anfall: Vor allem bei Absencen und fokalen nicht bewusst erlebten Anfällen (komplex-fokal) können Verlangsamung, Gedächtnisprobleme, Dämmerzustände, bei denen manchmal (nicht immer) ein vollständiger Bewusstseinsverlust stattfindet, auftreten.
  • Nach dem Anfall: Häufig stellen sich Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Lustlosigkeit ein.

Aber auch bei mit Medikamenten erreichter Anfallsfreiheit kann es Phasen eingeschränkter Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit geben – so wie bei allen Kindern und Jugendlichen in dieser Lebensphase. 

Medikamentenbedingte Störungen

Werden unter der Einnahme von anfallssuppressiver Medikation (ASM) Verhaltens- oder Lernstörungen beobachtet, so müssen als Erstes Nebenwirkungen abgeklärt bzw. ausgeschlossen werden. Hier sind das genaue Beschreiben und Einordnen, die offene Zusammenarbeit von Lehrkräften, Eltern und behandelndem Arzt besonders wichtig für eine erfolgreiche Therapie. Vor Beginn der medikamentösen Behandlung wird im Idealfall eine neuropsychologische Testung durchgeführt, so dass man Veränderungen mit diesen Ergebnissen vergleichen kann.

 

Nebenwirkungen beeinflussen nicht die Intelligenz, wohl aber deren Stützfunktionen und damit das schulische Lernen. Manche Störungen lassen sich durch eine Verringerung der Medikamentendosis reduzieren, manche sind dosisunabhängig.

 

Oft kann erst nach genauer, langfristiger Beobachtung entschieden werden, ob vereinzelt auftretende Anfälle oder das Vorhandensein von Lern- und Verhaltensauffälligkeiten in Kauf genommen werden müssen. In diese individuelle Entscheidung sollten alle Lebensumstände des Kindes und der Familie miteinbezogen werden.

 

Eine besonders kritische Zeit kann die der medikamentösen Neueinstellung oder Umstellung sein. Hier treten meist Nebenwirkungen wie Verlangsamung, rasche Ermüdbarkeit, Wortfindungsstörungen, Lustlosigkeit auf. Die Dauer dieser Phasen ist nicht vorhersehbar und erfordert von allen Beteiligten sehr viel Geduld.

 

Reaktive Auswirkungen

Die oftmals eingeräumte Sonderstellung des Kindes in Elternhaus, Kindergarten und Schule, aber auch die unangemessenen Reaktionen des Umfeldes können zu einem Mangel an Selbstständigkeit, Arbeitshaltung, Aufgabenbewusstsein, Durchhaltevermögen, Kritikfähigkeit, Selbsteinschätzung, Frustrationstoleranz u. a. führen – alles wichtige Stützfunktionen der Intelligenz und des Lernens. Hinzu kommen die Unvorhersehbarkeit der Anfälle und die Tatsache, dass diese möglicherweise zu „peinlichen“ oder zumindest ungewohnten Situationen führen. Die Unsicherheit aller Beteiligten sowie eine mögliche Ablehnung und Außenseiterposition des Kindes beeinflussen die Entwicklung ebenfalls.

 

All dies kann das Lernen oft mehr beeinträchtigen als die Krankheit selbst.

Auswirkungen auf die Schulleistung

Die komplexen Zusammenhänge im Zusammenhang mit Epilepsie können zu Schulproblemen führen, selbst bei Kindern mit guter oder überdurchschnittlicher Begabung.

 

Im Schulalter kann es trotz normaler Intelligenz zu einer verzögerten Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit kommen, was sich wiederum auf das Erlernen von Lesen und Schreiben auswirken kann.

 

Leistungsschwankungen führen oft dazu, dass Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind zu besseren Leistungen fähig ist. Das vermehrte Lernen zu Hause und strengere Erziehungsmaßnahmen erzielen jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse. Das Kind fühlt sich missverstanden und gibt möglicherweise resigniert auf.

 

Ein deutlicher Wendepunkt tritt normalerweise in der 3. oder 4. Klasse auf, wenn viele Inhalte nicht mehr mechanisch auswendig gelernt werden können. Gerade in Situationen, die eigenständiges Denken und kritisches Beurteilen erfordern, können neue Leistungsprobleme auftreten.

Um solche Herausforderungen zu bewältigen, ist es wichtig, eine umfassende Unterstützung für Kinder mit Epilepsie in der Schule bereitzustellen.

 

Mögliche Lösungsansätze:

  1. Individuelle Unterstützung: Gewährleistung, dass das Kind angemessene Unterstützung erhält, um seine Wahrnehmungsfähigkeiten zu entwickeln und Lesen und Schreiben zu verbessern. Dies kann spezielle pädagogische Maßnahmen, Nachhilfe oder unterstützende Technologien umfassen.
  2. Sensibilisierung der Lehrkräfte: Schulung des pädagogischen Fachpersonals über die Epilepsie und die Auswirkungen, die diese Erkrankung auf das Lernen haben kann, sowie über die besonderen Bedürfnisse von betroffenen Kindern (siehe Punkt 3.4 Schulungen für Fachpersonal). Dadurch können Lehrkräfte angemessene Anpassungen vornehmen und das Selbstvertrauen des Kindes stärken.
  3. Zusammenarbeit mit Eltern: Einbezug der Eltern in den Bildungsprozess und gemeinsames Arbeiten mit den Lehrkräften an Lösungen. Durch eine offene Kommunikation und regelmäßigen Austausch können mögliche Probleme frühzeitig erkannt und angegangen werden.
  4. Einsatz von individualisierten Lernmethoden: Erkennen und Nutzen der Stärken des Kindes zur Entwicklung alternativer Lernstrategien. Dies kann beinhalten, dass Inhalte auf andere Weise präsentiert oder dass andere Lernmaterialien verwendet werden.
  5. Psychosoziale Unterstützung: Berücksichtigung der emotionalen und psychosozialen Bedürfnisse des Kindes. Dies kann durch Beratungsdienste, Unterstützung durch Psychologen oder Peer-Unterstützungsgruppen erfolgen.

Es ist wichtig, dass eine individuelle Herangehensweise gewählt wird, die auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Kindes abgestimmt ist. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrern und Fachleuten kann dazu beitragen, dass das Kind seine Fähigkeiten in der Schule voll entfalten kann.